Farin Urlaub, Sänger der Rockband Die Ärzte, hat den Urlaub zu seiner Passion gemacht. Er träumt davon, sämtliche Länder der Erde zu bereisen. 117 hat er schon bereist. Seine Eindrücke eines Trips durch Australien und Osttimor hat der Rockstar in einem 500 Seiten starken Bildband festgehalten. Ein Gespräch über Reisen in Schurkenstaaten, Bon Scotts Grab und das Comeback der Ärzte.
FRage: Sie haben mal gesagt: „Ich muss die ganze Welt sehen, sonst kann ich nicht ruhig sterben.“ Was treibt Sie an?
Farin Urlaub: Ich versuche, tiefer zu gehen. Sehen im Sinne von erfahren. Deswegen reise ich in viele Länder auch mehrmals. Mich interessiert, wie die Leute leben. Wie reagieren sie auf neue Lebensumstände? Wie geht ihre Kultur mit den Herausforderungen um, mit denen auch wir konfrontiert sind?
Die Indigenous People, die Ureinwohner Australiens, wurden früher von den Weißen Aborigines genannt. Wie nahe sind Sie ihnen gekommen?
Urlaub: Die schwarze Kultur Australiens wurde mir ein bisschen vorenthalten. Mein Kontakt zu den Ureinwohnern beschränkte sich darauf, dass ich jemanden beim Trampen mitgenommen oder ein Fahrzeug abgeschleppt habe. Sie suchen den Kontakt nicht und sind auch nicht neugierig, wenn jemand mit der Kamera rumsteht. Schaut man sich ihr Verhältnis zu den Weißen in den letzten 250 Jahren an, überrascht das nicht. Einige Siedlungen der Ureinwohner liegen am Rand der Great Central Road; es ist bei Strafe verboten, dort reinzugehen. An den Tankstellen habe ich welche getroffen, aber die guckten einfach durch mich hindurch. Wenn mir so deutlich Desinteresse signalisiert wird, muss ich keinen Kontakt herstellen.
Wie ist heute das Verhältnis der weißen Australier zu den Ureinwohnern?
Urlaub: Mehrere Weiße haben mir erzählt, die Aborigines seien alle Verbrecher. Da liegt auf jeden Fall etwas im Argen. Die Behörden versuchen, eine künstliche Chancengleichheit zu schaffen, aber es gibt nur einen einzigen Aborigine-Abgeordneten – und das auch erst seit einem Jahr. Die Ureinwohner stellen rund zwei Prozent der Bevölkerung, aber fast 20 Prozent der Gefängnisinsassen.
Im australischen Freemantle fotografierten Sie das Denkmal und das Grab des ehemaligen AC/DC-Sängers Bon Scott.
Urlaub: Ich bin halt Fan von AC/DC. Mittlerweile habe ich auch eine Biografie von Bon Scott und eine Bandbiografie gelesen. Als Musiker habe ich mich natürlich mit seinen Texten beschäftigt. Scott schreibt vordergründig über total platte Themen: fette Weiber, Partys und so weiter. Aber wie er das macht, ist sensationell. Er war wirklich ein Meister der Sprache. Deswegen wollte ich ihm einfach meinen Respekt zollen. Ich bin dann an seinem Todestag an sein Grab gefahren, wo dann hauptsächlich Deutsche waren, mit denen ich aber englisch geredet habe. Das war total lustig.
Hat man Sie erkannt?
Urlaub: Nee, für AC/DC-Fans bin ich ein weithin unbekanntes Wesen.
Tausend Dollar in bar, eine Fotoausrüstung, Wanderschuhe, zwei Hemden, Shorts und eine Badehose – das war Ihr gesamtes Gepäck für drei Wochen in Osttimor im Anschluss. Reisen Sie immer so spartanisch?
Urlaub: Spartanisch war es nicht, weil die Kameraausrüstung 30 Kilo wog. Dann bleiben halt nur noch drei Kilo fürs persönliche Gepäck. Mehr braucht man auch nicht. Meine einzige Vorbereitung war eine E-Mail von einem deutschen UN-Mitarbeiter: „Komm mal her, hier ist es schön!“ Osttimor war eine spontane Entscheidung. In Australien gab es keine Landkarten, zum Glück fand ich einen Sprachführer Englisch-Tetum/Tetum-Englisch. Dann bin ich einfach losgefahren. Ich hatte weder ein Bild noch Ziele im Kopf und ließ mich einfach treiben. Osttimor ist ungefähr so groß wie Schleswig-Holstein, aber mit weniger Asphaltstraßen. In drei Wochen habe ich es nicht geschafft, alles zu sehen.
Was hat Osttimor Ihnen persönlich gegeben?
Urlaub: Ganz kitschige Sachen: Fremden gegenüber offen und hilfsbereit zu sein. Auf jeder Reise lerne ich immer wieder, wie weit das verbreitet ist – außer bei uns. Und dass man nichts besitzen muss, um teilen zu können. Und dass unsere Werte nicht allgemeingültig sind.
Die Einwohner Osttimors gelten als äußerst gastfreundlich, aber das deutsche Auswärtige Amt warnt für das gesamte Land auch vor bewaffneten Überfällen.
Urlaub: Die Reisewarnungen haben die Funktion, Leute vor Gefahren zu schützen. Die müssen ausführlich warnen. Von den vielen Waffen, die mit Sicherheit noch im Land unterwegs sind, habe ich vor Ort keine einzige wahrgenommen.
Das Honorar für Ihr Buch haben Sie einer Klinik in Osttimor gespendet. Woran fehlt es dort am meisten?
Urlaub: Unter anderem gibt es keine gute medizinische Versorgung. Ein Amerikaner hat deshalb in Dili die Bairo-Pite-Klinik aufgemacht. Sie wurde mir als würdige Spendenempfängerin empfohlen.
Sie schrecken auch vor Schurkenstaaten wie Syrien und Simbabwe nicht zurück. Was reizt Sie daran?
Urlaub: Ich war mal in Damaskus. Überall sah man Fotos von Bashir al-Assad, sogar auf Privat-Pkws. Ich habe das Land als extrem friedlich empfunden; es war offenbar die Ruhe vor dem Sturm. Nicht, dass ein falsches Bild aufkommt: Mich interessiert halt, wie Menschen miteinander umgehen.
Haben Sie auch schon mal eine Reise bereut?
Urlaub: Ja, eine Reise nach Burma. Ich hatte mir alles vorher ganz genau überlegt. Ich wollte versuchen, so zu reisen, dass die Junta nichts an mir verdient, wusste aber nicht, inwieweit das überhaupt geht. Vor Ort musste ich feststellen: Man kann gar nicht so reisen, dass die nichts an dir verdienen. Außer du läufst zu Fuß. Aber dafür hätte ich keine Erlaubnis bekommen. So bin ich geflogen und in Hotels abgestiegen, überall hat die Junta an mir verdient. Hinterher plagte mich das schlechte Gewissen. Für die anderen Schurkenstaaten muss ich Wege finden, dass ich so unabhängig wie möglich reisen kann. Es gibt auch Länder, vor denen ich Angst habe. Ich möchte ungern zu Tode gefoltert werden.
Wie viele Länder haben Sie inzwischen gesehen?
Urlaub: 117. Ich gehe nicht nach der UN-Liste vor. Taiwan hat zum Beispiel keine UN-Anerkennung. Auf der halboffiziellen Liste, an der ich mich orientiere, stehen etwa 230 Länder. Wenn man die einzelnen Inseln noch dazu zählt, sind es sogar knapp 500. Das werde ich wohl nicht mehr schaffen.
Die Ärzte haben ihr für 2012 geplantes Comeback ausgerechnet in einem „Micky Maus“-Sonderheft angekündigt. Hoffen Sie, auf diese Weise Ihr Publikum zu erreichen?
Urlaub: Nee, das war aus Quatsch. Immer nur in der Musikpresse, das wäre langweilig.
Farin Urlaub
Der Musiker, geboren am 27. Oktober 1963 in Berlin, heißt mit bürgerlichem Namen Jan Vetter. Seinen Künstlernamen wählte er nach seinem Lieblingshobby: Er fährt gerne in Urlaub. Urlaub ist Gründungsmitglied der Rockband Die Ärzte, außerdem ist er seit 2001 als Solokünstler aktiv und Kopf des Farin Urlaub Racing Teams. Seit seiner Kindheit haben ihn besonders die Beatles und Frank Zappa geprägt. Urlaub betrachtet sich nicht als guten Gitarristen, da er häufig „unsaubere“ Akkorde spiele und bis heute keine Noten lesen könne. Der großformatige Bildband „Farin Urlaub: Australien & Osttimor. Unterwegs 2 – Fotografien“ ist bei Schwarzkopf & Schwarzkopf erschienen. Die Erstauflage ist limitiert, nummeriert und von Farin Urlaub handsigniert, 504 Seiten, ca. 600 farbige Abbildungen, elf Ausklappseiten, Format 24 x 30 cm, 98 Euro.