Alice Cooper, 66, alias Vincent Damon Furnier steht zum ersten Mal in seiner 45-jährigen Karriere mit einem kompletten Sinfonieorchester auf der Bühne. Die „Rock Meets Classic“-Tournee führt ihn auch nach Nürnberg (13. März, Arena) und Würzburg (14. März, s.Oliver Arena). Spätestens seit der Aufnahme in die Rock & Roll Hall Of Fame vor drei Jahren gilt der Schockrocker und gläubige Christ als lebende Legende. Im Interview erzählt er, wie er vom Alkohol loskam, warum er Papst Franziskus lobt und wie gut Johnny Depp Gitarre spielt.
Frage: Was hat Sie bewogen, sich der „Rock Meets Classic“-Tour mit Uriah Heep, Kim Wilde, Joe Lynn Tyner und Midge Ure anzuschließen?
Alice Cooper: Nun, ich habe so was noch nie gemacht. Allerdings mit einer kleinen Ausnahme: In England war ich einmal mit Roger Daltrey und Peter Frampton inklusive Streichern auf Tour, aber dabei ging es nicht vorrangig um meine Songs. Meine Songs mit einem Sinfonieorchester im Rücken zu singen, ist ziemlich abgefahren. Ich glaube, so was hätte niemand von Alice Cooper erwartet. Ich habe dafür Songs ausgewählt, die mit einem Orchester funktionieren. „Only women bleed“ und „Welcome to my nightmare“ kommen auch im Original mit Streichern daher. Das möchte ich jetzt gern mal live hören. Ich habe natürlich auch eine Band dabei. Es bleibt also Rockmusik.
Schlüpfen Sie auch bei dieser Tour in die Rolle des durchgeknallten Alice Cooper?
Cooper: Ganz ohne Theater geht es bei mir nicht. Ich habe diesmal zwar nicht die Guillotine dabei, aber ich bleibe die ganze Zeit in der Alice-Cooper-Figur. Zudem bringe ich meine Lead-Gitarristin Orianthi mit. Sie macht diese Show zu etwas ganz Besonderem.
Warum gibt‘s in der Rockmusik nur so wenige Gitarristinnen?
Cooper: Ich habe dafür keine plausible Erklärung. Orianthi ist jedenfalls einzigartig. Sie sieht aus wie ein Fotomodell und spielt wie Jimmy Page. Sie klingt nicht wie ein Mädchen, sondern wie ein Mann. Sie hat Eier, sie verkörpert den puren Rock ’n’ Roll. Kürzlich kam Ritchie Sambora für eine Jam-Session zu uns auf die Bühne. Der hat vielleicht Augen gemacht, als Orianthi in die Saiten griff.
Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen Rockern und klassischen Musikern?
Cooper: Ich glaube, wenn Beethoven, Mozart und Chopin heute leben würden, wären sie Rock ’n’ Roller. Sie würden wahrscheinlich so kompliziertes Material wie Yes oder King Crimson spielen, aber mit Gitarren und einem Viervierteltakt. Sie würden die Progrock-Bands so richtig herausfordern.
Könnten Sie sich vorstellen, einmal selbst ein Orchester zu dirigieren?
Cooper: Als Witz auf jeden Fall. (lacht) Auf der anderen Seite hat Frank Zappa tatsächlich mal das Los Angeles Symphony Orchestra dirigiert. Er war ein wahrer Maestro und konnte praktisch jedes klassische Stück dirigieren. Er hätte sofort gemerkt, wenn die Celli nicht ganz sauber geklungen hätten. Zappa war einer der wenigen Rocker, die sich auch in der Klassik bestens auskannten.
Was macht Sie wütend?
Cooper: Es gibt ein paar Dinge, die mich irritieren, aber nicht unbedingt wütend machen. Ich habe es schon immer gehasst, wenn sich Leute im Kino unterhalten. Ich finde, in dem Moment habe ich das Recht, mich umzudrehen und diese Störenfriede aus dem Kino zu werfen. Auch ärgere ich mich über junge Bands, die Schiss haben, Rock ’n’ Roll zu spielen. Vieles da draußen klingt heute einfach nur durchschnittlich. Diese Bands versuchen überhaupt nicht, etwas Neues auszuprobieren, stattdessen neigen sie zur introspektiven Nabelschau. Ich schaue mir jedenfalls lieber Rammstein an als Folkgruppen mit einem Akkordeon oder einem Banjo.
Ist der Rock ’n’ Roll tot?
Cooper: Der Rock ’n’ Roll an sich ist nach wie vor eine extrem spannende Musik. Aber die jungen Bands spielen manchmal so langweiliges Zeug, dass ich dabei einschlafe. Wir erleben gerade auf der ganzen Welt eine Folk-Welle. Songschreiber schreiben über ihre persönlichen Probleme und darüber, dass alles so schrecklich ist. Ich würde aber lieber die neuen Guns’N Roses oder Aerosmith hören. Die Jungen sollten sich die einmal anhören. Aber auch eine langweilige Periode ist irgendwann vorbei. Rock bewegt sich immer in Zyklen.
Anlässlich der Musikmesse The NAMM Show in Los Angeles sind Sie gemeinsam mit Johnny Depp aufgetreten. Ist er denn ein Rock ’n’ Roller von echtem Schrot und Korn?
Cooper: Johnny Depp ist auf jeden Fall ein sehr guter Gitarrist. Nach Hollywood kam er einst als Musiker und nicht als Schauspieler. Beim Film ist er eigentlich nur zufällig gelandet. Johnny und ich sind gute Freunde, er hat mir seine Geschichte erzählt. Inzwischen habe ich mit ihm bereits etliche Male gespielt, wir haben sogar schon einen Film zusammen gemacht, er heißt „Dark Shadows“. Stellte man Johnny Depp einmal vor die Wahl, würde er wahrscheinlich lieber in einer Band spielen als in einem Film. Aber mit der Schauspielerei verdient er einfach viel mehr Geld als mit der Musik.
Das klingt, als planten Sie und Johnny Depp gemeinsame Projekte.
Cooper: Würde er sich für eine Karriere als Musiker entscheiden und ich bräuchte gerade einen Gitarristen, würde ich ihn sofort engagieren. Ich mag seinen Stil; er spielt einfach und direkt. Johnny Depp ist eher Joe Perry als Yngwie Malmsteen. Seine Lieblingsgitarre ist ein deutsches Fabrikat: eine Duesenberg. Das sind hervorragende Instrumente, vergleichbar mit der Les Paul Junior. Die Duesenbergs sind nicht gerade billig, dafür aber so solide wie ein Mercedes-Benz.
Auf der NAMM Show sind Sie auch gemeinsam mit Gruselrocker Marilyn Manson aufgetreten.
Cooper: Richtig. Ich habe Marilyn vor fünf Jahren kennengelernt. Anfangs wusste ich nicht viel über ihn, er war wohl ein Fan von Alice Cooper. Aber seine Behauptung, er sei ein Priester der Kirche Satans, führte zu einem Konflikt zwischen uns, denn ich bin ein gläubiger Christ. Später konnten wir das aus der Welt schaffen und wurden Freunde. Zufälligerweise ist Marilyn Manson auch einer der besten Kumpels von Johnny Depp. Wir reden heute nicht mehr viel über Religion, und wenn wir es dann doch einmal tun, ist das immer sehr lustig.
Wie denken Sie über den neuen Papst Franziskus und seine Reformen?
Cooper: Ich bin kein Katholik, aber ich finde, dass dieser Mann genau der Richtige für diese Kirche ist, weil er immer noch sein altes kleines Auto fährt. Mir imponiert, dass er nicht in einem Palast lebt. Dieser Papst möchte sich mit den einfachen Menschen identifizieren. Zudem hat er einen Sinn für Humor. Er hat das Papstamt vom Sockel gehoben und zurück auf den Boden geholt. Das ist ein gigantischer Schritt.
Ihr neues Albumprojekt ist ein Tribut an die Hollywood Vampires. Was waren das für Leute?
Cooper: Ein Club der Säufer. Wir trafen uns immer in der Rainbow-Bar in West-Hollywood, wo es darum ging, die anderen unter den Tisch zu saufen. Die meisten von damals sind längst tot. Die Idee war, ihnen posthum ein Album mit ihren eigenen Songs zu widmen. In dieser Platte steckt sehr viel tolle Musik, von Jimi Hendrix, Jim Morrison, John Lennon, Keith Moon, Marc Bolan und Harry Nilsson. Für mich persönlich war es ein Riesenspaß, die Songs meiner toten Freunde aufzunehmen.
Wer hat Ihnen geholfen, vom Alkohol loszukommen?
Cooper: Ich habe mit dem Alkohol vor 32 Jahren aus freien Stücken aufgehört. Damals war ich an einem Punkt angelangt, wo mein Arzt sagte, wenn ich mich den Hollywood Vampires anschließen und zur Hölle fahren wollte, müsste ich bloß weitersaufen. Das lag aber nicht in meinem Interesse, deshalb wurde ich trocken. Es war eine große Entscheidung. Einigen meiner Freunde ist dies nicht gelungen. Sie wollten schnell leben und jung und schön sterben. Ich hingegen nahm mir vor, noch 20 Alben zu machen. Schauen Sie sich Iggy Pop und Steven Tyler an. Sie standen irgendwann an derselben Kreuzung wie ich und trafen die richtige Entscheidung.
Wie nah standen Sie Jim Morrison?
Cooper: Ich erinnere mich an Dutzende gemeinsame durchzechte Nächte. Bei meinen Konzerten spiele ich immer „Break on through“, die erste Single der Doors. Für mich ist es der Doors-Song, der Jim Morrison am besten charakterisiert. Jim hatte diesen Flirt mit dem Tod. Er war neugierig, wie es auf der anderen Seite ist.
Wie haucht man einem Doors-Klassiker neues Leben ein?
Cooper: Wir haben aus „Break on through“ eine Alice-Cooper-Version gemacht. Es ist uns sogar gelungen, den original Doors-Gitarristen Robby Krieger ins Studio zu holen. Ray Manzarek hätte ich auch gern dabei gehabt, aber leider ist er kürzlich gestorben. Auf der Bühne spielen wir auch „Foxy lady“ von Jimi Hendrix. Orianthi macht einfach einer Killer-Sound. Und ich versuche ein bisschen so zu singen, wie Jimi es tat.
Wer inspiriert Sie heute?
Cooper: Nirvana war eine der letzten wirklich einzigartigen Bands. Green Day finde ich klasse. Ich wünschte, es gäbe mehr Gruppen, bei denen einem die Kinnlade runterfällt.
Sie sind 66 und spielen noch immer hundert Konzerte pro Jahr. Was gibt Ihnen Kraft?
Cooper: Ich hatte schon immer ein hohes Energie-Level. Ich habe seit 32 Jahren keinen Schluck Alkohol mehr getrunken und bin seit 38 Jahren mit derselben Frau verheiratet. Ich habe das Gefühl, dass ich überhaupt keinen Stress habe. Das macht mich stark.