Gerd Schaller zuckt die Achseln. Unsicherheit? Damit muss man als Künstler wohl leben. Egal, ob als Schauspieler, der immer auf der Jagd nach dem nächsten Engagement sein muss, oder als Maler, der nie sicher sein kann, dass er noch in zehn Jahren im Geschäft ist. Gerd Schaller ist Dirigent. Freischaffend. Genau genommen also ohne gesicherte Zukunft. Doch die Aussage „die Zukunft ist unsicher“ würde er nicht unterschreiben. Eher schon: „Die Zukunft ist offen.“ Was einen positiven Klang hat.
Schaller, 49, hatte Festanstellungen.15 Jahre lang. An der Staatsoper Hannover, am Staatstheater Braunschweig, 2003 bis 2006 war er als Generalmusikdirektor (GMD) in Magdeburg unter Vertrag. GMD-Posten sind dünn gesät. Die Flut der Bewerber ist, wenn denn mal einer frei wird, groß.
Würde er die Chance ergreifen, wenn sie sich böte? Gerd Schaller grübelt über dem Caféhaus-Tischchen, von der Theke her nimmt, nur kurz, das Klappern von Geschirr überhand. „Momentan“, sagt er, „möchte ich das gar nicht.“ Denn es ist ja nicht so, dass der gebürtige Bamberger nichts zu tun hätte. Freischaffender Dirigent – das kann jede Menge Arbeit bedeuten. Auch, weil man halt nicht, wie ein vertragsmäßiger Chefdirigent, eben mal so 50 Musiker hat, die nur darauf warten, dass man den Stab schwingt. Ohne Kontakte in der Szene läuft nichts.
Gerd Schaller ist seit seinem Studium an der Würzburger Hochschule für Musik lange genug im Geschäft, um die zu haben. „Basis ist die Philharmonie Festiva“, sagt er. Entwickelt hat sich dieses Orchester, das sich bis zu Bruckner-Stärke ausbauen lässt, aus den Münchner Bachsolisten, die wiederum der legendäre Karl Richter gründete. Im Lauf der Zeit habe er persönliche Kontakte zum Braunschweiger Staatsorchester und der Meininger Hofkapelle aufgebaut, zählt Gerd Schaller auf. Dann seien da noch die Kammerphilharmonie Bamberg, die sich aus Mitgliedern der Bamberger Symphoniker zusammensetzt, und die Philharmonie Budapest . . . und wenn das noch immer nicht reiche, um ein spezielles Projekt zu verwirklichen, könne er sich an Agenturen wenden. Auch Beziehungen zum Bayerischen Rundfunk schaden nicht. Der nimmt immer wieder Konzerte beim Ebracher Musiksommer auf, einem Festival, das Schaller künstlerisch leitet. „Für den BR ist natürlich wichtig, dass die Qualität stimmt“, sagt er selbstbewusst.
Dank seiner Kontakte hat der in München und im fränkischen Schlüsselfeld lebende Freiberufler geschafft, was nur wenige Dirigenten schaffen: Er hat mit der Philharmonie Festiva alle neun Sinfonien von Anton Bruckner eingespielt, zum Teil auch noch in unterschiedlichen Varianten. Es fehlt nur noch die sogenannte Nullte („Ich nenn' sie lieber ,frühe d-Moll-Sinfonie‘“), aber das kommt ja vielleicht noch.
Bis auf eine Aufnahme (die im Bad Kissinger Regentenbau aufgenommen wurde) entstanden alle Einspielungen live in der Abteikirche von Ebrach. Das große Gotteshaus hat die passende Akustik für Bruckners Werke – aber auch einen Nachteil: Als Kirche eines ehemaligen Zisterzienserklosters steht sie, den Vorgaben des Ordens gemäß, in einem abgelegenen Landstrich.
Ebrach, irgendwo in der Mitte zwischen Würzburg und Bamberg gelegen, scheint also nicht eben der ideale Ort für ein Musikfestival zu sein. Und doch gibt es den Ebracher Musiksommer seit 24 Jahren. Und doch konnte Echo-Klassik-Preisträger Schaller mitten im Steigerwald ein Bruckner-Festival etablieren. Sogar aus München sei da Publikum gekommen, und aus Kassel. Manch einer sei sogar aus Österreich und aus London angereist, sagt Schaller. Das Bruckner-Festival gibt es derzeit nicht mehr. Nicht wegen mangelnden Interesses, wehrt Schaller ab. Und auch nicht, weil Ebrach zu abgelegen sei. Es seien nun aber alle Sinfonien gespielt. Es könne aber schon mal wieder weitergehen, „in welcher Form auch immer“.
Der Ebracher Musiksommer dagegen dehnt sich aus. Zwar bleibt der barocke Kaisersaal in der 2000-Seelen-Gemeinde Hauptveranstaltungsort. Doch gibt es auch Konzerte in der Konzerthalle Bamberg und im Bad Kissinger Regentenbau. Große Säle, die sich nicht einfach füllen lassen, indem man – Schallers Ziel bei der Programmplanung – „etwas Besonderes“ macht. Das machen andere auch. Es ist auch ein finanzielles Risiko. „Es geht um Mischkalkulation“, sagt der Festivalleiter. Unterstützung kommt etwa von der Oberfranken Stiftung und vom Markt Ebrach. Makler helfen dabei, Sponsoren und Kooperationspartner zu finden.
Flexibilität muss sein
Gerd Schaller, Freiberufler, spricht gerne über Musik, aber nicht so gerne über Geld. Reich werde man mit CD-Aufnahmen jedenfalls nicht, räumt er immerhin ein. Es gehe ihm dabei vor allem darum, einen Moment zu dokumentieren. „Es ist wie eine Fotografie, die eine bestimmte Situation festhält“, sagt er. Die Aufnahmen hört er sich nur während des Produktionsprozesses an. „Daheim nie. Ich glaube auch, dass ich nach einiger Zeit erschrecken würde, weil ich's inzwischen ganz anders mache.“
Er muss sich ständig weiterentwickeln, um als Freiberufler gut durchzukommen, denn: „Man kommt da doch mit unterschiedlichen Klangkörpern zusammen. Und jedes Orchester hat seinen eigenen Charakter.“ Flexibilität ist Voraussetzung für die Freiheit des Künstlers. Auch die Zeit, sich Ausgrabungen zu widmen, hat vielleicht nur ein freischaffender Musiker. Nächstes Projekt ist eine romantische Messe von Johann von Herbeck (siehe Kasten). Schaller musste jahrhundertelang vergessenes Notenmaterial einrichten, bevor er auch nur an Proben denken konnte.
Der Freischaffenden-Status scheint jede Menge Vorteile zu haben. Also nie mehr ein festes Engagement? „Das weiß man nicht. Das weiß man wirklich nicht.“
Ebracher Musiksommer
Das nächste Konzert beim Ebracher Musiksommer ist an diesem Sonntag, 25. Mai, im Kaisersaal der Steigerwaldgemeinde. Unter der Leitung von Gerd Schaller (im Bild) spielt die Philharmonie Festiva Glucks Ouvertüre zu „Orpheus und Eurydike“, Beethovens 3. Sinfonie („Eroica“) sowie das Cellokonzert von Joseph Haydn. Solist ist Markus Wagner.
Weitere Termine in diesem Jahr im Kaisersaal (Beginn jeweils 17 Uhr):
Am 8. Juni leitet Schaller das Symphonieorchesters des Nationaltheaters Prag (Schubert, Mendelssohn, Haydn).
Barockmusik mit Musikern des Gewandhausorchesters Leipzig gibt es am 5. und 6. Juli (unter anderem Bach, Händel, Vivaldi).
Rossini, Mendelssohn („Italienische Sinfonie“) und Beethoven stehen auf dem Programm des 14. September mit der Kammerphilharmonie Bamberg.
Am 21. September spielt die Philharmonie Festiva Mozart, Haydn und Beethoven.
Eine Ausgrabung wird am 7. September im Bad Kissinger Regentenbau aufgeführt: Schaller, die Philharmonie Festiva und der Philharmonische Chor führen die e-Moll-Messe von Johann von Herbeck (1831–1877) auf. Dazu gibt es Mozart. In der Konzerthalle von Bamberg gibt es am 2. November ein Konzert mit dem Radiosymphonieorchester Prag.
Vorverkauf unter Tel. (0 95 52) 297. Internet: www.ebracher-musiksommer.de