Wenn ein paar Leute während seines Programms heulten, dann wisse er wenigstens, dass diese verstanden hätten, so einmal Georg Schramm, der moralische, oft zornige Großmeister des deutschen Kabaretts: Er räumte damit gleich mal mit der Annahme auf, dass Kabarett nur zum Lachen da sein müsse.
Das ist schon eine Weile her, doch jene Vorstellung vom Kabarett als Lachnummernrevue hält sich bei vielen immer noch hartnäckig. Die Versuchung der auf der Bühne sich abzappelnden Akteure, schnell und ohne Umwege auf die Pointe zu kommen, ist groß. Auf Pointen im Übrigen, von denen man weiß, dass sie funktionieren, weil sie schon einmal funktioniert haben, die beim Publikum ankommen, weil sie dort ohnehin schon vorhanden sind als Abziehbildchen in den Köpfen.
Man kann sich jedenfalls vorstellen, dass das Resultat einer solchen Art von Kabarett bestenfalls vergnügliche 90 Minuten sind. Was haben wir gelacht! Worüber? Ist am nächsten Tag vergessen. Aber: „Sollte der Abend ins Belanglos-Fröhliche abgleiten, dann denke ich, dann kommen Sie sehr gut ohne mich aus“, so noch einmal Schramm in seiner Paraderolle als Ruheständler Lothar Dombrowski.
Mittlerweile ist Schramm selbst im Ruhestand, doch wahrscheinlich kann er, der vormals ewig unruhige und an der Dummheit der Spaßgesellschaft verzweifelnde Geist, ihn ja sogar ein wenig genießen. Und das mag vor allem an Claus von Wagner und Max Uthoff liegen, die alles andere als „belanglos-fröhliche“ Abende inszenieren, seit sie vor eineinhalb Jahren „Die Anstalt“ übernommen haben. Jene Sendung im ZDF also, in der Schramm selbst einmal zusammen mit Urban Priol auf der Bühne stand und die damals „Neues aus der Anstalt“ hieß. Die beiden Neuen brachten einen ziemlich neuen Sound ins deutsche Fernsehkabarett, und gleichzeitig eine Wucht, wie sie vormals allenfalls Schramm in seinen größten Wutreden und Dieter Hildebrandt in seinen hintersinnigsten Auslassungen erzeugte.
Weg zum Lachen wird verlängert
Uthoff und von Wagner wissen, wie man Wirkung erzeugt. Beispielsweise, indem man den Weg zum Lacher nicht abkürzt, sondern sogar verlängert, weil erst mal ein paar Fakten eingebaut werden. Etwa in Form ihrer beliebten (Naive)-Frage-und-Antwort-Spiele, bei denen schon mal Flip-Chart und Powerpoint zum Einsatz kommen, um etwa komplexe Verflechtungen von Lobby-Gruppen zu visualisieren. Es sind dies Visualisierungen, wie man sie beispielsweise in der „Tagesschau“ eher selten zu sehen bekommt. Womit wir beim Journalismus wären, bei den Intellektuellen, der „Öffentlichkeit“.
Dass diese eine immer diffusere Veranstaltung wird, liegt zuvorderst an den Ausfransungserscheinungen, welche die Netzmedien mit ihrem fehlenden diskursivem Zentrum mit sich bringen – zugespitzt formuliert: Es gibt fast so viele Debatten, Meinungen und vor allem unterschiedliche Informationsstände, wie es Internetanschlüsse gibt.
Zu tun hat die auf Dauer für ein Gemeinwesen ungute Entwicklung aber auch mit der teilweise zu beobachtenden Kapitulation von Intellektuellen und klassischen Medien vor der so beschriebenen Herausforderung. Die einen kapitulieren, indem sie ein sich ausdifferenzierendes Publikum samt unterschiedlichsten Wissensbeständen einfach ignorieren, die anderen, indem sie sich ihm andienen.
Dass es auch anders geht und trotzdem oder vielleicht genau deswegen mit Erfolg, zeigte aber beispielsweise lange Jahre Jon Stewart mit seiner „Daily Show“ in den USA. Hier vermischte sich Humor, Haltung und Recherche – und halb Amerika schaute hin. Mittlerweile scheint sich dieses Konzept auch hierzulande zu etablieren, und gerade das ZDF tut sich hervor – von Jan Böhmermann bis eben zu Claus von Wagner und Max Uthoff.
Wirkung erzeugt „Die Anstalt“ nicht nur mit „investigativem Kabarett“, mit überraschenden Fakten, sondern auch mit den durchkomponierten Sendungen selbst, die einer je eigenen Dramaturgie folgen. Wirkung erzeugen die beiden schließlich auch damit, dass sie einfach auch mal die Realität hereinlassen auf die Studiobühne: Im November letzten Jahres zum Beispiel in Form eines Flüchtlingschors, der für die im Mittelmeer Ertrunkenen sang.
Doch so etwas bringt natürlich auch Kritik: Tränendrüsen-Dramatik sei das, unlauter. Doch ernsthaftes Kabarett darf vielleicht auch mal ernsthaft auftreten. Zumal die entsprechenden Videos in den sozialen Netzwerken die Runde machen. Alleine ein Monolog von Wagners zu Pegida wurde bereits über 800 000 Mal angeklickt – davon können viele klassische Medien nur träumen.
Es sind diese Momente, welche „Die Anstalt“ auszeichnen. Es ist diese Mischung aus Ernst, Journalismus mit anderen Mitteln, Haltung und – ja, der natürlich auch und immer noch wichtig – Humor, der die Sendung so einzigartig macht.
Die Anstalt kehrt am Dienstag, 22. September, um 22.15 Uhr im ZDF wieder aus der Sommerpause zurück.