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FRANKFURT: Emil Nolde und die Nazis

FRANKFURT

Emil Nolde und die Nazis

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    Mensch und Natur: Emil Noldes „Frühling im Herbst“ aus dem Jahr 1940 zählt zu den letzten Gemälden, die der Maler vor dem Erlass des Berufsverbots 1941 schuf.
    Mensch und Natur: Emil Noldes „Frühling im Herbst“ aus dem Jahr 1940 zählt zu den letzten Gemälden, die der Maler vor dem Erlass des Berufsverbots 1941 schuf.

    Er ist berühmt für seine farbgewaltigen Blumenbilder. Knallroter Mohn, leuchtend gelbe Stiefmütterchen, pink-violette Lilien: Die Leinwand scheint zu glühen. Auch die Seestücke Emil Noldes sind von einer aufgewühlten Farbintensität. Kunstdrucke seiner Werke zieren in Postergröße Studentenbuden ebenso wie gediegene Wohnzimmer – Originalwerke sogar das Arbeitszimmer von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. Nolde gehört zu den Lieblingen der Moderne – in der Kunstwelt wie bei politischen Vertretern wie bei der breiten Masse. Das heile Bild des Farbmagiers hat nun, obwohl auch seine Brauntöne lange bekannt sind, Risse bekommen.

    Die Retrospektive im Frankfurter Städel Museum präsentiert alle Schaffensphasen des Künstlers – neben den pastosen Farbstürmen auch Bilder, die viele bislang wohl nicht mit Nolde in Verbindung gebracht haben. Etwa seine Vorliebe für Groteskes wie die „Bergriesen“, die der gelernte Holzbildhauer und gewerbliche Zeichner zwischen 1895 bis 1896 gemalt hat. Auch das sphärische Licht im Bild „Kanal“ von 1902 verblüfft, ebenso die schwebend „Lichte Meerstimmung“ aus dem Jahr 1901. Sie begrüßt die Besucher der großen Werkschau im Städel. Es ist die erste Retrospektive nach 25 Jahren.

    Beim frühen Nolde, der 1867 als Hans Emil Hansen im Dorf Nolde im deutsch-dänischen Grenzgebiet geboren wurde, brennt die Leinwand also keineswegs. Er beginnt einerseits humorvoll bizarr, anderseits verhalten, spürt Impressionen nach. Der Expressionist zeigt sich ab etwa 1906. Das Fantastische und Groteske zieht sich dabei durchs Gesamtwerk.

    Diese weniger bekannte Seite des Künstlers gehört zu den angenehmen Entdeckungen im Städel. Anders verhält es sich mit der dunklen Seite – und die ist nicht in seinem Werk erkennbar: Emil Nolde war ein großer Verehrer Adolf Hitlers und ein begeisterter Anhänger der „schönen Erhebung des deutschen Volkes“, so seine Worte in einem Brief vom April 1933. Er hing – wie seine dänische Frau Ada – völkischem Gedankengut an und lehnte die „alljüdische Bevormundung“ ab. Er denunzierte sogar seinen Künstlerkollegen Max Pechstein – fälschlicherweise – als jüdisch, berichten Aya Soika und Bernhard Fulda im Katalog zur Frankfurter Ausstellung. Darin veröffentlichen die Historiker erste Ergebnisse zu einem von der Nolde Stiftung Seebüll unterstützten Projekt, in dem sie erforschen, „in welchem Bereich der Grauzone sich Nolde bewegt hat“, so Christian Ring, Direktor der Nolde Stiftung Seebüll.

    Trotz Hitler-Verehrung gehört Nolde aber auch zu den verfemten Künstlern des „Dritten Reiches“. Über 1000 seiner Werke wurden ab 1937 konfisziert, fast 50 Bilder waren in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ vertreten – als Beispiele für den von Hitler bereits 1933 auf dem Nürnberger Reichsparteitag angeprangerten „Primitivitätskult“. Und im Hetzblatt der Nazis, dem „Völkischen Beobachter“, hieß es, dass Hitler damit „allen kubistischen, expressionistischen und dadaistischen Scharlatanen“ verdeutlich habe, dass sie im „Neuen Deutschland“ ausgespielt hätten. Dies wollte Emil Nolde lange nicht wahrhaben. Kurz nach der Machtergreifung stellte der Maler einen Aufnahmeantrag beim völkischen Kampfbund für deutsche Kultur, dieser wurde jedoch abgelehnt. Ein Jahr später, 1934, trat Nolde in die NS-Arbeitsgemeinschaft der deutschen Minderheit in Nordschleswig ein – eine der Gründungsparteien der NSDAP in dieser Region. Seine Bilder gefielen sogar einigen Nazigrößen, etwa Propagandaminister Joseph Goebbels. Auch er hatte in seinem Arbeitszimmer Nolde-Werke hängen – bis er sie auf Geheiß Hitlers entfernen musste.

    Noldes Anstrengungen, von den Nationalsozialisten anerkennt zu werden, waren vergebens, so Felix Krämer, Ausstellungskurator und Leiter der Sammlung Kunst der Moderne im Städel. 1941 erhielt der Maler Berufsverbot, durfte fortan nicht mehr öffentlich als Künstler in Erscheinung treten und seine Werke nicht zum Verkauf anbieten. In dieser Zeit entstand ein Großteil seiner faszinierenden „Ungemalten Bilder“: Aquarelle auf stark saugendem Japanpapier. Diesen Zyklus begann Nolde bereits 1938 nach seiner Verfemung als „entarteter Künstler“. Damals versuchte er sich noch zu wehren und schrieb in einem Brief an Goebbels von Verkennung, denn „meine Kunst ist deutsch, stark, herb und innig“.

    Bereitwilliger Anhänger und Opfer wider Willen: Noldes Persönlichkeit ist komplex – oder „janusköpfig“, wie es der Tübinger Rhetorik-Professor Walter Jens 1967 in einem Vortrag zur Feier des 100. Geburtstags von Nolde in Seebüll, dem langjährigen Wohnsitz des Künstlers, bezeichnete. Auch die Nolde-Forscher Aya Soika und Bernhard Fulda charakterisieren den Künstler als teilweise widersprüchlich. „Viele seiner eindeutigen Sympathiebekundungen waren mit bestimmten strategischen Zielen verbunden, und es ist nicht immer einfach, zwischen persönlicher Überzeugung und zweckgerichtetem Opportunismus zu unterscheiden.“

    Noldes ambivalentes Verhältnis zum Nazi-Regime geriet nach 1945 sicher nicht in Vergessenheit. Ihm wurde aber aufgrund seiner Brandmarkung als „Entarteter“ überwiegend die Rolle des Opfers zuerkannt. Und die Hinweise auf die braune Gesinnung fanden lange keine größere Aufmerksamkeit. Das scheint nun vorbei. Seiner Kunst tut dies keinen Abbruch – weil er seiner Bildsprache laut Christian Ring trotz seiner schwierigen Rolle vor 1945 treu geblieben ist. Deshalb wurde er von den Nazis abgelehnt. Noldes Glück.

    Die Ausstellung „Emil Nolde. Retrospektive“ präsentiert im Frankfurter Städel Museum bis 15. Juni rund 140 Gemälde, Aquarelle und Druckgrafiken und gibt einen Überblick über alle Schaffensphasen des Künstlers. Die Werkauswahl reicht von expressionistischen Landschaften über Berliner Nachtszenen und exotische Südseemotive bis hin zu religiösen Darstellungen. Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Samstag, Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag und Freitag 10 bis 21 Uhr. Am 20. März spricht Bernhard Fulda ab 19 Uhr über „Emil Nolde im Nationalsozialismus; Am 12. April beginnt ab 20 Uhr die „Nolde-Nacht“. Info: www.staedelmuseum.de

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