Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

WÜRZBURG: Hannes Jaenicke rechnet ab

WÜRZBURG

Hannes Jaenicke rechnet ab

    • |
    • |
    Tier- und Umweltschützer: Hannes Jaenicke drehte fürs ZDF Dokus über bedrohte Tierarten, unter anderem über Eisbären.
    Tier- und Umweltschützer: Hannes Jaenicke drehte fürs ZDF Dokus über bedrohte Tierarten, unter anderem über Eisbären. Foto: Fotos: dpa

    Hannes Jaenicke (53) ist einer der meist beschäftigten Schauspieler im deutschen Fernsehen. Seine Popularität nutzt er, um sich für Tier- und Umweltschutz und neuerdings auch für die Verbraucher einzusetzen. Jaenickes kritisches Konsumbuch „Die große Volksverarsche“ steht auf Platz eins der „Spiegel“-Bestsellerliste. Im Gespräch rechnet er mit industriehörigen Politikern, Energiemonopolisten und Lebensmittelkonzernen ab.

    Frage: Welche Erkenntnis hat Sie bei den Recherchen zu Ihrem Buch am meisten überrascht?

    Hannes Jaenicke: Überrascht war ich, wie viele Banker redewillig waren und auch über ihre eigene Branche sehr kritisch sprachen. Ich war nicht überrascht, dass von der Pharmaindustrie niemand mit mir reden wollte. Und ich war bei der Recherche ziemlich überrascht, dass an der Energiewende, die zwar ein Propagandapaket der schwarz-gelben Regierung ist, gar kein Mensch wirklich Interesse hat. Das ist eine absolute Mogelpackung. Was sicherlich auch damit zu tun hat, dass die Energielobby unglaublich mächtig ist und die Politik vor sich her treibt. Bis dahin dachte ich immer, es gäbe einen ernsten Willen zur Veränderung seitens der Politik und vielleicht sogar der Energiemonopolisten. Aber in Wirklichkeit will die Energieindustrie weiter Atomkraftwerke laufen lassen und ihre Kohle weiter möglichst billig verfeuern. Die Ambition, für den Klimaschutz wirklich etwas zu tun, ist minimal. Angela Merkel hat sich ja lange als Klimakanzlerin feiern lassen.

    Nun wird auch behauptet, ein Klimawandel fände überhaupt nicht statt. Sind Sie bei Ihren Recherchen auch solchen Leuten begegnet?

    Jaenicke: Es gibt genug Klimawandelleugner. Denen ist sowieso alles egal. Aber viele Klimaforscher sagen, dass die Situation sich noch weiter verschärfen wird. Zwischen der Heftigkeit und der Frequenz von Stürmen oder Überschwemmungen und dem Klimawandel gibt es einen Zusammenhang. Ob man das hören will oder nicht. Jeder Klimaleugner ist eindeutig gekauft von der Industrie. Die TU in München hat einen Lehrstuhl für Klimaforschung. Die haben in einem statistischen Projekt festgestellt, dass 96 Prozent der weltweiten Klimaforscher der Meinung sind, der Klimawandel ist menschengemacht. Fakt ist: Die Polkappen schmelzen, das Wattenmeer säuft ab, die Malediven saufen ab, die Gletscher schmelzen in einem unfassbaren Tempo, die Regenwälder verschwinden. Da gibt es einfach nichts mehr zu leugnen.

    Hat Ihr Promistatus bei den Recherchen geholfen?

    Jaenicke: Ich habe das Buch zusammen mit einer großartigen Rechercheurin gemacht, sie heißt Swantje Steinbrink. Es gibt Stellen, für die mein grauenhafter Promistatus nützlich war. Das waren hauptsächlich die Ministerien. Durch meine ZDF-Dokumentationen hatte ich bereits viele Kontakte zur Politik. Das ist mir zugutegekommen.

    Wie industriehörig ist das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz?

    Jaenicke: Ist das eine ernst gemeinte Frage? Ich nenne es immer das „Verbraucherverschmutzungsministerium“. Es soll gleichzeitig für den Verbraucherschutz und die Agrarindustrie verantwortlich sein. Das ist schizophren. Die gehören auseinanderdividiert. Nirgendwo werden Lobbyisten so extrem auf eine Ministerin gehetzt wie in diesem Fall: Die Lebensmittellobby, die Agrarlobby, die Fischereilobby, die Forstlobby, die Jagdlobby– alle belagern Frau Aigner, und die soll dann bitte Verbraucherschutz machen. Es darf gelacht werden! Frau Aigner besaß sogar die Unverfrorenheit, die Ampelkennzeichnung für Lebensmittel abzulehnen. Man muss nicht lange raten, warum.

    Was können wir tun, dass Staat und Wirtschaft für mehr Klarheit am Markt sorgen?

    Jaenicke: Indem wir gewisse Produkte gezielt kaufen und andere gezielt meiden. Nestlé oder Müller Milch sind nur so mächtig, weil wir dauernd deren Produkte kaufen. Die 70 000 populärsten Nahrungsprodukte weltweit gehören fünf Konzernen. Wo bleibt denn da bitte das Kartellamt? Ich kaufe nur im Bioladen und nur fair gehandelte Produkte, auch wenn ich weiß, dass nicht überall Bio drin ist, wo Bio draufsteht. Ich sabotiere komplett Nestlé-, Kraft- und Unilever-Lebensmittelprodukte. Die größte Müllproduktionsschleuder der Welt ist die Nespresso-Maschine. Viel besser sind fair gehandelte Biopads, die sind kompostierbar. Der Verbraucher kann ganz gezielt Einfluss nehmen.

    Gibt es Marktbereiche, in denen Produkte und Anbieter nicht täuschen wollen?

    Jaenicke: Die Unternehmen, die anthroposophisch geführt sind, arbeiten im sozialen und im Nachhaltigkeitsbereich erstaunlich vorbildlich und sind zudem ausgesprochen erfolgreich. Dazu gehören der Schweizer Lebensmittelkonzern Migros, der deutsche Marktführer im Drogeriemarktbereich DM oder die Kosmetikhersteller Dr. Hauschka und Weleda. Bei meinen Recherchen habe ich auch herausbekommen, dass Alfred Herrhausen Anthroposoph war. Er war der Banker, der am lautesten für die Entschuldung der Dritte-Welt-Länder plädiert hat.

    Nehmen Behörden und Unternehmen nachteilige Produkte eigentlich aus dem Handel?

    Jaenicke: Ich habe mal einen Film über Haie gedreht. Als wir anfingen, gab es im Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe noch Haifisch-Produkte wie „Schillerlocke“. Nachdem wir die Presseabteilung angerufen hatten, wurde das gesamte Hai-Sortiment unglaublich schnell aus dem Regal genommen, seitdem wurde nie wieder sowas angeboten. Das „Savoy-Hotel“ in Köln hatte vor unserem Film immer Thunfisch auf der Karte, danach nie wieder. Einmal traf ich einen Manager von Rewe, der auch den Film gesehen hatte. Seit 2011 koordiniert Rewe seinen Fischeinkauf mit dem WWF. Mit Fernsehen kann man immer noch viel bewegen.

    Fühlen Sie sich bei Verbraucherthemen von den politischen Parteien unterstützt?

    Jaenicke: Nein, überhaupt nicht. Jetzt im Wahlkampf kommen die Politiker mit den größten Versprechen an. Frau Merkel übernimmt kurzerhand das SPD-Programm und will eine Mietpreisbremse durchsetzen. Im Wahlkampf wird aber gelogen wie gedruckt. Finanzminister Schäuble verspricht: „Ich nehme jetzt die Banken an die Kandare!“ Warum wurde das aber nicht 2008 nach der Lehman-Pleite gesagt, als plötzlich viele deutsche Banken wackelten und der Staat 130 Milliarden Euro ausgeben musste, um eine angeblich „systemrelevante“ Hypo Real Estate in München zu retten?

    Werden denn die Grünen ihrem Ruf als Ökopartei noch gerecht?

    Jaenicke: Wenn die Grünen jetzt versprechen, dass sie Plastiktüten verbieten wollen, dann gehe ich davon aus, dass sie das ernst meinen. In Ländern wie Ruanda und Samoa gibt es schon seit Jahren keine Plastiktüten mehr. Nur wir kriegen das nicht hin. Die größte Unverschämtheit ist übrigens PLA, so genanntes Bioplastik. Die Italiener brüsten sich damit, dass sie die Plastiktüte verboten haben. Warum? Weil der größte PLA-Hersteller in Italien sitzt. Der kann jetzt munter sein Bioplastik verkaufen. Plötzlich werden Ackerflächen nicht mehr für Nahrungsmittel, sondern für Bioplastik verwendet. Aber PLA darf weder in die braune Komposttonne noch in die gelbe Plastiktonne. Dennoch wird das Ganze vom WWF unterstützt. Ein Skandal!

    Ist das ökologische Bewusstsein der Bevölkerung in den letzten Jahren gewachsen?

    Jaenicke: Definitiv. Wäre dem nicht so, wäre mein Buch ein Ladenhüter. Die Zuwachsraten bei den Bioläden sind zweistellig. Ich glaube die Deutschen sind bereit, mehr Geld für sauberen Strom und Biolebensmittel auszugeben. Eigentlich könnten die Parteien und die Industrie es sich leisten, da viel progressiver vorzugehen.

    Aber die Industrie ist einfach zu mächtig?

    Jaenicke: Schauen Sie sich doch mal die Umsätze von E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW an. Die müssen halt alle drei Monate vor ihre Aktionäre treten und eine Renditeansage machen. Deswegen investieren die so ungern in Windparks und Solaranlagen. Die wollen natürlich lieber Geld verdienen. Das hat auch mit dem Aktionär zu tun, der eine hohe Rendite erwartet. Die Idee, dass in der Wirtschaft alles ständig wachsen muss, ist krank.

    Sind Dokumentarfilme für Sie im Moment spannender als Spielfilme?

    Jaenicke: Nein, das ist für mich ein Hobby. Ich bin nach wie vor mit größter Begeisterung Schauspieler. Für das Buch habe ich ein halbes Jahr Pause gemacht, aber ab Juli drehe ich wieder Filme. Das ist, ehrlich gesagt, auch einfacher. Und von irgendwas muss ich schließlich leben. Von Dokus kann man kaum existieren. Ich habe von WDR-Journalisten gehört, die sind ein Jahr lang den Pflastersteinen hinterhergereist, die in deutschen Fußgängerzonen verlegt werden. Die Spur führte über Umwege nach Indien und Nepal. Dort sitzen sechs- bis achtjährige Kinder täglich 16 Stunden in der Hocke, um mit Hämmerchen diese Steine zu schlagen. Und die Früchte dieser Kinderarbeit liegen in jeder deutschen Fußgängerzone. Die beiden Journalisten haben ein Jahr in ihrem Auto gelebt, um das zu filmen. Solchen Leuten gönne ich, dass sie mit ihrer Arbeit irgendwann Geld verdienen. Solche Filme müssen ins Fernsehen.

    Hannes Jaenicke: Die große Volksverarsche (Gütersloher Verlagshaus, 192 S., 17,99 Euro)

    Hannes Jaenicke

    Der Schauspieler, geboren am 25. Februar 1960 in Frankfurt, ist in Pittsburgh (USA) und Regensburg aufgewachsen. Seine Schauspielausbildung absolvierte er am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, der Wiener Opernschule und der London School of Modern Dance. Jaenicke wirkte in vielen deutschen und US-TV- und Kinoproduktionen mit. Für das Drehbuch des Dreiteilers „Sardsch“ bekam er 1998 den Adolf-Grimme-Preis. Seit 2008 dreht der Vegetarier für das ZDF Dokumentarfilme über bedrohte Tierarten. 2010 erschien sein Buch „Wut allein reicht nicht. Wie wir die Erde vor uns schützen können“. Jaenicke war von 1999 bis 2001 verheiratet und ist heute mit einer Naturwissenschaftlerin liiert. Er lebt in Los Angeles und Köln. Text: ON

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden