Ein Seebär tischt seinen Enkeln handfeste Lügen auf; ein Junge ist kein herziges Bübchen, sondern schlicht und ergreifend ein Arschloch, der Senior kein reizender Rentner, sondern ein reizbarer, ständig nörgelnder alter Sack – und immer wieder geht's recht deftig um Sex. So ist sie, die Welt des Walter Moers. Und das, was der 55-Jährige zeichnet, malt, schreibt, ist womöglich gar nicht so weit weg von real existierenden Denkmustern. Wer sich auch nur ansatzweise mit der Geschichte des Homo sapiens beschäftigt, weiß: Zu allen Zeiten wurde und wird gelogen, ausgerechnet diejenigen, die am lautesten schreien, kriegen oft recht, und allzu oft bestimmen Triebe die Geschicke von Menschen.
Walter Moers hat die Gabe, menschliche Verhaltensweisen, fast bis zur Unkenntlichkeit zugespitzt, in die Region der Groteske zu katapultieren. Wer über seine Karikaturen und Texte lacht, lacht eigentlich über die wirkliche Welt und – vielleicht ohne es gleich zu merken – auch über sich selber. Moers ermöglicht eine Art von intuitiver Wahrheitserkenntnis unter Umgehung des rationalen Großhirns. Genau so muss gute Satire funktionieren.
Man sollte ihn keinesfalls unterschätzen, den Erfinder des „Kleinen Arschlochs“, des „Alten Sacks“ und des „Käpt'n Blaubär“ (bekannt aus der „Sendung mit der Maus“). Er trifft Aussagen über die Realität, wo man's auf den ersten Blick gar nicht erwartet. Hinter seinen Comics steckt mehr als nur der Wunsch, zu schockieren. Moers sieht, dass auf der Welt nun wirklich nicht alles gut ist. Was einen wie Schopenhauer seinerzeit in den Pessimismus trieb, treibt ihn zum gnadenlosen Witz. Jedenfalls in seinen Arbeiten für Erwachsene ist das so, die Geschichten für Kinder sind naturgemäß harmloser. „Das Geschäft mit dem Humor ist eine traurige Angelegenheit“, behauptet Moers. Im Kontext sind derartige Aussagen aber mit Vorsicht zu genießen, weil doppelbödig und immer nur so ernst gemeint, wie gallige Ironie eben sein kann.
Wer nur den Comic-Zeichner sieht, kennt nur die halbe Wahrheit. Moers lässt sich nicht aufs „Kleine Arschloch“, seine populärste Figur und Antiheld eines erfolgreichen Kinofilms, reduzieren. Der Mönchengladbacher erweist sich in seinen Zeichnungen und in seinen Parodien auf Meisterwerke der Malerei als Kenner der Kunstgeschichte. Und er ist ein belesener Büchermensch. Das macht die Ausstellung im Bad Mergentheimer Deutschordensschloss (siehe Kasten) gleich am Eingang deutlich: Der Besucher sieht sich raumhoch von Büchern umgeben – ein bedruckter Vorhang macht's möglich. Die Moers'schen Romane „Die Stadt der träumenden Bücher“ und „Das Labyrinth der träumenden Bücher“ sind tiefe Verbeugungen vor dem gedruckten Wort, vielleicht sogar Liebeserklärungen.
Inspirationsquellen für seine weitläufigen surrealistischen Konstrukte fand der Autodidakt in mittelalterlichen Epen, Märchen, Schelmenromanen, in Werken von Gottfried Keller und Lewis Carroll („Alice im Wunderland“). Nimmt man seine Freude am Erfinden grotesker Vorgänge, am spielerischen Verknüpfen scheinbar weit voneinander entfernter Gedanken hinzu, kann man Moers ohne Weiteres als „einen der wichtigsten Geschichtenerfinder Deutschlands“ sehen, wie das der Pressetext zur Ausstellung tut.
Dann ist da noch „Adolf, die Nazisau“. Die Moers-typisch langnasige Comic-Figur, diesmal mit gestutztem Schnurrbart und Rechtsscheitel, räsoniert schon mal über „de Jodn“. Eine animierte Version („Der Bonker“) ist im Internet ein Hit. Auch das alles ist überzeichnet. Es ist Satire. Es ist politisch unkorrekt (was Moers generell wenig kümmert). Es ist aber auch hart an der Grenze. Doch Nazis lächerlich zu machen, ist eine Möglichkeit, die Aura des Geheimnisvollen, die den „Führer“ noch immer umweht, zu brechen. Und, ganz allgemein, zu einem unverkrampfteren Umgang mit dem heiklen Thema beizutragen.
Walter Moers' anarchistischer Humor ist nicht jedermanns Sache. Das „Kleine Arschloch“ war denn auch schon ein Fall für die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“ (die den Antrag abwies). Es gibt genügend Leute, die Moers' Arbeiten peinlich und unsäglich finden. Was wiederum eine Art Welterkenntnis ist. Schließlich passiert – Nachrichten und Zeitungen zeigen's tagtäglich – genug Peinliches und Unsägliches in Politik und Gesellschaft . . .
Moers in Bad Mergentheim
Die 7 1/2 Leben des Walter Moers heißt die Ausstellung in Bad Mergentheim. Zu sehen sind im Deutschordensschloss und im Kulturforum Comics, Parodien auf Meisterwerke der Kunstgeschichte, Skulpturen. Vom „Kleinen Arschloch“ bis zu Käpt'n Blaubär und den Zamonien-Romanen ist in den Ausstellungen in über 300 Objekten praktisch der ganze Moers präsent.
Den selbstironischen Comic „Supermoers“ hat der Künstler eigens für Bad Mergentheim gestaltet. Das Heftchen samt Poster gibt es exklusiv für Ausstellungsbesucher.
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und Feiertage 10.30-17 Uhr. Bis 15. September.