Klinisch-aseptisches Weiß, bis auf halbe Höhe gekachelt, der Rest gestrichen. So empfangen die Kammerspiele des Würzburger Mainfranken Theaters den Zuschauer. Grelles Neon beleuchtet den von Annika Wieners konzipierten sterilen, kalten, anonymen Nicht-Ort, in dem zwei Frauen in lindgrünen Kitteln ihre Körper ertüchtigen, sich fit machen für die Arbeit als OP-Schwester in diesem Raum.
Die Schauspielerinnen (Claudia Kraus, Christina Theresa Motsch) bilden zwei Facetten einer Person, einer namenlosen, alleinerziehenden Mutter, die vom Spagat zwischen den hohen beruflichen Anforderungen und der Erziehung ihres fünfjährigen Sohnes Tarek mehr als überfordert ist. Und deren Welt völlig aus den Fugen gerät, als sie auf dem Weg zur Arbeit auch noch Augenzeugin eines Amoklaufes wird. Immer tiefer steigert sie sich hinein in ein auswegloses Labyrinth aus Angst, Bedrohung, Überforderung und Schuldgefühlen.
Dramatische Achterbahnfahrt
An dessen Ende wird ihr Sohn für sie zum „Terrorkind“, der titelgebenden Figur des Siegerstückes des Leonhard-Frank-Preises 2015. In diesem hochpoetischen Text nimmt Autor Karsten Laske die Zuschauer mit auf eine dramatische Achterbahnfahrt durch das Innenleben einer Mutter, in deren Kopf die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit sich immer mehr verwischen.
In seiner temporeichen, durch die kluge Sound-Untermalung von Jens Mahlstedt mal vorangetriebenen, mal zum Innehalten gebrachten Uraufführungsinszenierung, hält Tim Stefaniak geschickt die Balance zwischen erlebter und eingebildeter Bedrohung. Er zeigt durch die Aufspaltung der Mutterfigur und deren jeweils unterschiedliche Reaktionen in der gleichen Situation, die Bandbreite möglichen Verhaltens; aber zugleich auch, wie schmal der Grat sein kann, auf dem das gründet, was gemeinhin Identität genannt wird.
In einer Mischung aus Faszination und Irritation folgen wir diesem inneren Konflikt einer zeitgenössischen Durchschnittsfigur, die alle möglichen Versuche startet, um die Angst zu bändigen: die Rückkehr zum Glauben, das Aufsuchen eines Psychologen, die Operation des vermeintlich „kranken“ Gehirns. Vergeblich – der Angsttrip nimmt Fahrt auf, beschleunigt sich, nimmt zunehmend paranoide Züge an, die ihre Entsprechung in immer groteskeren Verhaltensweisen finden, gipfelnd in einem multimedial befeuerten „schrill-surrealen Gewaltausbruch“ auf der Bühne.
Mehr als überzeugend meistern Claudia Kraus und Christina Theresa Motsch den ungewöhnlichen Rollensplit zwischen chorischem Sprechen der ganzen Figur und den unterschiedlichen Facetten der beiden Teil-Figuren, finden zusammen, gehen auseinander, machen die innere Dynamik des Konfliktes sinnlich erfahrbar und sorgen so wesentlich für einen ganz starken Theaterabend.
Nächste Vorstellungen: 5., 11., 18. und 28. Juni. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124.