Sie war auf den großen Bühnen der Welt zu Hause – aber als sie 1959 mit 44 Jahren starb, hatte „Lady Day“ ganze sieben Cent auf ihrem Konto. Billie Holidays Leben pendelte zwischen Extremen: rauschender Beifall, Gefängnis, Misshandlungen, Drogensucht. Sie sang in der renommierten New Yorker Carnegie-Hall ebenso wie in den „Flüsterkneipen“, in denen während der Prohibition illegal Alkohol ausgeschenkt wurde.
Zu ihren Bewunderern gehörten Orson Welles und Frank Sinatra. Clark Gable soll sich sogar einmal für sie geprügelt haben. Vor 100 Jahren, am 7. April 1915, wurde die Sängerin in Philadelphia als Elionora Harris geboren. „Als ich Billie Holiday zum ersten Mal im 'Monette Moores' hörte, hörte ich etwas, das vollkommen neu und frisch war“, schwärmte der Schallplatten-Produzent John Hammond. Er verschaffte der 18-Jährigen die ersten Plattenaufnahmen.
Die Jazzinterpretin Cassandra Wilson nennt Holiday eine „Musikrevolutionärin“. Sie habe einen Sound geschaffen, „der den Jazz bis heute prägt“, sagte Wilson der „Süddeutschen Zeitung“. Auf ihrer neuen CD singt Wilson denn auch Stücke von Holiday. Beeinflusst wurde Billie Holiday von den Musikern Bessie Smith und Louis Armstrong. Doch schon bald hatte sie einen eigenen, unverwechselbaren Stil, der sie unsterblich machte. „Wenn du ein Lied findest, das etwas mit dir zu tun hat, dann brauchst du nichts zu entwickeln“, schrieb sie in ihrer Autobiografie „Lady Sings The Blues“. Holiday: „Du fühlst einfach etwas. Und wenn du es singst, können es die anderen auch fühlen.“
Ihr Leben bot ihr reichlich bittere Erfahrungen, die sie in Musik verwandelte. „Ich habe meine Eltern nicht gebeten, mich in einem Flur in einem Haus in Baltimore zu zeugen, mich dann auf die Welt zu setzen, nur um mich allein zu lassen, so dass ich rumgestoßen werde und um mein Leben kämpfen muss“, schrieb sie. Billie Holiday sang so intensiv, wie sie lebte – manchmal beängstigend intensiv, schrieb einmal die Wochenzeitung „Die Zeit“. Man habe ihr gesagt, dass niemand die Worte „Hunger“ und „Liebe“ so singen würde wie sie, erklärte Holiday selbst. „Vielleicht liegt es daran, dass ich weiß, was diese Worte bedeuten.“ Ihre Mutter war bei ihrer Geburt 19 Jahre alt, arbeitete als Hausmädchen und Servierhilfe. Ihr 17-jähriger Vater, der die Mutter nie heiratete und nie bei der Familie wohnte, war der Jazz-Gitarrist Clarence Holiday.
Sie wuchs in Baltimore mit wechselnden Stiefvätern und Verwandten auf, wurde misshandelt und vergewaltigt. Ihre musikalische „Ausbildung“ erhielt sie als Teenagerin in einem Bordell mit einem Grammofon, auf dem sie ständig den neuesten Jazz hörte. Holiday spielte mit allen Großen des Jazz: Louis Armstrong, Benny Goodman, Charlie Parker, Lester Young. Obwohl sie nie Gesangsunterricht genommen hatte und keine Noten lesen konnte, waren Bandmusiker und Publikum begeistert. Ihre großen Themen waren das, was sie kannte: Ungerechtigkeit, Rassendiskriminierung und immer wieder Kerle, die sie schlecht behandelten. In den Clubs trat sie unter dem Namen Billie Holiday auf, nach dem Stummfilmstar Billie Dove und ihrem Vater Clarence Holiday. Populär wurde sie auch als „Lady Day“, ein Spitzname, den ihr der Saxofonist Lester Young gab. Die schwarze Sängerin erfuhr immer wieder Diskriminierung am eigenen Leib: Wenn sie mit weißen Musikern spielte, musste sie den Konzertsaal oft über den Hintereingang betreten.
Ihren Tiefpunkt an Erniedrigung erlebte sie, als ein Clubbesitzer sie vor einem Auftritt anwies, ihr Gesicht dunkler zu färben. Er fürchtete, das Publikum könnte sie für eine Weiße halten, die gemeinsam mit schwarzen Musikern auf der Bühne stehe. Die Herabsetzungen und Vorurteile allein wegen der Hautfarbe machten das Leben zu einer ständigen Plage, schrieb sie. „Zwar kann man sich dagegen wehren, aber damit fertig werden kann man nicht.“
Ihr Markenzeichen wurde „Strange Fruits“, eine der bittersten Anklagen in der Jazz-Musik: Die „seltsamen Früchte“, die am Baum hängen, sind die Leichen von gelynchten Schwarzen. Mit dem Stück landete sie einen Top-20-Hit. Doch wie viele berühmte Musikerkollegen ihrer Zeit konsumierte Holiday neben Whiskey und Marihuana auch zunehmend Heroin.
Nach einer Polizeirazzia in ihren Hotelzimmer kam sie zwischenzeitlich ins Gefängnis. Nach der Haft war ihr verboten, in Lokalen aufzutreten, in denen Alkohol ausgeschenkt wurde. „Alles, was Drogen für dich tun können, ist, dich umzubringen, und zwar auf langsame und grausame Art“, bilanzierte sie wenige Jahre vor ihrem Tod. Billie Holiday starb am 17. Juli 1959 in New York an Leberzirrhose.
CD-Tipps
Billie Holiday: The Centennial Collection (1 CD, Sony) und Lady Day: The Master Takes And Singles (4 CDs, Sony) Passend zum 100. Geburtstag zwei Neuveröffentlichungen: „The Centennial Collection“ (20 Songs) ist eine gut sortierte Best-of-CD der Jahre 1935 bis 1945. Mit 80 zwischen 1933 und 1945 entstandenen Liedern sowie einer Laufzeit von mehr als vier Stunden steigt die Vier-CD-Box „Lady Day“ weitaus tiefer in den Kosmos der Billie Holiday ein. Ein 36-Seiten-Booklet und die hochformatige Verpackung adeln das Teil zusätzlich.