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WÜRZBURG: Wenn Schilfrohr Musik macht: Faszination Oboe

WÜRZBURG

Wenn Schilfrohr Musik macht: Faszination Oboe

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    Professor Jochen Müller-Brincken
    Professor Jochen Müller-Brincken Foto: Ralph Heringlehner

    Arundo donax“, sagt Professor Jochen Müller-Brincken und hält ein spannenlanges, fingerdickes Röhrchen ins Licht. Arundo donax sei eine bis zu fünf Meter hohe Schilfpflanze und gedeihe besonders gut in Südfrankreich, wegen des dortigen Klimas und der Mineralien im Boden. Auch wenn das wie aus der Lehrstunde eines Botanikers klingt: Jochen Müller-Brincken ist Professor für Oboe an der Würzburger Hochschule für Musik – und das spezielle Schilf der Stoff, aus dem Oboen-Mundstücke sind.

    Oboisten müssen vielseitig sein. Neben Musikalität (und einer Spur Pflanzenkunde) sind auch technisches Verständnis und handwerkliches Geschick gefragt. Müller-Brincken holt einige Geräte aus einem Schränkchen des Übungsraums in der Musikhochschule. Sie sehen aus wie Miniaturausführungen von Schreinerei-Maschinen. Damit wird Arundo donax gehobelt, geschliffen und geschnitten, bis es die richtige Form hat. Zusammen mit einem zweiten, spiegelbildlich gebauten Blatt wird es an ein Metallröhrchen gebunden – fertig ist ein Oboen-Mundstück, das im Jargon „Rohr“ genannt wird. Es wird auf den Korpus des Instruments gesteckt. Beim Blasen schwingen die beiden Schilfblättchen gegeneinander und erzeugen den Ton.

    Das ist ein Kunsthandwerk

    Die meisten Oboisten bauen ihre Mundstücke selbst. „Das ist ein Kunsthandwerk“, sagt der Würzburger Professor. Fertige Mundstücke gibt es zwar zu kaufen, doch der Do-it-yourself-Aufwand lohnt sich: Nur wenn er sie selbst herstellt, kann der Musiker die Rohre auf seine Art zu spielen, auf seine körperlichen Voraussetzungen und seine Atemtechnik hin maßschneidern. Durch unterschiedlich mit einem scharfen Messer geschabte Rohre lässt sich zudem die Tonqualität beeinflussen. „Ein etwas breiteres Rohr klingt dunkel und reich, ein schlankes klingt eleganter und eignet sich eher fürs Solistische“, erklärt Müller-Brincken. Das Mundstück wird also auch je nach Programm gewählt.

    Der Musiker hält stets mehrere Rohre vorrätig. Er bewahrt sie in einer speziellen Box mit konstanter Luftfeuchtigkeit auf. Arundo donax ist eine Diva: Trocken lassen sich mit dem Doppelrohrblatt keine sauberen Töne produzieren.

    Manchmal kann ein hurtiger Wechsel des Rohrs nötig werden, denn: Mag die komplexe Klappenmechanik auch noch so zerbrechlich wirken, das heikelste Bauteil einer Oboe ist das hauchdünne Rohr. Jochen Müller-Brincken setzt eine Messuhr an: Das Rohrblatt ist an seiner Spitze gerade mal acht Hundertstel Millimeter dick – dünner als ein Blatt Papier. „Man muss nur mal unachtsam an einer Masche seines Pullovers hängen bleiben – schon ist es gerissen“, erzählt der Musiker.

    Eigenheiten des Naturmaterials

    Auch wenn kein derartiges Malheur passiert: Nach zwei bis drei Wochen in den Händen eines viel spielenden Berufsmusikers lässt die Qualität des Rohrs nach. Dann muss ein neues her. Und es ist nicht gesagt, dass das genauso gut klingt. „Ein richtig tolles Rohr, das alles kann, hat man vielleicht zweimal im Jahr“, so der Professor. Arundo donax wächst halt nicht genormt. Mit den Eigenheiten des Naturmaterials umzugehen, macht einen Teil der Oboen-Faszination aus.

    Der Korpus der modernen Oboe ist üblicherweise aus Grenadillholz (ähnlich dem Ebenholz) gefertigt. Doch hier ist das Naturmaterial nicht zwingend. Es gebe auch Kunststoff-Oboen, weiß der Professor, „und die klingen nicht zwangsweise schlechter“.

    2017 wurde die Oboe zum „Instrument des Jahres“ gekürt. Auch dank ihrer ausgeklügelten Mechanik kann sie nicht nur singen, sondern hat auch einige erstaunliche Effekte drauf. Müller-Brincken demonstriert's, spielt geheimnisvolle Flageoletts und verwirrende Doppelflageoletts. Sogar Mehrklänge sind drin. Spezielle Klappen ermöglichen atemberaubende Triller. Zudem ist die Oboe das Instrument, das stets schon vor Konzertbeginn zu hören ist. Mit ihrem markanten Klang gibt sie den Stimmton für die anderen Orchester-Instrumente vor.

    Mit acht Jahren kann's losgehen

    Der heute 63-Jährige war 14, als er die Oboe für sich entdeckte. Weil der Musiklehrer eine Oboe im Schulorchester brauchte, stieg Müller-Brincken vom Klavier auf das Holzblasinstrument um. Kinder könnten mit acht bis zehn Jahren ins Oboenspiel einsteigen, empfiehlt Müller-Brincken.

    Das Instrument benötigt wegen des winzigen Spalts zwischen den Rohrblättern mehr Blasdruck als alle anderen Holzblasinstrumente. Davor müsse man aber keine Angst haben. „Kinder können gefahrlos Oboe spielen“, so der Experte. Es gebe spezielle Kinder-Instrumente. Bei einem guten Lehrer lerne man auch die richtige Atemtechnik, die richtige Körperhaltung. Für den Anfänger halte die Oboe Erfolgserlebnisse bereit: „Man kommt sehr schnell sehr weit.“

    Jochen Müller-Brincken grinst: „An dem hartnäckigen Gerücht ,Oboe spielen macht dumm im Kopf‘ ist übrigens nichts dran.“

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