Wladimir Kaminer ist der Pop-Star der jungen Literaturszene. Mit 1,8 Millionen verkauften Büchern gehört der Wahlberliner zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftstellern. Sein neuester Coup ist "Küche totalitär" mit Geschichten von ihm und Rezepten seiner Ehefrau Olga, ein ironisch-folkloristischer Mix aus Kochbuch und Landeskunde und Mentalitätsstudie und Persönlichem. Am 7. November liest Kaminer im Autonomen Kulturzentrum in Würzburg (akw!) daraus vor.
Frage: Das literarische Kochbuch "Küche totalitär" ist das erste Gemeinschaftswerk von Ihnen und Ihrer Ehefrau Olga. Sie präsentieren die besten Gerichte aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Armenien, Weißrussland, Sibirien, Georgien und Südrussland. Warum ein Kochbuch?
Wladimir Kaminer: Die Rezepte stammen von meiner Frau Olga, wir haben sie größtenteils gekocht. Zu jedem vorgestellten Menü gehören zwei Geschichten: Einerseits gibt es die Beschreibung der ehemaligen Sowjetrepubliken, andererseits meine persönliche Begegnung mit der jeweiligen Küche. Ich fand es schon immer schade, wie wenig von der sowjetischen Küche in Europa präsent ist, denn sie ist ein einzigartiges Phänomen.
Wollen Sie deutsche Hausfrauen zu Höchstleistungen anspornen?
Kaminer: Ich habe noch kein Kochbuch gelesen, außer dem alten sowjetischen Kochbuch meiner Mutter aus dem Jahr 1957. Und das auch nur wegen der tollen Zeichnungen, die den Appetit anregen sollten. Es wäre mir aber nie in den Sinn gekommen, eines der Rezepte selbst auszuprobieren. Im Unterschied zu anderen hat mein Kochbuch einen aufklärerischen Aspekt. Anhand der sowjetischen Küche möchte ich zeigen, was mit der Welt in den letzten 20 Jahren passiert ist. Außerdem möchte ich den Leuten eine ganz andere kulinarische Sicht präsentieren. Die Gerichte in "Küche totalitär" sind einfach anders, die Versuchung war groß, total exotische Rezepte vorzustellen. Aber wir haben ausschließlich Zutaten verwendet, die man in jedem deutschen Supermarkt finden kann. Wenn man dann aber den Braten mit einem feuchten Tuch umwickeln und für zwei Monate in einem feuchten Keller zum Trocknen aufhängen soll, ist das doch wieder sehr exotisch.
Wie haben sich die Sitten und Gebräuche in den ehemaligen Sowjetrepubliken verändert?
Kaminer: Obwohl die Sowjetunion nicht mehr existiert, hat ihre Küche den Fall des Sozialismus überlebt. Sie entwickelt sich weiter, immer neue Nachbarn kommen dazu. Russen probieren gerne Neues aus, in Moskau ist derzeit die panasiatische Küche in Mode. Man kocht usbekisch-japanisch, Gerichte, die man mit den Händen essen muss.
Mittlerweile gibt es auch in Russland hunderte von McDonald's-Filialen. Welchen Effekt hat das auf die Qualität der russischen Küche?
Kaminer: Als ich kürzlich meine Heimatstadt Moskau besuchte, konnte ich kaum glauben, dass es dort trotz allem noch viele sehr gute Restaurants gibt. Das gute Essen gehört bei uns zur Kultur. Manche Restaurants wurden nach berühmten Filmen benannt, die heißen "Wildgewordener Elefant" oder "Die schwangere Spionin". Dort kann man einem lebendigen Elefanten begegnen, das künstlerische Programm ist fast so wichtig wie die Speisekarte.
Die russische Küche ist in Deutschland relativ unbekannt.
Kaminer: Im entwickelten Kapitalismus unterliegt alles einer strengen Kalkulation. Kein Mensch würde ein Restaurant eröffnen, nur um Spaß zu haben. In Deutschland als Gastronom Geld zu verdienen, ist kompliziert. Meine Landsleute sind nach wie vor Träumer, die möchten den Sprung vom Tellerwäscher zum Millionär am liebsten im Schlaf schaffen und entscheiden sich deshalb für leichtere Tätigkeiten. Die Leute dort haben einen sehr kulturologischen Zugang zur Kulinarik.
Welche Rolle spielt der Alkohol?
Kaminer: Nach jedem Gang muss man abspülen. Deswegen sind die Desserts bei uns auch immer das Teuerste. Denn bis Sie bei der Nachspeise angekommen sind, sind Sie meistens schon sturztrunken, und am nächsten Tag können Sie sich nicht mehr daran erinnern, ob Sie das Erdbeerapfelpüree für 350 Rubel tatsächlich bestellt haben.
Die Hausfrau und Hausherrin heißt in Russland auch Beschützerin des häuslichen Herdes. Wieso?
Kaminer: In meiner Familie sind die Frauen für das Essen zuständig. Die Männer beschaffen die Zutaten, und die Frauen kochen - eine urmenschliche Aufteilung.
Wladimir Kaminer liest am Diens-
tag, 7. November, ab 20 Uhr im
Autonomen Kulturzentrum Würz-
burg (akw!) aus "Küche totalitär".
Karten und Informationen unter
Tel. (09 31) 41 78 03
E-Mail: info@akw-info.de
Internet: www.akw-info.de