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IGERSHEIM: Der Kainsmaler: Als Würzburg Schokoladen-Stadt war

IGERSHEIM

Der Kainsmaler: Als Würzburg Schokoladen-Stadt war

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    Bereits sein erster, 2008 erschienener Roman („Der Dorfschulmeister“) hat etwas mit dem Leben von Gerd Friederich zu tun. Er erzählt darin die Geschichte eines Mannes, der Kritik am Schulsystem übt und eine klare Position hat: Kinder brauchen Wertschätzung. „Ich wollte meine Botschaften weitertragen“ – aber in anderer Form, in fiktiven Geschichten, in Bildungsromanen. Denn so ganz lässt das Thema den ehemaligen Pädagogen, der über Schulgeschichte promoviert hat, doch nicht in Ruhe.

    In seinem neuen Buch taucht er jedoch in eine andere, bisher eher verborgen gehaltene Welt ein. „Was ich jetzt mache, konnte ich lange nicht ausleben.“ Es ist die Liebe zur Malerei. „Eigentlich wollte ich Künstler werden.“ Seine Lehrer am Gymnasium in Bietigheim-Bissingen, die beiden bekannten Künstler Richard Hohly und Robert Foerch, ermunterten ihn dazu. Der Vater, ein Maschinenbau-Ingenieur, hatte jedoch eine klare Meinung: Sein Sohn sollte sich nicht mit brotlosen Dingen beschäftigen. Gerd Friederich fügte sich. Nach seinem Studium in Würzburg ging er zurück ins Schwabenland, wurde dort Lehrer für Kunst, Deutsch, Geschichte und Geografie.

    Identitätskrisen beim Menschen

    Es sollte jedoch nicht sein letzter Besuch einer Universität gewesen sein. In Tübingen studiert er in den 1970er-Jahren Pädagogik, Philosophie, Tiefenpsychologie und Landeskunde. „Das Thema Identitätskrisen beim Menschen, vor allem Angst bei Kindern, war mein Schwerpunkt.“ Mit 60 Jahren erfüllte er sich dann „einen großen Wunsch und machte an der Kunstakademie Nürnberg die Aufnahmeprüfung. Gerd Friederich wurde also doch noch Künstler. Deshalb sei im „Kainsmaler“ sehr vieles biografisch.

    Der Autor erzählt darin die Geschichte der Familie Ginther. Vater Georg ist Schokoladenfabrikant. Sein jüngster Sohn Gustav ist Maler. Er wird der Kainsmaler genannt, weil er immer wieder in seinen Bildern die biblische Geschichte von Kain, der seinen Bruder Abel tötet, verarbeitet. Auslöser ist ein rätselhaftes Familiendrama. Im Alter von zwei Jahren verschwand Gottfried, Gustavs Zwillingsbruder, auf mysteriöse Weise. Wurde er entführt? Ist er tot? Gustav quält der Gedanke, er könnte etwas mit Gottfrieds Verschwinden zu tun haben . . . Der Roman spielt vor genau einem Jahrhundert. Hauptschauplatz ist Würzburg. Die Stadt „war 1909 unglaublich modern und neben Stuttgart ein Zentrum der Schokoladenindustrie“.

    Gerd Friederichs Recherchen zu dieser Geschichte dauerten über zwei Jahre. Er besuchte Trödelmärkte, suchte in Antiquariaten nach Zeitdokumenten, erstand rund 200 Postkarten, Filme und die Gassenhauer aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, um sich ein Bild zu machen. Nur der Geschmack von Schokolade musste nicht eigens erforscht werden. Nicht nur er, auch seine Familie genießt leidenschaftlich das Produkt aus Milch, Zucker und Kakao. Viel Zeit verbrachte der Autor im Würzburger Stadtarchiv. Dort suchte er in alten Zeitungen wie dem „Würzburger Generalanzeiger“ nach Berichten, die er im Buch verarbeiten konnte. Er fand heraus, dass es damals in der Stadt „eine Fülle“ von Schokoladenfabriken und -manufakturen gab. Eine davon war die „Chokoladenfabrik Wucherer“ (aus ihr ging die Frankonia-Schokoladen- und Konservenfabrik hervor, heute Schokoladenwerke Frankonia). Sie war das reale Vorbild im Roman.

    Auch andere Details stimmen: die Orte, die alle für Gerd Friederich eine persönliche Bedeutung haben, die Straßennamen, die Namen der Gasthäuser, sogar das Wetter. „Die Vater-Sohn-Geschichte ist aber frei erfunden“, sagt er, könnte aber wahr sein, denn „in der Zeit zwischen 1900 und 1914 gab es viele dieser Köpenickiaden“. Mehr möchte der Autor nicht verraten – nur so viel: Mit seiner Romanfigur Gustav Ginther ist er eng verbunden, mit seinen Zweifeln in Bezug auf seine Kunst, mit seiner Identitätssuche, mit seinem Ringen um die richtige Malweise, mit seinen Ängsten, etwa die, „mit der Kreide in der Hand dem Verstand und Gefühl nicht gewachsen zu sein“.

    Auch der Maler Gerd Friederich fragt sich das immer wieder und gesteht: „Ich habe die Neigung, in meinen Bildern immer konkreter zu werden, als ich will.“ Es koste ihn Überwindung, abstrakt zu malen. „Zufrieden bin ich nie. Jeder der malt, kennt diese Zweifel, das muss man aushalten können.“ Deshalb möchte Gerd Friederich seine Bilder nicht ausstellen. Sie sind ganz privat. Mit anderen Meinungen auseinandersetzen möchte er sich nur auf literarischem Gebiet. Und dort ist er mit sich „sehr zufrieden“.

    Jeder Monat 1909 hat ein Kapitel

    Seine beiden Bücher bezeichnet er als Schlüssel- und Bildungsromane. Sie sind so geworden, wie er sich das vorgestellt hat. Seine Absicht, seinen Lesern „auch ein wenig Wissen“ zu vermitteln, realisierte er vor allem in seinem jüngsten Werk. Das Buch hat zwölf Kapitel – eines für jeden Monat des Jahres 1909. Jedes Kapitel wird eingeleitet mit einem Abriss der wichtigsten Ereignisse; sei es im Januar der 50. Geburtstag Kaiser Wilhelms II, im April die Eröffnung des Luftschiffhafens in Köln oder im Mai der 4:2-Sieg von Phönix Karlsruhe über Viktoria Berlin, mit dem der Verein deutscher Fußballmeister wurde.

    Auch die Gründung der Autofirma Audi im Juli 1909 ist Gerd Friederich eine Erwähnung wert, ebenso im Oktober der erste Alleinflug einer Frau mit einem Doppeldecker in Frankreich oder der Vortrag Rudolf Steiners über „Buddha und Christus“ im Dezember in Berlin.

    Der dritte Roman im Dezember

    Es sei ein Zeitlexikon, sagt er. Für andere „ein Stolperer“, wie ein befreundeter Leser kritisch bemerkt habe. Aber dieses Geschichtspanorama in Form von Schlagzeilen ist Gerd Friederich wichtig. Es unterbricht die Geschichte, macht sie langsamer. Ebenso die Erzählweise Friederichs. „Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen durch die Geschwindigkeit der heutige Zeit überrollt werden.“ Deshalb holt der Autor aus, erzählt in Echtzeit, in Dialogen. „Es ist keine Ratzfatz-Geschichte.“ Vielmehr eine, die dem Leser Zeit zum Atmen lässt, die auf kleinste Details achtet, auf Zeitkolorit, auf historischen Fakten.

    Vieles wird in kleinen Nebenepisoden präsentiert. Etwa die Herstellung französischer Pastellkreiden der Firma Sennelier. Sie liegen auch auf der Staffelei von Gerd Friederich in seinem Atelier im Wohnhaus in Igersheim.

    Dort malt er nicht nur Landschaften und Porträts. Dort entwickelt er Romanszenen, visualisiert die historischen Kulissen und seine Romanfiguren. Er notiert seine Ideen, bis der Plot entsteht, faltet alles zum Leporello. Erst dann beginnt er zu schreiben, den Schluss zuerst, danach den Anfang. Sein dritter Roman, „ein humorvoller, richtig depperter Krimi“, ist bereits fertig und wird im Dezember erscheinen. Zurzeit arbeitet er an seinem vierten Buch über Großschwaben. Auch Würzburg taucht darin wieder auf, wenn auch nicht als Hauptschauplatz.

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