Zu Zeiten der zweiten Regierung George Bush hätten die Macher von M*A*S*H vermutlich täglich mit einem Lynchmob rechnen müssen. Die amerikanische Rechte hätte wohl wenig Sinn gehabt für derart freche pazifistische, defätistische und unpatriotische Agitation. Jedenfalls galt in den ersten Monaten nach dem Angriff auf den Irak jegliche Kritik an Krieg und Militär als Verrat an der Sache von Demokratie und Freiheit. Schlimmer noch: Wer gegen den Krieg war, ließ seine Landsleute draußen im Felde im Stich. Das war Anfang der 1970er Jahre anders: Bürgerrechts- und Hippiebewegung waren in vollem Gange, und der nicht endenwollende Vietnamkrieg wurde allmählich zum nationalen Trauma.
Der Koreakrieg dauerte drei Jahre, von 1950 bis 1953. Die Serie M*A*S*H, basierend auf Robert Altmans Antikriegssatire, lief dreimal so lang, von 1972 bis 1983. Sie startete im vorletzten Jahr des Vietnamkriegs und war die schonungslose Demaskierung einer wahnwitzigen Operation, die Millionen Menschen das Leben kostete. Als Parabel auf Dummheit, Machtgier, Rassismus und Duckmäusertum (auch außerhalb des Kriegs) und die Gegenmittel Geist und Menschlichkeit ist M*A*S*H aber absolut zeitlos. Und als Verbindung von Unterhaltung und subversiver Zeitkritik bis heute unerreicht.
M*A*S*H spielt in einem amerikanischen Feldlazarett irgendwo in Korea. Die Abkürzung steht für „Mobile Army Surgery Hospital“. Ein Team von Chirurgen und Schwestern flickt immer wieder die jungen Männer zusammen, die in sinnlosen Schlachten verwundet und verstümmelt werden. Etwa wenn wieder irgendein durchgeknallter Colonel sich in den Kopf gesetzt hat, Hügel 102 einzunehmen. Dann knattern sehr bald die Hubschrauber über dem Camp aus Zelten und Baracken, und die Crews eilen zur Triage – zur Einteilung der Verwundeten in hoffnungslose, sehr dringende und dringende Fälle.
Im Grunde hat es Sisyphos leichter: Er muss nur immer wieder den gleichen blöden Stein den Berg hinauf rollen. Die Chirurgen hingegen heilen immer wieder aufs Neue, damit die Geheilten wieder kämpfen, töten oder getötet werden können.
Das lässt sich nur mit Zynismus ertragen – zumindest, wenn man über einen Rest Gefühle und ein Minimum an Grips verfügt. Was durchaus nicht für alle Camp-Insassen gilt. Für einen aber gilt es ganz besonders: Benjamin Franklin „Hawkeye“ Pierce, gespielt vom unvergleichlichen Alan Alda, einem schlaksigen Kerl, Typ ewiger Student und Schürzenjäger, aber mit einer einzigartigen Fähigkeit, Menschen in die Seele zu blicken. Sein Erfolgsrezept könnte lauten: Geist ist geil. Hawkeye steht für alles, was die dumpfen Chauvinisten der Unterschicht ebenso wie die Snobs mit Stammbaum und altem Geld fürchten und/oder verabscheuen: Gebildet, geistreich und als Arzt brillant, kennt er keinerlei Vorurteile und noch weniger Respekt vor allem Militärischen. Er ist nur Soldat, weil er eingezogen wurde, und Captain nur wegen seiner medizinischen Qualifikation: „Ich bin zufällig Offizier, weil ich dummerweise einer Einladung Präsident Trumans folgend diesen Kostümball eröffnet habe.“
Hawkeye ist eine Art Nachfahr von Groucho Marx. Wenn es einen absurden Aspekt gibt, wird er ihn freilegen. Die Eindimensionalität der Armee unterminiert er durch immer neue Perspektivwechsel. Beispiel: Sein Kommandant fährt ihn an, ob er denn den Tagesbefehl nicht gelesen habe. Hawkeye: „Ich warte, bis der Film rauskommt.“ Bis heute sind die Sprüche von Hawkeye und die seiner Kumpel Trapper John und (später) BJ Honnicut Kult – als Hausapotheke für die Wehwehchen des Alltags. Denn gedankenlose, unfähige, vertrottelte Vorgesetzte oder obrigkeitshörige Emporkömmlinge gibt es natürlich auch in der Firma, im Büro, im Amt.
M*A*S*H ist auch eine Betrachtung über das Wesen von Autorität. Über die Fähigkeit, Menschen zu führen, sie zu motivieren. Da gibt es den Lieutenant Colonel Henry Blake, einen ewigen Zauderer, der im Grunde unfähig ist, Entscheidungen zu treffen. Ein netter Kerl, aber man verlässt sich besser nicht auf ihn. Ihm folgt Colonel Sherman Potter, ein Bilderbuchberufsoffizier, der im ersten Moment wirkt, als müsste er der natürliche Feind von Leuten wie Hawk sein. Wie sich herausstellt, ist das Gegenteil der Fall. Blake war ein Kumpel, aber kaum eine Hilfe. Potter ist ein zäher Knochen aber durchaus vernünftigen Argumenten zugänglich – was in dieser Armee eher ungewöhnlich ist.
Erst um Potter herum entfaltet sich die bunt zusammengewürfelte Camp-Besatzung zu voller Blüte. Der Hillbilly Walter O'Reilly, der den Spitznamen Radar trägt, weil er immer schon vorher weiß, wenn die Hubschrauber kommen. Maxwell Klinger, der alles versucht, um wegen Irrsinns aus der Armee entlassen zu werden. Zu diesem Behufe trägt er Frauenkleider und spektakuläre Hüte. Der weise Potter lässt ihn gewähren und berät ihn sogar bei Farb- oder Musterentscheidungen. Major Margaret „Hot Lips“ Houlihan, die Patriotin, die dem großen Irrtum aufsitzt, dass die konservativen Männer, die sie gerne heiraten würde, eine Frau wie sie – berufstätig, ehrgeizig, prinzipientreu – haben wollen. Und schließlich Vater Francis Mulcahy, der Priester von unbeirrbarer Güte, von dessen Naivität man sich aber nicht täuschen lassen sollte.
Sie alle bilden eine Art Mikro-Amerika, das in seiner ethnischen, ideologischen und religiösen Zerrissenheit, in seiner Angst und Unsicherheit doch zu so etwas wie einer gemeinsamen Identität findet. Vielleicht also sollte das heutige Amerika ein wenig mehr M*A*S*H schauen.