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WÜRZBURG: Aus Herr Vater wurde der coole Dad

WÜRZBURG

Aus Herr Vater wurde der coole Dad

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    Vater und Sohn damals . . .
    Vater und Sohn damals . . . Foto: Thinkstock Images (Stockbyte)

    Früher war alles so einfach: Eltern hatten unmodern zu sein – und taten uns Kindern und Jugendlichen oft auch noch den Gefallen, genau dies zu tun. Eltern wussten über nichts Bescheid. Hatten keine Ahnung von Musik. Von Trends. Von dem, was wichtig war. Gingen abends nicht weg. Höchstens mal in die Volkshochschule. Zum Kegeln. In den Männergesangverein. Schauten „Zum Blauen Bock“. Oder die „Starparade“. Und natürlich „Derrick“. Sie trugen nur langweiliges Zeug. Sahen langweilig aus.Im „Buch der Mutter“ von 1925 rät man Eltern entschieden davon ab, gemeinsam mit ihren Kindern das Abendessen einzunehmen. mals waren Eltern

    Der Gegenentwurf zu aufregendem Leben

    Eltern waren quasi der paradoxe Gegenentwurf zu Partys, Festivals, Flirts und prickelnden Rendezvous – um die es ja im Leben eigentlich geht. Das meinten wir zumindest. In unserer typisch überheblichen Art. Niemals hätten Eltern Teil unserer Lebenswelt sein können. So war das, in den 70er und 80er Jahren.

    Keiner von uns hätte je gedacht, dass genau wir, die wir damals Kinder und Jugendliche waren, die Letzten unserer Art sein würden. Dass sich zeitlich gesehen direkt hinter uns eine soziologische Bruchlinie auftun würde. Dass sich das Verhältnis Eltern/Kinder in eine irgendwie neue Form verwandeln würde. Als Vater von drei Kindern (heute 24, 22 und 16 Jahre) habe ich jenen Umbruch miterlebt. Und gerate noch heute in Situationen, in denen ich Bauklötze staunen muss.

    1968 – das ist mein Geburtsjahrgang. Geboren sozusagen mitten im Aufbruch. Studentenunruhen. Überwindung der muffigen Adenauerrepublik mit ihrem viel beschriebenen Klein-Klein. Dieser Umbruch, von dem ich als Baby natürlich kaum etwas mitbekam, muss ja eine unglaubliche Zeit gewesen sein. Pink Floyd schickte sich an, musikalisch in neue Galaxien vorzustoßen, die Pforte zum mentalen Hyperraum zu öffnen. Meine Eltern hat diese kulturelle Eruption allerdings ziemlich wenig beschäftigt. Mein Vater war damals 27 Jahre alt.

    Also kein Pink Floyd?

    Als ich ihn Jahre später, als Jugendlicher, einmal fragte, wie er denn diese irre Phase erlebt habe, wusste er darauf wenig zu sagen. „Das haben wir alles so nicht mitbekommen. Ich habe halt gearbeitet. Für diese Sachen hatte ich keine Zeit.“ Auch später nicht. Also kein Pink Floyd? Nein! Die genialen späten Beatles ab „Sergeant Pepper“? Nein! Kein Hendrix, kein „Child in time“ von Deep Purple, kein Kraftwerk? Nichts. Immerhin sagte ihm der Name David Bowie etwas.

    Nun gut. Ich will hier überhaupt nicht den Eindruck erwecken, meinen Vater vorführen zu wollen. Das Ganze war ihm halt nicht wichtig. Er hat vor allem seine Arbeit ernst genommen und sich sehr auf sie konzentriert. In unserem Schwarz-Weiß-Fernseher gab es ja auch nur drei Programme. Vermutlich hat Papa von diesem epochalen Wechsel 1968 und in den folgenden Jahren wirklich nicht viel mitbekommen.

    Ganz im Gegensatz zum Zeitgeist wurde ich auch nicht unbedingt antiautoritär erzogen. Mir war aber schon als Junge klar: Papa und ich befanden uns damals Lichtjahre auseinander. Ich hatte meine Eltern lieb. Das ist auch heute noch so. Aber sie lebten halt auf einem anderen Planeten. Auf dem andere Riten und Gebräuche herrschten. Und auf dem man vor allem nicht die Nacht zum Tage machte.

    Gemeinsam im Rockkonzert

    Die Zeit verging und ehe ich mich versah, wurde auch ich Vater. Eine Tochter, dann ein Sohn und dann noch mal eine Tochter. Mein Vater hatte mit 27 einen ersten Sohn bekommen, nämlich mich. Ich war ebenfalls 27, als mein Sohn zur Welt kam. Diese Parallele finde ich bis heute irgendwie witzig. Meinen Lebensstil, dem ich in der Jugend frönte (kein Fest auslassen!), musste ich einige Jahre zwar etwas einschränken. Als die Kinder sehr klein waren. Aber gerade in den vergangenen Jahren habe ich ihn – gemeinsam mit meiner Frau – wieder neu kultiviert. Andere Gleichaltrige, ebenfalls mit Kindern, taten es uns gleich.

    „Ich habe das Gefühl, heute interessieren sich Eltern und Kinder mehr füreinander.“

    Markus Bär, Autor und Vater dreier Kinder

    Und dann stellte ich plötzlich sehr überrascht fest, dass sich meine nun elterlichen Lebenswelten und jene meiner Nachkommen, die früher ja niemals hätten Schnittmengen bilden können, faszinierende Deckungsgleichheiten aufweisen. So fand ich mich beispielsweise jüngst mit meinem 22-jährigen Sohn in einem legendären Club wieder, in dem ich schon selbst als 22-Jähriger zu Gast gewesen war. Morgens um vier Uhr. Und ich gestehe: Wir beide hatten an diesem Abend nicht unbedingt Kamillentee getrunken.

    An der Theke sagte mir mein Sohnemann, dass er stolz sei, dort mit mir zu sitzen und einen zu heben. Dass er eigentlich eine ziemlich hohe Meinung von mir habe. Ich ein echtes Vorbild für ihn sei. Obwohl ich auch nerven könne. Da war ich mal ziemlich gerührt. Als ich 22 war, wäre ich niemals mit meinem Vater morgens um vier angedudelt in einem Club gesessen. Eine völlig absurde Vorstellung.

    Das gab es früher so nicht

    Ein anderes Beispiel: Als ich mit meiner Frau vor drei Jahren mal wieder das größte deutsche Metal-Festival im norddeutschen Wacken besuchte, sagte mir meine Jüngste, die daheim bei der Oma blieb, sie sei extrem neidisch auf uns. Warum? Weil dort damals auch ihre seinerzeit aktuelle Lieblingsband „Bring me the horizon“ spielte. Ein ziemlich kerniger, voll tätowierter Gitarrendampfhammer aus dem englischen Sheffield. Den auch ich gut finde. Ich war baff.

    Vor einigen Monaten lud ich meine Jüngste dann auf das Konzert einer britischen Indie-Band ein. Sie sagte sofort zu. Dann stand sie vor der Bühne neben mir und war definitiv begeistert. Und ich? Ich sah sie von der Seite an und traute meinen Augen nicht. Wieder einmal dachte ich: Das gab es – in dieser Konstellation – früher so nicht. Nicht in meinem Leben. Und auch nicht im Leben aller meiner Freunde, Klassenkameraden und späterer Oberstufenkollegen.

    Mehr Interesse füreinander

    Ich habe das Gefühl, heute interessieren sich Kinder und Eltern in vielen Familien mehr füreinander. Und nehmen den anderen auch ernster, als das früher oftmals der Fall war. Aber es waren ja auch andere Zeiten. Gut. Manchmal spielt mir die Jüngste ihren „K-Pop“ vor. Das ist Pop aus Korea – auf Koreanisch. Ich gebe zu: schwere Kost.

    Und meine große Tochter? Die lebt sehr virtuell im Kosmos eines komplexen Computerspiels namens „League of Legends“, das teils online und von 100 Millionen Menschen gespielt wird. Davon verstehe ich dann gar nichts mehr. Aber ich kann eines trotzdem versichern: Das Leben als Eltern heute – hinter der großen Bruchlinie – ist wirklich spannend.

    Es geht nicht darum, jugendwahnbesessen zu vermeintlichen Freunden unserer Kinder zu werden. Wir sind und bleiben in erster Linie Eltern. Und auch etwas anderes hat sich nicht geändert: Die Sorgen, die man mit seinem Nachwuchs erlebt, sind sicher nicht kleiner geworden. Aber die Lebenswelten der Eltern und Kinder sind ähnlicher geworden.

    Buchtipp

    In seinem Buch „Die kompetente Familie“ beschreibt der dänische Erziehungsberater Jesper Jul unter anderem, was sich geändert hat in der Erziehung im Lauf der vergangenen Jahrzehnte. Im „Buch der Mutter“ von 1925 etwa habe man Eltern abgeraten, mit ihren Kindern das Abendessen einzunehmen. Wie Eltern es heute schaffen können, neue Wege in der Gemeinschaft mit ihren Kindern zu finden, ist Jesper Juls großes Thema. Beltz Verlag, 176 Seiten, 9,95 Euro MEL

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