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BAMBERG: Max & Moritz: Der achte Streich

BAMBERG

Max & Moritz: Der achte Streich

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    Satirisches Duo: Max (links) und Moritz nehmen die Spießbürger aufs Korn.
    Satirisches Duo: Max (links) und Moritz nehmen die Spießbürger aufs Korn. Foto: Fotos: Net

    Das muss der achte Streich von Max und Moritz sein. Posthum irgendwie, schließlich wurden die Lausebengels – „Rickeracke! Rickeracke!“ – in der Mühle „fein geschroten“ und von Meister Müllers Federvieh verspeist. Andererseits sind Wilhelm Buschs berühmte „Bösewichter“ ja unsterblich, jedenfalls: Irgendwer hat ein wichtiges Datum vertauscht. „Max und Moritz“, die berühmte „Bubengeschichte in sieben Streichen“, sei am 4. April 1865 erschienen, heißt es auf diversen Seiten im Internet, und der Kultursender arte bringt am 5. April eine Doku über die „unglaubliche Geschichte eines Kinderbuchs“ – verdächtig nahe am falschen Datum.

    „4. April, das kann nicht sein“, sagt Gudrun Schury. Die Bamberger Literaturwissenschaftlerin kennt sich aus mit Wilhelm Busch (1832 bis 1908): Sie hat seine Biografie geschrieben („Ich wollt, ich wär ein Eskimo“). Die historisch-kritische Ausgabe des Werks lege dar, dass der Dichter, Zeichner und Maler die Handschrift von „Max und Moritz“ im Februar 1865 dem Münchner Verleger Kaspar Braun angeboten habe. Der nahm die Geschichte dankend an. „Dann“, sagt Schury, „ging das seinen Gang.“ Busch musste jede einzelne der knapp 100 Szenen seitenverkehrt auf Buchsbaumholz zeichnen. Das dauerte: „Wir wissen, dass er noch im August 1865 an den Druckstöcken saß“, erklärt Gudrun Schury. Erschienen sei „Max und Moritz“ dann im Oktober 1865.

    Woher kommt das falsche Datum? „Ich kann's auch nicht sagen“, bekennt Schury. 2004, so weit lässt sich der Fehler immerhin zurückverfolgen, habe der Bayerische Rundfunk das April-Datum verwendet. „Das hat einen ganzen Rattenschwanz nach sich gezogen“, erinnert sich die Expertin. Vom Deutschen Rundfunkarchiv bis zum Internet-Lexikon Wikipedia habe man jahrelang behauptet, „Max und Moritz“ sei am 4. April 1865 erschienen.

    In jedem Fall ist 2015 ein „Max und Moritz“-Jahr: Die Bildergeschichte, die Busch nach heutigen Maßstäben zum Millionär machte, wurde vor 150 Jahren gedruckt. Ein Grund zum Feiern. Denn die sieben Streiche, gezeichnet, in Knittelversen rhythmisiert und gereimt, sind alles andere als Kinderkram. „Man kann das schon Kindern zum Lesen geben, weil es ja auch märchenhaft ist“, sagt Schury. Aber das volle Erlebnis biete die Geschichte erst Erwachsenen. Denn „sie ist satirisch gemeint“. Nur vordergründig geht es um Lausbubenstreiche, nur vordergründig darum, Kinder von ungezogenem Verhalten abzuschrecken. Die Busch-Geschichte hat ein anderes Konzept als der 20 Jahre vorher erschienene, pädagogische „Struwwelpeter“.

    Max und Moritz kommen in Buschs bekanntester Geschichte gar nicht so viel vor. Schury: „Die müssen sich ja immer aus dem Staub machen.“ Es gehe vielmehr um die Bewohner des Dorfes: „Die braven Dörfler werden vorgeführt.“ Da ragen, grotesk dünn, die Beine von Schneider Böck aus dem Bach, in den er gestürzt ist, weil die Buben die Brücke angesägt haben. Ein Hausschuh fliegt durch die Luft – lächerliches Symbol verlorener Bürgergemütlichkeit. Da isst die Witwe Bolte am liebsten aufgewärmten Kohl, da sind Lehrer Lämpels „größte Freud“ Pfeife und Zufriedenheit und Onkel Fritz schnarcht mit Zipfelmütze im Bett – dann kommen die Maikäfer. „Es ist wie in einer Versuchsanordnung: Man schaut, was passiert, wenn Unordnung in ein verschlafenes Nest einzieht“, erklärt Gudrun Schury.

    Keines der Opfer trägt bleibende Schäden davon. Mit der womöglich herzensguten Witwe Bolte, die gleich zwei Streiche über sich ergehen lassen muss, können sensible Gemüter sogar Mitleid empfinden, mag die Situation auch noch so komisch sein, wenn sie weinend die erhängten Hühner erblickt: „Meines Lebens schönster Traum / Hängt an diesem Apfelbaum.“

    Nur Max und Moritz müssen ihr Leben lassen – freilich auf derart groteske Art, dass keiner das wirklich ernst nehmen kann: „Es herrscht ja in der ganzen Geschichte nicht die Logik der Realität“, sagt Gudrun Schury. Wie auch immer: Die Spießbürgerlichkeit triumphiert. Man kann das durchaus als Busch'sche Kritik an Zeit und Gesellschaft auffassen.

    Die fiel in späteren Werken schärfer aus. „Antonius von Padua“ (1870) oder die „Fromme Helene“ (1872) seien satirische Spitzen gegen den Katholizismus, erklärt Schury. Wilhelm Busch war mehr als nur der Macher netter Geschichten. Er mühte sich um Philosophie und Religion, „mit 15 Jahren zweifelte ich am ganzen Katechismus“, schrieb er 1875 in einem Brief und erzählte von Kant- und Schopenhauer-Lektüre. Elf Jahre später relativierte er die Begeisterung für die Philosophen: „Ihr Schlüssel scheint mir wohl zu mancherlei Türen zu passen in dem verwunschenen Schloss dieser Welt, nur nicht zur Ausgangstür.“

    Biografin Schury erzählt denn auch von den tiefsinnigen Seiten des Heinrich Christian Wilhelm Busch, der Kunst studierte, als ernsthafter Maler arbeitete („Es gibt an die 1000 Gemälde von ihm“) und als Lyriker („Die Gedichte sind nur zum kleineren Teil lustig“). Wer gute Satire machen will, braucht ein Fundament an Ernsthaftigkeit und Wissen um die Welt.

    Und so reicht der Einfluss von Wilhelm Busch bis in unsere heutige Zeit. Nicht nur wegen zahlreicher geflügelter Worte. Seine Bildergeschichten, sagt Schury, seien zeichnerisch und textlich Vorläufer der Comics: „Rums!!“, „Ratsch!“, „Puff!“. So kann auch Donald Duck heuer feiern. Bloß halt nicht am 4. April.

    Berühmte Zitate aus „Max und Moritz“

    Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe!!

    Dieses war der erste Streich, Doch der zweite folgt sogleich.

    Max und Moritz, gar nicht träge, Sägen heimlich mit der Säge, Ritzeratze! voller Tücke, In die Brücke eine Lücke.

    Wer in Dorfe oder Stadt Einen Onkel wohnen hat, Der sei höflich und bescheiden,

    Denn das mag der Onkel leiden.

    Jeder weiß, was so ein Mai- Käfer für ein Vogel sei. In den Bäumen hin und her Fliegt und kriecht und krabbelt er.

    Also lautet ein Beschluss, Dass der Mensch was lernen muss.

    „Ach!“ – spricht er – „Die größte Freud' Ist doch die Zufriedenheit!!“ Kurz im ganzen Ort herum Ging ein freudiges Gebrumm: „Gott sei Dank! Nun ist's vorbei Mit der Übeltäterei!“

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