Ein spektakulärer Fall schrieb österreichische Kriminalgeschichte: Der Ex-Häftling Johann Kastenberger sammelte als Marathonläufer Meriten und spazierte nebenbei ungerührt in Bankfilialen, um abzukassieren – Verbrechen als Spiel, Sucht und Kick. Der in der Nähe von Würzburg aufgewachsene Regisseur Benjamin Heisenberg nähert sich der Figur in seinem Kinofilm vorsichtig, lässt ihr ein Geheimnis – bis zum bitteren Ende. „Der Räuber“ startet am Donnerstag auch in Unterfranken.
Frage: Warum wollten Sie ausgerechnet die Geschichte dieses Bankräubers verfilmen?
Benjamin Heisenberg: Bankräuber faszinieren mich. Der österreichische Produzent gab mir Martin Prinz' Roman nach dem authentischen Fall des Bankräubers Johann Kastenberger, im Volksmund Pumpgun-Ronnie. Ausgangspunkt für mich war der Sportler und Marathonläufer, und der ist eine sehr einsame Figur.
Was ist dieser Rettenberger, wie er im Film heißt, für ein Typ?
Heisenberg: Ein Getriebener, ein Endorphin-Junkie, der wie ein Wolf seiner Natur folgte – eine in sich zerrissene Persönlichkeit mit einem hohen animalischen Anteil. Gleichzeitig ist er ein Mensch, der lieben will, Wünsche hat und von einer Zukunft träumt, aber seiner eigenen Natur nicht entrinnen kann.
Die Überfälle auf Banken sind noch nachvollziehbar, aber als er seinen Bewährungshelfer erschlägt, erschreckt das unkontrollierte Gewaltpotenzial.
Heisenberg: In dem Moment hat sich die Situation sehr zugespitzt, er steht unter hohem Druck, auch der Konflikt mit seiner Freundin lässt ihn nicht unberührt, die zu dem Zeitpunkt schon über seine kriminellen Aktivitäten Bescheid weiß. Sein Radius hat sich reduziert, er fühlt sich in die Enge getrieben. Und da kommt der Bewährungshelfer mit seiner Penetranz im falschen Moment, und er verliert die Beherrschung. Er trägt eine riesige Aggression in sich, ohne die könnte er diese Art von Anarchie und Revolte gegen die Gesellschaft gar nicht durchhalten.
Rettenberger ist kein Robin Hood. Statt den Armen das Geld zu geben, steckt er es achtlos unter sein Bett.
Heisenberg: Über die sozialen Zusammenhänge macht er sich keine Gedanken. Geld zählt nicht für ihn. Gesellschaft ist für ihn bis zu einem gewissen Grade irrelevant. Er kauft sich vielleicht mal eine neue Uhr, das war's dann aber schon.
Würden Sie sagen, er ist ein Resultat der Gesellschaft, in der der Einzelne vereinsamt und sich vielleicht aus Frust ein Ventil sucht?
Heisenberg: Wer den Film als Sozialstudie nimmt oder als Resozialisierungsgeschichte liest, der befindet sich auf dem Holzweg. Das Faszinosum dieses Menschen liegt in der Kraft, in der er sich aufbäumt gegen sich selbst und seine Grenzen, aber auch gegen die Grenzen der Gesellschaft. Rettenberger ist niemand, von dem man sagen könnte, er ist an etwas Bestimmtem gescheitert. Das wäre so, als würde man sich wundern, wenn ein Tiger, den man aus seinem Gehege lässt, einen Menschen anfällt. Er hat diese Wildheit ganz tief in sich.
Welche Helden oder vielleicht besser gesagt Antihelden mögen Sie im Kino?
Heisenberg: Ganz unterschiedliche. Ich mag Filme wie „Getaway“ oder „Auf der Flucht“, die großen Hollywooddramen und „Der Pate“, gleichzeitig bin ich ein großer Fan des französischen Kinos. Ich liebe die Figuren von Henri Verneuil und Luis Bu?uel, aber auch Herrn R. aus Rainer Werner Fassbinders „Warum läuft Herr R. Amok“.
In welches Genre sollen wir „Der Räuber“ einordnen?
Heisenberg: Einerseits Porträt, andererseits Bankräuberfilm und bis zu einem gewissen Grad auch Biopic. Es geht wirklich um das Leben dieses Mannes. Wir haben den Roman als Vorlage genommen und uns erst einmal an der ausgesprochen starken, nicht chronologischen Struktur orientiert. Für das Drehbuch haben wir recherchiert und Informationen gesammelt, uns mit Zeitzeugen getroffen, Leuten, die ihn als Marathonläufer trafen, Polizisten und ganz unterschiedliche Personen.
Wie haben Sie logistisch den ständigen Wechsel von Drehorten bewältigt?
Heisenberg: Eine Tour de Force für die Schauspieler, das ganze Team und für mich. Das ging an die Substanz. Insgesamt drehten wir acht Wochen an ungefähr 90 Locations, den ersten dreiwöchigen Drehblock an 44 Drehorten. Manchmal wechselten wir den Standort alle drei Stunden, da bleibt nur wenig Zeit. Es gibt viele Orte, durch die die Hauptfigur einfach durchläuft, aber auch da muss man mit der Kamera mitfahren, das Laufen ist nicht unaufwendig. An den Drehtag beim Wien-Marathon darf ich nicht denken. Wir mussten uns nach einem minutengenauen Zeitplan richten. Das Ganze war schon ein Wahnsinn.
Ihr erster Spielfilm, „Schläfer“, wurde der Berliner Schule zugerechnet, fühlen Sie sich der noch zugehörig?
Heisenberg: Ich halte nichts davon, alles und nichts unter ein Label zu stellen. „Der Räuber“ ist von der Stilistik her nicht mehr unter diesem Begriff einzuordnen, aber man erkennt schon noch die Handschrift. Ich wende mich ja nicht um 180 Grad, sondern versuche, mich auf neuem Terrain auszuprobieren. Das Konstrukt Berliner Schule hat sich als Phänomen nicht überlebt. Das waren alles Erstlingsfilme von jungen Regisseuren, die eine Vision teilten, und wir sagten immer, wartet doch, wir machen noch unsere zweiten und dritten Filme, da wird sich viel ändern.
Welche Richtung möchten Sie jetzt einschlagen?
Heisenberg: Ich arbeite gerade an einer Komödie. Ich kann mir verschiedene Richtungen vorstellen und werde nach den Themen gehen, die mich am meisten reizen, und abwarten, welche spannenden Projektangebote auf mich zukommen.
Benjamin Heisenberg
Geboren am 9. Juni 1974 in Tübingen als Sohn des Neurobiologen Martin Heisenberg. Die Mutter, Apollonia Gräfin zu Eulenberg, ist eine Nichte von Richard von Weizsäcker. Benjamin Heisenberg wuchs in Reichenberg bei Würzburg auf, studierte zunächst Bildhauerei. Das anschließende Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen in München schloss er mit dem Film „Schläfer“ ab, der den Max-Ophüls-Preis gewann. Sein neuer Film „Der Räuber“ wurde in diesem Jahr mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. FOTO: DPA