Ein Röntgen-CT-Gerät ist ein wuchtiges Stück Hochtechnologie. Mehrmals pro Sekunde rotiert es Massen von eineinhalb Tonnen Gewicht um Patienten herum, um hochauflösende 3-D-Bilder aus dem Körperinneren zu erstellen. Aber auch andere Dinge lassen sich basierend auf dieser Methode untersuchen – zum Beispiel Wolken! „Das Prinzip der Computertomographie kann dabei helfen, Klimamodelle zu verbessern“, ist sich Professor Klaus Schilling sicher, der an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Robotik und Telematik leitet. „Berechnungen, die klimatische Änderungen vorhersagen, sind nur so gut, wie die Daten, mit denen wir sie füttern. Ein großer Unsicherheitsfaktor darin sind Wolken.“
Der Blick in die Wolken
Zwar beobachten Wissenschaftler schon lange die Dynamik von Wolken, also zum Beispiel ihre Bildung, Bewegung und Auflösung. Was bislang fehlt, ist der prüfende Blick in sie hinein. Diese Datenlücke will Professor Schilling mit Forscherkollegen aus Israel nun schließen. „Mit unserer Mission ‚Cloud-CT‘ haben wir ein Verfahren entwickelt, das auf den grundlegenden Prinzipien der Computertomographie basiert und vom Weltraum aus einen detaillierten Blick in die Wolken ermöglicht“, erläutert der Würzburger Forscher.

Mit einem Schwarm von zehn Kleinsatelliten, jeder nur wenige Kilogramm schwer, werden die Wolken vom All aus ins Visier genommen. Der größte Unterschied zum „irdischen“ Computertomographen: Statt Röntgenstrahlen erfassen die Satelliten Lichtstrahlen der Sonne, die die Wolken reflektieren. Sie werden von den kleinen Satelliten eingefangen und in schichtweise dreidimensionale Abbildungen umgerechnet. Damit messen die Forscher Wolkendichte, Wassermenge und auch Nachweise von Umweltverschmutzungen in den Wolken. Mithilfe dieser Daten soll die Genauigkeit von Klima-Vorhersagemodellen deutlich verbessert werden.
Das flinke Satellitenballett
Was sich zunächst einfach anhört, stellte die Fachleute aufgrund der großflächigen Ausdehnung der Wolken vor große Herausforderungen. „Dies erfordert sehr weit verteilte Messnetze“, erläutert Klaus Schilling. „Daher haben wir das zugrunde liegende CT-Prinzip auf mehrere Satelliten verteilt – und verwenden statt der Röntgenstrahlen das natürlicherweise vorhandene Sonnenlicht als Ausleuchter.“ Um dies bezahlbar zu halten, werden kosteneffiziente Kleinstsatelliten genutzt. Damit sind aber noch nicht alle Probleme gelöst: Mit über 20.000 Kilometern in der Stunde sausen die kleinen Satelliten in 600 km Höhe rund um den Erdball. Im rasanten Vorbeiflug erfassen sie die Wolken, die selbst hochdynamische Gebilde sind. Um genaue Ergebnisse zu liefern, müssen sich die Satelliten permanent eigenständig exakt auf die Zielwolke ausrichten und sie verfolgen.

„Die Anforderungen an die Koordination solcher verteilter Systeme für gemeinsame Beobachtungen sind sehr hoch“, weiß der Forscher, der bereits bei den internationalen Satellitenmissionen Cassini und Rosetta federführend beteiligt war. „Mit der zunehmenden Miniaturisierung der Technik wächst die Anfälligkeit für Störungen. Es sind fortgeschrittene Software- und Regelungstechnikansätze nötig, um dies zu beheben.“ Daher liegt der besondere Schwerpunkt der Entwicklung bei Algorithmen. Sie gleichen Störungen aus und korrigieren Fehler, die durch Miniaturisierung von Elektronik und mechanischen Komponenten entstehen und die in der unwirtlichen Weltraumumgebung mit Vakuum, extremen Temperaturen und harter Strahlung unvermeidlich sind. „Hier sind Informatiker für anspruchsvolle Lösungen gefragt!“, so Klaus Schilling.
Das komplexe Satellitenballett wird bis zum Start im Jahr 2022 ausgiebig auf der Erde getestet. Um die Ausrichtung der Satelliten bereits am Boden möglichst exakt zu simulieren, wurde im Zentrum für Telematik in Würzburg eine europaweit einzigartige Versuchsanlage aufgebaut. Auf ihren Drehtischen lassen sich die Bewegungen der kleinen Satelliten realitätsnah überprüfen.
Vorreiter aus Würzburg
Auf dem Gebiet der Kleinsatelliten mit einem Gewicht von etwa einem Kilogramm nimmt die Universität Würzburg eine Vorreiterrolle ein. So vollführte der Kleinstsatellit UWE-4 des Universität-Würzburg-Experimentalsatelliten-Programms vor wenigen Tagen drei orbitale Manöver zur Anpassung seiner Umlaufbahn, die für die Klasse der Kleinstsatelliten eine Weltpremiere darstellen. Der erste UWE-Satellit, der 2005 seinen Einsatz zu „Internet aus dem Weltall“ hatte, steht heute im Deutschen Museum München.

Am 28. September 2020 startete vom russischen Weltraumbahnhof Plesezk die Mission NetSat mit vier Kleinsatelliten des Würzburger Zentrums für Telematik. Sie sollen mit ihren Elektroantrieben erstmals einen Formationsflug in drei Dimensionen durchführen und wichtige Daten für die kommende Cloud-CT-Mission liefern.
Große Schritte mit kleinen Satelliten
Kleinere Satelliten könnten in Zukunft Raumfahrt und Forschungen im All einen großen Schritt voranbringen. Denn dank Kleinsatelliten ist es verhältnismäßig günstig, mehrere Geräte parallel auf eine Mission zu schicken.
Dadurch lassen sich vernetzte Strukturen im Orbit aufbauen, auch „New Space“ genannt, die neuartige Missionen erst ermöglichen. Einen Vorgeschmack darauf geben bereits einige kommerzielle Betreiber, die im Erd-Orbit Satellitennetzwerke zu Telekommunikationszwecken stationieren.
„Wir wollen die wichtige Rolle der Universität Würzburg im Bereich der Kleinsatelliten auch in Zukunft ausbauen“, so Professor Schilling. „Mein großer Wunsch ist es, zusammen mit den aktiven Raumfahrtkollegen das Know-how und die erfolgreichen Forschungsprojekte am Standort Würzburg im „New Space“-Bereich weiter auszubauen.“ Einen großen Vorteil bietet die Universität Würzburg dafür: „Unsere Raumfahrt-Studiengänge garantieren jedem Studierenden, aktiv in Satellitenprojekten mitzuarbeiten – und das ist hierzulande einzigartig!“
Röntgenjahr 2020
Im „Röntgenjahr“ 2020 präsentiert Ihnen die Universität Würzburg gemeinsam mit der Stadt Würzburg jeden Monat ein interessantes Anwendungsgebiet, bei dem Röntgenstrahlen eine wichtige Rolle spielen.
- Lesen Sie auch
Röntgenjahr 2020: Verborgene Informationen sichtbar machen
Röntgenstrahlen spielen in der Medizin eine entscheidende Rolle
Röntgenjahr 2020: Jubiläum für die unsichtbaren Strahlen
Der Röntgenblick der Astronomen
Der tiefe Blick in den Kristall
X-Strahlen klären auf: Wie entsteht ein Granat oder Nierenstein?
Dieser Artikel wurde der Main-Post vom Kunden zur Verfügung gestellt.
Sie möchten selbst in dieser Form für Ihr Unternehmen werben? Unsere Mitarbeiter beraten Sie gerne. Einfach hier einen Termin vereinbaren.