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FRANKFURT: Der unbekannte Miró

FRANKFURT

Der unbekannte Miró

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    Großformate auf Papier: Joan Mirós Entwürfe für die Keramik-Wandbilder des UNESCO-Hauptquartiers in Paris, hier die „Sonnenwand“, um 1957.
    Großformate auf Papier: Joan Mirós Entwürfe für die Keramik-Wandbilder des UNESCO-Hauptquartiers in Paris, hier die „Sonnenwand“, um 1957. Foto: Foto: Norbert Miguletz

    Die Kunstgeschichte kann ziemlich grausam sein. Oder besser: die Konsumgeschichte, falls es so etwas gibt. Mühelos reduziert sie auch das vielschichtigste Werk auf einige wenige Arbeiten, die zu dekorativen Zwecken taugen, damit diese fürderhin – je nach Alter und Geschmack des Kunden – in mehr oder weniger gelungenen Reproduktionen in Blumenbeeten vermoosen oder über Sofas, in Studentenbuden oder Arztpraxen verstauben. Man denke an die Venus von Milo, Dürers Hasen, Picassos Don Quixote oder van Goghs Sonnenblumen.

    Der Mann, der die Malerei ermorden wollte

    Joan Mirós (1893–1983) Werk ist das auch widerfahren, seine kleinteiligen, verspielten, tänzerischen Motive strahlen eine fröhliche und angenehm rätselhafte Vitalität aus und sind somit bestes Poster-Material. Die Frankfurter Kunsthalle Schirn zeigt deshalb noch bis 12. Juni in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich einen anderen Miró. Den Maler der großen Formate, den Grübler, den Experimentator, den radikalen Reduzierer. Den Mann, der Ende der 1920er Jahre behauptet, die Malerei „ermorden“ zu wollen.

    Reisen in die Randbereiche der Malerei

    Was er bekanntlich nicht tut. Wohl aber begibt er sich in die Randbereiche der Malerei. Oder zu deren ursprünglichsten Wurzeln, und das in zweifacher Hinsicht: Einerseits sind die 18 000 Jahre alten Höhlenmalereien etwa von Altamira von großer Bedeutung für ihn, andererseits denkt er ein Leben lang über die Wand nach. Die Wand als Inspirationsquelle, die Wand als Bildträger und damit als potenzielles Kunstwerk, ganz im Sinne da Vincis, der in einer Wand nur das unfertige Gemälde sieht.

    Kuratorin Simonetta Fraquelli bringt dazu im Katalog ein vielsagendes Zitat aus Mirós kargen Jahren im Paris der 1920er-Jahre: „Der Hunger war eine fantastische Halluzinationsquelle. Ich pflegte jeweils für längere Zeit dazusitzen und gegen die leeren Wände meines Ateliers zu starren, um diese Formen auf Papier oder Sackleinwand einzufangen.“

    Ein Bauernhof als Ausgangspunkt für Bilderreisen

    Der Untertitel der Ausstellung öffnet die entsprechenden Assoziationsräume: „Wandbilder | Weltenbilder“. Ausgangspunkt für die Reise in Mirós unbekanntere Bilderwelten ist eines seiner letzten gegenständlichen Bilder: „Der Bauernhof“ von 1921/22 ist eine surrealistisch anmutende, auf den zweiten Blick vor allem akribisch ausgeführte Bestandsaufnahme des elterlichen Anwesens. Und darin fällt besonders die minutiöse Darstellung einer Wand mit all ihren Flecken, Rissen und Scharten auf.

    Direkt daneben hat Projektleiterin Katharina Dohm ein Spätwerk um 1973 gehängt, das wohl die wenigsten auf Anhieb Miró zuschreiben würden: ein äußerst reduziertes Triptychon. Flächen und Punkte in Schwarz machen den weißen Bildgrund zum Raum – der Betrachter kann kaum anders, als Horizonte, Landschaften, Gestirne zu assoziieren. Mirós Bildtitel helfen selten weiter, sie bezeichnen meist das, was man ohnehin sieht: „Blau“, „Malerei“ oder „Zeichen und Figurationen“.

    Die Bildtitel helfen wenig weiter

    Anders als Paul Klee, dessen Bildtitel untrennbar mit den Bildern verbunden sind, ist bei Miró das Material nicht nur physischer, sondern auch metaphysischer Bildträger. Wenn er auf grobes Sackleinen, Spanplatte oder Sandpapier malt, dann wird das Elementare mit seiner Eigenfarbe und seinen Eigenschaften im Kontakt mit der gemalten Farbe zum vollwertigen Bildbestandteil, dann wird die Fläche zum unendlichen Raum. Dabei blitzt ein ganz eigener Humor nicht nur dann auf, wenn schlanke schwarze, irgendwie tentakelartige Formen am Rand suggerieren, ein tapsiges Fabeltier habe das Bild gerade verlassen, oder sei im Begriff, es zu betreten. Der „Kopf von Georges Auric“ ist selbstverständlich kein Porträt im klassischen Sinne, doch die helle Form auf Schwarz, im Inneren strukturiert mit ein paar wenigen Linien, könnte durchaus als Darstellung des vielschichtigen Werks des Komponisten verstanden werden, der sowohl effektvolle Filmmusik (etwa für den klassischen Film noir „Rififi“) wie auch geistreiche Kammermusik schuf.

    Ein Punkt wird zum Planeten

    „Blau“ von 1925 ist eine Fläche feinster Blauschattierungen, die eine Weiterentwicklung von Monets spätesten Seerosen sein könnte. Wäre da nicht der kleine Punkt links oben – er sieht aus wie ein Loch oder ein Himmelskörper, das bleibt dem Betrachter überlassen. Am beeindruckendsten – neben Großformaten wie dem Entwurf für Mond- und Sonnenwand am UNESCO-Gebäude in Paris – ist vielleicht „Malerei (Die Magie der Farbe)“ von 1930. Eine große rote, eine große gelbe, eine kleine schwarze runde Fläche auf weißem Grund – so platziert, dass sich unendliche Assoziationen von Schwerkraft, Erdanziehung oder Schwerelosigkeit ergeben. „Als ich das sah, musste ich mein Bild von Miró maßgeblich ändern“, sagt Katharina Dohm.

    Kunsthalle Schirn Frankfurt: „Joan Miró – Wandbilder | Weltenbilder“, bis 12. Juni. Geöffnet Di., Fr.–So. 10–19 Uhr, Mi., Do. 10–22 Uhr.

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