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UTTING: Gottfried John im Interview: Von sadistischen Nonnen und dem Überleben als Pflastermaler

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Gottfried John im Interview: Von sadistischen Nonnen und dem Überleben als Pflastermaler

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    Gottfried John: „Wenn man gefordert wird, dann entwickelt man ganz andere Kräfte.“
    Gottfried John: „Wenn man gefordert wird, dann entwickelt man ganz andere Kräfte.“

    Doch als Jugendlicher entwischte er, weil er es dort nicht länger aushielt. Mit seiner Mutter ging er nach Paris, um dort ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen. Eine bewegte Kindheit, die John aber nicht schwächte, sondern stark machte und gut auf die Schauspielerei vorbereitete, wie er meint. Ein Gespräch mit dem in Utting am Ammersee lebenden Schauspieler, der am Mittwoch, 29. August, seinen 70. Geburtstag feiert, über sadistische Nonnen und das Überleben.

    Frage: Heute sind viele Eltern darauf bedacht, ihr Kind zu fördern, vor allem im kreativen Bereich. Sie sind als Kind nicht groß gefördert worden, zählen aber heute zu den bekanntesten deutschen Schauspielern. Wie kam das?

    Gottfried John: Das stimmt, mit Förderung war nicht viel, aber ich bin gefordert worden. Das ist, glaube ich, sehr wichtig. Wenn man gefordert wird, dann entwickelt man ganz andere Kräfte, andere Begabungen. Es finden sich andere Möglichkeiten.

    Was hat Sie gefordert?

    John: Das waren die Lebensumstände, egal, ob das im Heim oder in einer fremden Stadt wie Paris war, in der ich lebte, aber die Sprache nicht konnte. Ich habe da gelernt, wie man überlebt, wie man weiterkommt. In Paris habe ich als Pflastermaler gearbeitet.

    Wie kamen Sie auf diese Idee?

    John: Es war eine Möglichkeit, um mich über Wasser zu halten. Ich war ja nur als Tourist in Paris. Alle drei Monate musste ich über die Grenze und wieder einreisen. Die Pflastermalerei ist damals erst erfunden worden. Junge Maler von der Akademie haben das erfunden, um etwas Geld zu verdienen. Einer hat mir gezeigt, wie man grundiert, wie man das richtige Pflaster findet. Das war echte Arbeit.

    Wie wurden Sie dann Schauspieler?

    John: Das ist nicht unbedingt mein Wunsch gewesen. Aber ich wollte einen anständigen Beruf lernen, und da fiel mir nichts anderes ein. Ich wollte nicht ewig in Paris bleiben. Ich musste so lange aus Deutschland wegbleiben, weil ich erst mit 21 volljährig wurde. Sonst wäre ich im Heim gelandet.

    Es war ja viel über die schlimmen Erfahrungen mancher Kinder in Heimen zu lesen. Was für Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit im Heim?

    John: So heftige Erlebnisse, wie ich sie jetzt geschildert lese, hatte ich nicht. Ich habe zwar gelitten unter sadistischen Nonnen und anderen Erwachsenen. Ich war eigentlich besser aufgehoben in einem Heim für schwer erziehbare Kinder, da waren die Erzieher etwas toleranter. Aber ich habe mich auch viel gewehrt und habe viel lernen müssen, vor allem über Menschen und über die Zugehörigkeit zu Gruppen.

    Haben Sie Ihrer Mutter irgendwann mal Vorwürfe gemacht, weil Ihre Kindheit so verlaufen ist?

    John: Nein, komischerweise nicht. Ich habe meine Mutter immer sehr bewundert, weil sie sehr ungewöhnlich und eigenständig war. Vielleicht auch, weil ich nichts anderes kannte. Ich habe mein Leben einfach angenommen, dadurch habe ich sehr viele verschiedene Leben gelebt. Da gab es genauso Freude oder Trauer. Die Grundempfindungen bleiben gleich, wie bei anderen Menschen auch. Und wenn man sich diesen Kinderblick behält, dann erlebt man die Dinge anders.

    Haben Sie sich diesen Kinderblick bewahrt?

    John: Ich meine ja.

    Haben Ihre Erfahrungen als Kind Ihre Arbeit als Schauspieler beeinflusst?

    John: Auf jeden Fall, ich hatte immer das Gefühl, dass ich sehr gut verschiedene Figuren übersetzen und darstellen kann, weil ich mich da auskenne. Weil ich das schon mal erlebt, gesehen und empfunden habe und mir nicht erst etwas erfinden musste.

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