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DÜSSELDORF: Immendorf auf der eigenen Totenfeier

DÜSSELDORF

Immendorf auf der eigenen Totenfeier

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    Immendorf auf der eigenen Totenfeier
    Immendorf auf der eigenen Totenfeier

    Markus Lüpertz ist ausstaffiert im Gehrock zur Trauerfeier für Jörg Immendorff erschienen, Kanzler Gerhard Schröder ist auch da und eine bekannte blonde Schauspielerin ebenfalls. Der verstorbene Jörg mischt sich unter die Gäste seiner eigenen Totenfeier. Flugs springt er aus dem Selbstporträt über dem Rednerpult, setzt sich in Gestalt des Malerteufels neben die blonde Actrice und lauscht den Reden der Würdenträger über die „innovative“ Kunst Immendorffs. „Ich hasse das Wort Innovation, das ist ein überflüssiger Knallkörper, eine Stinkbombe . . .“, entfährt es dem toten Immendorff, bevor er mit den alten Freunden in die „Paris Bar“ pilgert.

    Das ist der an Nonsens grenzende Beginn einer anekdotischen Hommage, die der Schriftsteller Tilman Spengler („Lenins Hirn“) seinem Freund Jörg Immendorff (1945-2007) acht Jahre nach dessen Tod gewidmet hat. Die spöttisch-ironische „fiktionale Biografie“, die nebenbei den Kunst- und Politbetrieb auf die Schippe nimmt, hätte dem 2007 an einer unheilbaren Nervenkrankheit gestorbenen Immendorff sicher gefallen.

    „Roman“ steht unter dem Titel „Waghalsiger Versuch, in der Luft zu kleben“. Spengler (68), der Immendorff 2001 auf einer Reise von Bundeskanzler Gerhard Schröder nach China kennenlernte, bezeichnet das Buch lieber als „Nacherzählung“. In 15 Tableaus erzählt er aus dem Leben eines der schillerndsten und bedeutendsten Künstler Deutschlands, der bekannt wurde durch seinen Bilderzyklus „Café Deutschland“ und seine unzähligen Affenskulpturen.

    Anspruch auf biografische Vollständigkeit oder sogar kunsthistorische Würdigungen darf man in dem 160 Seiten langen Büchlein aber nicht erwarten. „Der ganze Jargon des Kunstbetriebes ist mir schrecklich zuwider“, sagt Spengler. Auslöser für das Buch war eine Immendorff-Ausstellung der Münchner Pinakothek der Moderne, für die Spengler Katalogtexte schreiben sollte. Wegen seines Widerwillens gegen Feuilletontexte habe er aber Geschichten erzählen wollen. „Da zog eine Geschichte die nächste hinter sich her.“

    Von der Trauerfeier bis zur Taufe

    Am Anfang steht die ins Karikaturenhafte überzeichnete Trauerfeier für Immendorff 2007 in Berlin. Das Ende ist eine schräge Anekdote über die Taufe des kleinen Jörg 1946 im niedersächsischen Bleckede. Während der Zeremonie weidet ein Sperber im Gebälk der zerbombten Kirche eine Taube aus.

    Auch auf Immendorffs berühmtes goldenes Kanzler-Porträt bekommt der Leser eine neue Sicht. Gerhard Schröder reist mit einer Abordnung nach Düsseldorf, wo Immendorff in seinem Atelier dahinsiecht und sein Porträt Schröders für die Ahnengalerie im Kanzleramt präsentiert. „Das ist ja ein Ding“, lässt der Erzähler Schröder das Bild mit dem zusammengeschmolzenen Bundesadler und flankierenden Affen kommentieren. „Echt toll.“

    Man würde bisweilen gern wissen, was wahr und was erfunden ist. Viele Szenen hat Spengler selbst miterlebt. Etwa den medienwirksamen Prozess über Immendorffs Kokain- und Sexorgien oder die Übergabe des Kunstwerks „Die Nase“ 2003 bei einer Schröder-Reise in Sankt Petersburg. Auch bei dem abenteuerlichen Therapie-Versuch des todkranken Immendorff in China war er dabei.

    „Eine eindeutige Form von Besessenheit“ schreibt er Immendorff zu. „Er hatte etwas Berserkerhaftes, was ihn nicht immer zu einer liebenswürdigen Figur machte“, sagt Spengler. „Es ging von ihm eine Energie aus. Man merkte, da sprudelt etwas. Irgendein Dämon ist da drin. Das ist der Teufel, der da immer sitzt.“

    Tilman Spengler: Waghalsiger Versuch, in der Luft zu kleben (Berlin Verlag, 160 Seiten, 18 Euro)

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