Wenn Jörg Widmann Klarinette spielt, dann sprudeln die Töne in atemberaubender Geschwindigkeit aus seinem Instrument und man fühlt förmlich, wie der Solist eins wird mit seinem Instrument. Wenn man mit Jörg Widmann über Musik spricht, dann sprudeln die Worte ebenso aus ihm heraus und man wird als Gesprächspartner förmlich hineingezogen in den Sog seiner Sätze. Dann spürt man, dass er in der Musik lebt und die Musik in ihm.
Der 41-jährige, aus München stammende Künstler hat etwas zu sagen und er kann Musik erklären, sei es die klassische Musik Mozarts, seien es seine eigenen Kompositionen. Der international bekannte Klarinettist und Komponist ist in diesem Jahr beim Mozartfest als „Artiste étoile“ eingeladen.
„Ich brauche die Reibung“
Jörg Widmann Klarinettist
Jörg Widmann wird dabei sowohl als Interpret von Mozart-Kompositionen zu erleben sein und in diesen Konzerten seine eigenen Werke der Musik des Salzburger Meisters gegenüberstellen, getreu dem Festivalmotto „Mozart im Spiegel“. Fünf derartige Programme hat er für das Mozartfest zusammengestellt. Er wird aber nicht nur als Interpret, Komponist und Dirigent in Erscheinung treten, sondern auch erklärender Dozent.
Gleich im Eröffnungskonzert des Mozartfestes am 23. und 24. Mai gibt es ein derartiges „Kontrastprogramm“. Hier ist Widmann gemeinsam mit dem Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks in Mozarts berühmtem Klarinettenkonzert A-Dur (KV 622) zu hören, er wird aber auch seine Eigenkomposition „Ikarische Klage“ für zehn Streicher im Kaisersaal aufführen. Auf den ersten Blick scheinen dies unvereinbare Gegensätze zu sein. Aber nicht für Jörg Widmann.
Für ihn ist Mozart nicht der „Wohlklangkünstler“ ,für den er oft gehalten wird. Er verweist dabei auf das Klarinettenkonzert, in dem „eine Fülle von Dissonanzen“ enthalten seien. „Da denken die Zuhörer oft, wir spielen falsch“, erzählt er lachend in Heidelberg, wo er für ein kurzes Gespräch zur Verfügung stand. Für Widmann ist das Neben- beziehungsweise Miteinander der zwei musikalischen Welten nichts Besonderes, sondern eher selbstverständlich. Wenn er rein klassische Programme spielt, „bin ich manchmal etwas gelangweilt“, sagt er, genauso gehe es ihm aber auch, wenn er an einem Abend ausschließlich moderne Musik spielt: „Ich brauche die Reibung“, so sein Ansatz.
Aber ist es nicht ein Problem, wenn Besucher in ein Mozart-Konzert kommen und dann mit Widmanns zeitgenössischer Musik konfrontiert werden, die für ungewohnte Hörer durchaus manchmal sperrig und dissonant klingt? Widmann sieht da keinen großen Widerspruch. Denn wie das wirkliche Leben kenne auch die Musik sowohl Dissonanz und Wohlklang als auch Schatten und Licht. So sei auch die Musik Mozarts nicht immer nur zum Zurücklehnen und die moderne Musik für das Schreckliche zuständig, erklärt Widmann. Im übrigen gebe es ohne Dissonanz auch keinen Wohlklang, beide bedingten einander.
In seinen Konzertprogrammen erläutert Jörg Widmann seine zeitgenössischen Kompositionen für das Publikum. „Das ist eine Einladung, worauf man hören kann, dann finden diese Klänge auch mehr Anklang und viele Zuhörer verstehen es schnell als neue Erfahrung“, berichtet Widmann. Widmann gibt aber durchaus zu, dass es in der zeitgenössischen Musik Werke gibt, die beim ersten Mal schwierig zu hören seien. Das gehe auch ihm selbst so. Doch er müsse in seiner Musik ans Extreme gehen, „denn sonst bliebe ich stehen“. Die Erklärungen zur neuen Musik, die er den Zuhörern anbiete, böten aber gleichzeitig auch die Möglichkeit, „die Modernität Mozarts zu zeigen“.
„Bei Mozart gibt es auch beängstigende Dissonanzen “
Jörg Widmann Komponist
Und wieviel in Mozarts Musik steckt, daran kann sich Jörg Widmann regelrecht begeistern. Beispielsweise über das Quintett Es–Dur (KV 452), das Mozart 1784 erstmals aufführte. „Da hat er alles hineingepackt, was er hat, und gleichzeitig war es eines seiner einfachsten Stücke“, schwärmt Widmann. Gleich mehrfach habe er ein zur damaligen Zeit „verbotenes Element“, den Tritonus, das sogenannte Teufelsintervall, eingesetzt und damit die musikalischen Regeln der Zeit gebrochen. Dies zeige wie modern er zu seiner Zeit gewesen sei
Wenn man Mozart so verstehe, mache es Sinn, seine Musik mit heutiger Musik zu konfrontieren. So wie man bei Mozart manchmal „beängstigende Dissonanzen“ finden könne, gebe es auch in der aktuellen Musik immer wieder auch schöne Klänge entdecken. Da müsse niemand Berührungsängste haben.
Ganz besonders freut er sich beim Mozartfest auf ein Konzert „mit meinem Orchester“, dem Irish Chamber Orchestra. Dann spielt er am 19. Juni im Kaisersaal neben zwei eigenen Kompositionen und anderen Werken auch Mozarts berühmte „Jupiter-Sinfonie“. An diesem Tag hat Jörg Widmann Geburtstag.