Erst die Banken- und Finanzkrise, dann die Aufstände der Völker in Afrika, Eurokrise und NSA-Affäre, nun die Machtkämpfe in der Ukraine: Eigentlich bieten diese stürmischen Zeiten einem politischen Liedermacher wie Konstantin Wecker Themen ohne Ende. Doch der 67-jährige Bayer widmet sich seit einiger Zeit lieber den ganz großen Gefühlen, Liebesgedichten und Liebesliedern – natürlich auch auf seiner Jubiläumstour „40 Jahre Wahnsinn“, die den Poeten samt Band am 7. November nach Würzburg führt.
Frage: Gedankliche Anstöße sind in stürmischen Zeiten wie diesen eigentlich ebenso gefragt wie das politische Lied – doch stattdessen haben Sie sich in den letzten Jahren vor allem auf Lieder über die Liebe konzentriert, und auch in Ihrem aktuellen Programm überwiegen die unpolitischen Lieder.
Konstantin Wecker: Die Liebe ist beileibe nicht unpolitisch – vor allem, wenn man sie von verschiedenen Seiten und aus ihren verschiedenen Dimensionen her betrachtet. Ja, vielleicht sind alle Lieder und Gedichte, die jemals geschrieben wurden, eigentlich Liebesgedichte: Denn selbst politische Gedichte sind doch aus einer liebevollen Sehnsucht nach einer besseren und gerechteren Welt entstanden.
Klingt nach einer sehr sanften, ja fast zu sanften Form der politischen Aussage.
Wecker: Wenn wir jetzt eine politische Änderung brauchen, muss sie mit einem liebevolleren Umgang untereinander einhergehen und mit reiferen Menschen. Denn im Endeffekt sind die wirklich guten linken Ideen – und zuerst mal ist alles, was der Sozialismus und auch der Kommunismus von ihrer Grundidee her wollten, gut und anständig gewesen – daran gescheitert, dass die Menschen sich nicht im Griff hatten. Ich denke, für eine neue Politik bräuchte es auch eine neue Spiritualität: Ohne ein neues Bewusstsein wird es keine wirklich neue Politik geben.
Aber ist der Mensch dafür wirklich geschaffen? An die Stelle seines offenbar ganz natürlichen Egoismus’ müsste ein altruistisches Gemeinschafts-Denken treten . . .
Wecker: . . . ja, das wird seine Aufgabe sein. Dieses brutal egoistische Denken ist doch erst ein paar tausend Jahre alt – im Verhältnis zur Erd- und Menschheitsgeschichte keine wirklich lange Zeit. Das heißt doch aber nicht – was uns die Neoliberalen gern einreden möchten –, dass der Mensch des Menschen Wolf ist und daran nichts zu ändern wäre: Das ist alles eine Frage des Bewusstseins. Jeder, der mit Liebe Kinder aufwachsen sieht, wird feststellen, dass der Mensch zwar auch egoistische Züge hat, doch vom Grunde seines Herzens ein empathisches Wesen ist.
Sie setzen also auf eine Bewusstseinsänderung?
Wecker: Ja, diesen Egoismus kann man fördern oder – mit einer gewissen geistigen Arbeit – auch abbauen. Und wenn man ihn abbaut, wird man entdecken, was Erich Kästner in seinem Lied über die Millionäre beschreibt: Auch wenn man gibt, kann man sich beschenken. Jeder, der dies einmal selbst erlebt hat, wird wissen, dass es stimmt: Man bekommt ein glückliches Herz, wenn man geschenkt hat.
In Krisenzeiten, heißt es, habe die Kultur Hochkonjunktur – haben Sie das zuletzt auch gespürt?
Wecker: Kommerziell gesehen nicht – aber dafür spüre ich etwas anderes, das mir eine große Freude macht (lacht): Viele Journalisten fragen mich nämlich plötzlich: „Sagen Sie mal, Herr Wecker, empfinden Sie jetzt eigentlich eine Schadenfreude, wenn Sie sehen, dass Sie mit Ihren Analysen in den letzten Jahrzehnten doch Recht gehabt haben?“ Wo ich noch vor ein paar Jahren als ewig gestriger Linker verpönt wurde, als Alt-68er desavouiert und als Gutmensch abgestempelt, da machen sich plötzlich andere Töne breit – und das finde ich sehr interessant.
Und was antworten Sie dann?
Wecker: Ja, ich empfinde eine richtig kleine Schadenfreude bei all dem, was da passiert ist. Nicht, weil ich mir sage, ich hätte ja doch recht gehabt, denn wer etwas so vehement vertritt wie ich, der muss auch glauben, dass er recht hat. Aber ich finde es heilsam, wenn Leute in ihrem Hochmut gestürzt werden und von ihrem hohen Ross herunterkommen müssen – und das ist in vielen Fällen jetzt der Fall.
Doch keineswegs bei allen.
Wecker: Ja, in der Tat müssen wir erleben, dass die gleichen Politiker, die uns vor Jahren noch in dieses Desaster hineinmanövriert haben mit ihrer Ideologie, dass sich die jetzt als Retter und schon wieder als ökonomische Fachleute aufspielen. Ich vermisse da eine Eigenschaft, die auch einem Politiker gut anstehen würde, nämlich zu sagen: Ja, ich habe mich geirrt, wir müssen da jetzt etwas anders machen. Ein Zweifel, ein kleiner Zweifel nur . . .
Doch davon ist bei den führenden Politikern nichts zu spüren. Sie selbst haben vor einiger Zeit angemerkt, Sie hätten nie gedacht, dass Sie das Ende des Kapitalismus' noch erleben würden – nun scheint das mit dem Ende doch erst einmal nichts zu werden.
Wecker: Der Kapitalismus muss zu Ende gehen, oder die Welt geht zu Grunde. Es muss ein radikales Umdenken her und ein anderes System, das sich aus den Hirnen und Gedanken und dem Bewusstsein ganz vieler Menschen entwickelt: ein Netzwerk ganz vieler Menschen, die an neuen Dingen arbeiten. Der Kapitalismus hat sich genauso überholt wie das kommunistische System – der liegt in den letzten Zuckungen.
Immerhin hat der Kapitalismus vielen auch einen gewissen Wohlstand gebracht.
Wecker: Kapitalismus kann den Menschen materiell nur kurzzeitig befriedigen, aber er ist kein Weg zum Glück. Für Milliarden ärmster Menschen sowieso nicht, doch auch noch nicht mal für diejenigen, die am meisten von dem System profitieren. Um sich als Mensch zu mehr Menschlichkeit zu entwickeln, muss man lernen, sich den Methoden des Kapitalismus zu entziehen. Also zärtliches Miteinander lernen anstelle brutaler Trennung und Hierarchie, Mitgefühl üben und den Kindern vorleben. Wir brauchen wieder Utopien von einer gerechten Gesellschaft. Daran sollten wir arbeiten, nicht daran, ein marodes System kurzfristig vor dem Untergang zu bewahren.
Konstantin Wecker in Würzburg
Konstantin Alexander Wecker wurde am 1. Juni 1947 in München geboren. Ab 1968 machte er sich in der Kleinkunstszene einen Namen, war Mitbegründer der Rock-Soul-Band Zauberberg und ging mit der deutschen Version von Jesus Christ Superstar auf Tournee. Wecker (im Bild rechts mit dem Bayerischen Kabarettpreis 2013) wurde als Pianist und Sänger bekannt, überzeugte jedoch auch als Komponist von Filmmusiken („Schtonk!“, „Lippels Traum“) und Musicals sowie als Autor (Lyrik und Prosa). Als Schauspieler wirkte er 1972 bis 1974 im „Krankenschwestern-Report“ und sechs weiteren Sexfilmen mit. In seinem Roman „Uferlos“ (1993) mit erkennbar autobiografischen Zügen thematisierte er das Thema Drogen deutlich. In den 1990er Jahren verfiel Wecker den Drogen erneut – nach eigener Aussage konsumierte er von 1994 bis zu seiner Verhaftung am 29. November 1995 täglich bis zu sieben Gramm Freebase/Kokainbase und Kokain und litt an Wahnvorstellungen. Im April 2000 wurde er in dritter Instanz zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Am 3. Februar 1996 heiratete Wecker die 27 Jahre jüngere Annik Berlin aus Bassum bei Bremen, die er auf einem seiner Konzerte kennengelernt hatte. 1997 und 1999 wurden die Söhne Valentin und Tamino geboren. Am 26. Juni 2013 gaben Konstantin und Annik Wecker ihre einvernehmliche Trennung bekannt. Seit dem Wintersemester 2007/2008 hat Wecker an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg einen offiziellen Lehrauftrag. In seinem Workshop Songwriting unterrichtet er Komposition und Arrangement. Das erste seiner mittlerweile über 40 Alben („Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker“) erschien 1973, das bislang letzte („Wut und Zärtlichkeit live“) 2013. In der Würzburger Posthalle ist Wecker am 7. November zu Gast. Karten im Vorverkauf gibt es unter: Tel. (09 31) 60 01 60 00.