Der schöne Hagen Rether war in die Grafenrheinfelder Kulturhalle gekommen und er plauderte mit seiner noch schöneren Stimme so angenehm und klug daher, dass die mehr als drei Stunden wie im Flug vergingen. Der Kabarettist zeichnete bitterböse die momentane gesellschaftliche Situation auf, ließ aber auch sein Publikum nicht aus der Selbstverantwortung, aus der Position, „mit sich selbst wieder auf Augenhöhe“ zu sein.
Aber eigentlich ist es ja die Situation selbst, die bitterböse ist, nicht nur als Politikum, sondern als konkrete Lebenssituation. „Wie konnte das alles in so kurzer Zeit auf den Hund kommen?“, fragt er, legt, wie mit dem Seziermesser, die gesellschaftlichen Strukturen bloß und schneidet damit ins Fleisch des ungenauen Denkens.
Dezent und elegant
Rether plaudert über all die Themen, die auch anderswo diskutiert werden. Aber er rückt sie in ein anderes, schärferes Licht.
„Fleisch essen und mit dem Flugzeug fliegen ist doch heute keine Privatsache mehr“, sagt er und fragt im harmlosen Plauderton: „Wann ist uns eigentlich die Empathie abhandengekommen?“ Wenn „fettleibige Anstandsbürger sich beschweren, dass sie ihre Turnhallen wiederhaben wollen, in denen Kinder zwischen Tüchern schlafen, nachdem sie wochenlang durch den Schnee zu uns geflüchtet sind“. Wenn in Deutschland 20 Milliarden Euro für Flüchtlinge ausgegeben werden, 35 Milliarden für Haustiere und die Übergewichtigkeit der Bürger 200 Milliarden kostet.
Der 47-Jährige wandert in der Geschichte umher und zieht Parallelen, die zu denken geben sollten: „Vor 70 Jahren sah Deutschland so aus wie Syrien heute.“ Auf seine dezente, elegante Art zeigt der 47-Jährige sich angewidert von dem blöden Spruch, dass sich eh nichts ändern werde, dass es „eh schon immer so gewesen ist“.
Zu Veränderungen komme es wohl erst dann, wenn der Einzelne wieder in seine Eigenverantwortung gerät. „Wir haben so viel unerledigte Ethik vor unserer Haustür!“ Was bedeutet es, gleichberechtigter Teil der Weltgemeinschaft zu sein? Und wie kommt man aus dem Ungleichgewicht wieder raus? „Der weiße Mann hat den Arsch auf Grundeis“, konstatiert Rether nebenbei.
Wie kommt es zu einer Umverteilung der Werte innerhalb von Wochen und Monaten, wenn Flüchtlingshelfer Todesdrohungen erhalten, wenn „Intellektueller“ und „Bildungsbürger“ zu Schimpfwörtern geworden sind? „Werte kannst du nicht verteidigen, nur leben.“
Was ein Opernbesuch bringt
Und Rether zeigt auf, wofür Kultur gut sein kann: zum Sublimieren. Ein Opernbesuch, um nicht selbst morden und vergewaltigen zu müssen. Und meint ganz nonchalant: „Ein Kontinent von 500 Millionen Menschen, der nicht in der Lage ist, fünf oder fünfzehn Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, hat in der Zukunft sowieso nichts verloren.“
Hagen Rether spricht von „wir“ und gibt „uns“ damit unsere eigene Verantwortung zurück, von wegen Kabarettkonsum, nach dem wir satt und erleichtert wieder nach Hause gehen können! Das eigentlich Bitterböse entpuppt sich als der Abstand, der zwischen uns und einem gelingenden Leben liegt.