„Ich bin ein neugieriger Mensch“, sagt Franz Peter Fischer, nimmt seine Geige und schüttelt ein paar Läufe aus dem Handgelenk. Dann greift er zu einem anderen Bogen, spielt noch einmal. Der zweite Bogen ist aus Carbon. „Klanglich kann man nichts aussetzen“, urteilt der Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters Würzburg. In der Spielbarkeit sei der Carbonbogen einem Holzbogen sogar überlegen. Fischer rät deswegen Schülern und Studenten immer wieder zu Carbon. Kunststoff statt Holz: Ist das die Zukunft?
Ein klares Ja kommt von Bernd Müsing. Kein Wunder: Der Würzburger stellt Carbonbögen her. Die Aussage des 45-Jährigen ist mehr als Eigen-Werbung: Über 60 Prozent der verkauften Bögen seien heute aus Carbon, so der Inhaber der Firma Arcus. Die Revolution in den Orchestergräben, die vor gut zehn Jahren begann, sie schreitet fort.
Aus gutem Grund, meint Arcus-Mann Müsing, selbst Hobby-Geiger. Seine Bögen seien doppelt so biegesteif wie Holzbögen. So kann der Musiker mehr Druck ausüben – also einen kräftigeren Ton spielen –, ohne dass sich die Stange bis auf die Saiten durchbiegt (was einen hässlichen Ton gibt). Um Verbiegen zu vermeiden – und weil sie immer länger wurden –, mussten Geigenbögen aus Holz im Lauf der Jahrhunderte immer schwerer gebaut werden. Ein Barockbogen wiegt zwischen 45 und 50 Gramm. Seit der Romantik bringen Geigenbögen über 60 Gramm auf die Waage. Das ermöglicht den größeren Ton, wie ihn Komponisten und Hörer seit der Mitte des 19. Jahrhunderts schätzen.
Ein Carbonbogen ist leicht wie ein Barockbogen, taugt aber dank der Steifigkeit auch für Kräftiges ? la Wagner und Bruckner. Arcus-Bögen sind – weltweit einzigartig und patentiert – innen hohl. Müsing nimmt eine Bogenstange aus der Fertigung: Die Wände der achteckigen Röhre – es gibt sie auch rund – sind so dünn, dass man fürchtet, sie zwischen zwei Fingern zerdrücken zu können. Das geht natürlich nicht, denn Carbon ist einer der festesten und leichtesten Werkstoffe, die es gibt. Aus dem kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff werden Formel-1-Autos ebenso gefertigt wie hoch belastete Teile von Segelflugzeugen.
In seinem Winterhäuser Haus betrachtet Franz Peter Fischer seinen Holzbogen. „Bögen wurden eigentlich seit 1800 nicht mehr wirklich weiterentwickelt“, sagt er und findet es gut, dass sich da in den letzten Jahren etwas tut. Freilich, es gebe „in der Szene“ auch Vorurteile gegen das neuzeitliche Material.
„Die alten Geigenbauer haben viel und gerne experimentiert“
Franz Peter Fischer Konzertmeister
Ein altehrwürdiges Instrument per synthetischem Bogen zum Klingen zu bringen, das gehe gar nicht, meint mancher Traditionalist. Fischer, der für ein Jahr eine Stradivari spielen durfte, hat diese Berührungsängste nicht, sagt er. Dennoch hängt er an seinem Holz aus dem frühen 19. Jahrhundert, für entsprechende Kompositionen holt der 49-Jährige auch mal einen Barock-Bogen aus seiner kleinen Sammlung. Aber wenn er heute noch einmal anfangen würde . . .
Mit jahrzehntelanger Erfahrung als Orchester- und Kammermusiker und als Solist sieht Fischer auch die praktische Seite des geringeren Gewichts eines Carbonbogens: „Zehn Gramm leichter ist eine Menge. Wenn Sie 40 Jahre lang Berufsmusiker sind, kommen da Tonnen zusammen, die Sie nicht bewegen müssen . . .“ Tatsächlich haben viele Profi-Geiger gesundheitliche Probleme. „Ein Berufsmusiker, der mit 50 nicht angeschlagen ist, hat Glück“, sagt Fischer, der sich selbst zu den Glücklichen zählt. Der Arzt und Musiker Gert Feser bestätigt die Einschätzung des Geigers. „Schädigungen der Schulter sind nicht selten“, sagt Feser. Auch ein nur zehn Gramm leichterer Bogen sei eine Erleichterung für Knochen, Gelenke und Muskeln.
Geigenbogenbauer Müsing sieht den gesundheitlichen Aspekt zwar ebenso. In erster Linie geht es ihm aber um den Ton. „Hohl klingt besser“, sagt er, auch mit Blick auf die Konkurrenz. Deren Carbonbögen seien aus vollem Material. Plastik-Nachbauten von Holzbögen nennt sie der Wahl-Würzburger aus der Lüneburger Heide despektierlich.
Laien neigen dazu, die Bedeutung des Bogens zu unterschätzen. Dabei ist der Bogen, „die Verlängerung des Arms“ (Fischer), fast wichtiger als die Violine. „Laut, leise, traurig, dunkel, hell – das macht alles der Bogen“, sagt Franz Peter Fischer. Unterschätzt wird von Laien auch oft der Wert eines Bogens. Dass eine Geige von Stradivari teuer ist, das weiß man. Dass ein Bogen bis zu 100 000 Euro aus der Kasse zieht, weiß nur der Kenner. Musiker, die im Alltag 20 000-Euro-Bögen handhaben, sind keine Seltenheit. Müsing verkauft seine Arcus-Bögen zwischen 600 und 4000 Euro, vorwiegend an Profis, über ein Netz von weltweit 150 Vertriebsstellen, meist Geigenbauer.
Der „neugierige Mensch“ Franz Peter Fischer hat sogar schon eine Violine aus Carbon ausprobiert – und war überrascht. Gar nicht schlecht geklungen habe die und sei „erstaunlich laut“ gewesen. Beim Boston Symphony Orchestra seien Celli aus Carbon im Einsatz, weiß der Konzertmeister.
Was hätte Antonio Stradivari zu Kunststoff-Geigen gesagt, der Meister aller Geigenbauer aus dem 17. Jahrhundert, der sein Holz sorgfältig aussuchte und es einer speziellen Behandlung unterzog? Er hätte sich wahrscheinlich gefreut, mutmaßt Geiger Fischer. „Die haben damals viel und gerne experimentiert.“
Ganz ohne traditionelles Material geht's indes nicht einmal bei den fortschrittlichen Arcus-Bögen. Der Bezug, der über die Saiten gleitet, ist aus Rosshaar, wie zu Stradivaris Zeiten. Aber Tüftler Müsing grübelt schon über Alternativen . . .