Schlagzeilen wie „Clevere Fans veranstalten Nazi-Demo, damit K.I.Z. und Kraftklub auch in ihrer Stadt ein Gratiskonzert spielen“ oder „Nazis rächen sich an Flüchtlingen, indem sie nach Syrien fliehen“ sind vielleicht nicht immer besonders feinfühlig, dafür umso treffender. Und so professionell formuliert, dass regelmäßig reihenweise Leser die Meldungen für bare Münze nehmen. Das „ehrliche, unabhängige und schnelle“ (Selbsteinschätzung) Internetmagazin „Der Postillon“ ist mit kunstvoll erdachten Fake News „seit 1845“ erfolgreich, unter anderem bei rund 2,5 Millionen Facebook-Fans. Am 16. September sind die lustvollen Lügereien auch als Liveshow in Würzburg zu erleben, mit Anne Rothäuser und Thieß Neubert, den Sprechern der „Postillon“-Video- und Radionachrichten. Peer Gahmert und Volker von Liliencron sind Entwickler, Produzenten und Regieduo der Show. Wir haben ihnen ein paar Stichworte geschickt, um ein wenig darüber zu erfahren, wie professionelle Fake-News-Produzenten die Welt sehen.
Hutbürger
Peer Gahmert: Mit dem Mann würde ich gerne mal ein Interview führen. Wer so viel zu verbergen hat, hat bestimmt ordentlich was zu erzählen.
Volker von Liliencron: Aus journalistischer Sicht müssen wir natürlich eine gewisse Distanz zu dem Thema wahren. Aber ganz privat kann ich sagen: Hut ab! Sich mit so einem Outfit von einem Kamerateam filmen zu lassen, das erfordert viel Mut!
Der kleine Timmy
Gahmert: Ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum hat dafür gesorgt, dass Timmy das zehnte Lebensjahr nie vollendet. Der Arme hat es echt verdammt schwer im Leben. Aber hey, er hat?s verdient!
von Liliencron: Das sieht man ja an all den Meldungen, die allein schon „Der Postillon“ über Timmys Schand- und Übeltaten gebracht hat.
(Anmerkung: „Der kleine Timmy“ ist eine wiederkehrende Figur, der beim „Postillon“ allerhand Missgeschicke passieren. Etwa so: „Hochbegabt: Kleiner Timmy (9) darf Schule überspringen und direkt arbeiten gehen“)
Knallharte Recherche
Gahmert: „Recherche muss weh tun“, so halten wir's beim „Postillon“.
von Liliencron: Unser Chefredakteur hat mal bei einer Rede im Bundestag die Parole ausgegeben: „Wir müssen mehr Recherche wagen!“ Daran halten wir uns bis heute.
Gahmert: Auf jeden Fall darf Recherche alles. Nur nicht schlecht sein!
Redaktionskonferenz
von Liliencron: Habe ich schon mal von gehört. Ich darf jedoch selbst nie dran teilnehmen.
Gahmert: Ich war schonmal dabei. Das ist glücklicherweise eine kurze Nummer und dauert beim „Postillon“ etwa vier Minuten, etwas länger als in Ihrer Redaktion also. Der Chef schlägt Themen vor, die Redakteure liefern dann. Wer nach vier Minuten das brauchbarste ausformuliert hat, bekommt ein Mittagessen. Wer nach dieser Zeit allerdings nichts Sinnvolles abgeliefert hat, wird mit einer Harke vom Hof gejagt und darf sich eine Woche lang nicht wieder blicken lassen.
von Liliencron: Den Hof gibt es tatsächlich. Der dient auch als unser Archiv.
Boris Becker, Jan Ullrich, Dieter Wedel
von Liliencron: Der eine war mal angesehener Sportler, der andere hat eine besondere Vorliebe für Frauen und der Dritte hatte seine größten Erfolge vor vielen Jahren. Welcher wer ist, dürfen Sie sich aussuchen.
Gahmert: Naja, Dieter Wedel in diese Reihe zu stellen, das ist irgendwie unangebracht. Der Mann hat nicht halb sie viel für die Berichterstattung der letzten Monate geleistet wie Ullrich und Becker.
Trump, Erdogan, Kim Jong-un
Gahmert: Sind privat total nette und lustige Zeitgenossen. Auf jeden Fall wird über ihre Witze so ausgiebig und herzhaft gelacht, dass man meinen könnte, die Anwesenden würden um ihr Leben kichern und lachen.
von Liliencron: Das hört da gar nicht mehr auf!
Seehofer, Scheuer, Dobrindt
von Liliencron: Alles Figuren, die man sich nicht ausdenken kann. Die gesamte Branche in Deutschland und Bayern betet jeden Tag dafür, dass diese drei Herren noch lange dabei sind und einfach so bleiben, wie sie sind.
Gahmert: Aber warum fehlt Söder in der Auflistung? Weil dies ein fränkisches Blatt ist? Ich kann das verstehen und mache Ihnen keine Vorwürfe, als Franke wäre mir der Mann auch sehr unangenehm. Weiter bitte, nächstes Stichwort!
Löw und Özil
von Liliencron: Tja, das war natürlich DAS Thema des Sommers. Ich bin noch heute überzeugt davon, dass Deutschland Weltmeister geworden wäre, hätte es nicht dieses selten dämliche Foto von Jogi und Özil gegeben.
Gahmert: Du meinst von Özil und Erdogan.
von Liliencron: Wovon redest Du?
Die Royals
Gahmert: Ein sympathischer Haufen Mensch, wenn auch größtenteils Engländer.
von Liliencron: Die Royals, tja. Hatten schwierige Zeiten miteinander, aber ich glaube, jetzt ist der Streit weitestgehend beigelegt und Angela und Horst überstehen die laufende Legislaturperiode ohne weitere Skandale.
Neues aus der Wissenschaft
von Liliencron: Na gut, wenn's sein muss: Laut einer Studie sollen neun von zehn Spinnen panische Angst vor hysterisch kreischenden Frauen haben.
Gahmert: Außerdem soll es einem Menschen erstmals gelungen sein, eine Einbahnstraße in entgegengesetzter Richtung zu befahren. Aber gut, was solche Experimente nutzen sollen, weiß ich auch nicht. Ist mir persönlich etwas zu abgehoben und hat mit dem wirklichen Leben nichts zu tun.
Ratgeber „Postillon“
Gahmert: Ein wichtiger Bestandteil des „Postillon am Sonntag“ (PamS). Das sind die einzigen Ratgeber, die einen im Leben wirklich weiterbringen. Das ist erwiesen und stand neulich sogar im PamS.
von Liliencron: Der neueste Ratgeber besagt zum Beispiel: „Besuchen Sie dringend eine der folgenden ,Postillon‘-Liveshows in Ihrer Nähe. Andernfalls kann es passieren, dass Sie sie verpassen.“
Die Sonntagsfrage
Gahmert: Ist eine wöchentliche Umfrage im „Postillon“, die sich mit tagesaktuellen Themen befasst, die die Menschheit so umtreibt.
von Liliencron: Sie erscheint übrigens immer am Sonntag.
Gahmert: Ich weiß, das fällt meist bedauerlicherweise auf ein Wochenende. Aber mittlerweile gibt es ja auch hierzulande Internet an Samstagen und Sonntagen. Oder?
von Liliencron: Und ausnahmslos jeder kann mitmachen, mit technischen Tricks sogar mehrmals! So kann man sicherstellen, dass sich seine Meinung auch durchsetzt.
Leser-Reaktionen
Gahmert: Wir haben Leser, und deswegen auch oft genug mit ihnen zu tun. Leidiges Thema, aber wem erzähle ich das, Herr Kollege?
von Liliencron: Gibt es beim „Postillon“ natürlich genauso wie bei allen anderen großen Medien. Nur mit dem Unterschied, dass unsere Leser seltener am Wahrheitsgehalt unserer Meldungen zweifeln. Das ist eine Reputation, die wir uns hart erarbeitet haben. Immerhin haben wir, anders als andere Medien, eine Wahrheitsquote, die wir erfüllen müssen.
„Der Postillon“: Live-Show des satirischen Internetmagazins am Sonntag, 16. September, 18 Uhr (nicht wie ursprünglich gemeldet 20 Uhr), im Würzburger Radlersaal. Karten an den bekannten Vorverkaufsstellen und unter www.der-postillon-live.com