Fröhlich pfeifend steht er am Steuerruder des Dampfers, hüpft übers Deck, tanzt, trommelt auf der Mülltonne, lässt Pfannen rhythmisch scheppern – was für ein munteres Kerlchen, dieser Micky Maus! Er will einfach nur Spaß haben mit Musik und mit dem Mädchen (Minnie Maus), das er an der gerüschten Unterwäsche per Kran vom Ufer an Bord gehievt hat. Pfeif auf die Arbeit! Dass sein grimmiger Chef (eine Art Kater-Karlo-Urahn) davon gar nicht begeistert ist – es kümmert Micky nicht. Er endet beim Kartoffelschälen. Und lacht trotzdem.
Micky Maus als fröhlicher Rebell gegen seinen Chef, als einer, der die Arbeit nicht ernst nimmt – so zeigt ihn der Trickfilm „Steamboat Willie“, der am 18. November1928 erstmals in US-Kinos lief. Der Uraufführungstag gilt als Geburtstag von Walt Disneys vermenschlichter Maus, die zu einer der berühmtesten Comic-Figuren der Welt wurde.
Ganz korrekt ist das Datum nicht. Walt Disney hatte sein famoses Großohr schon Monate vorher, am 15. Mai 1928, in dem Film „Plane Crazy“ eingesetzt. Da ist Micky ein Schwerenöter, der sein selbst gebasteltes Fluggerät vor allem dazu nutzen will, seine Passagierin (Minnie) zu küssen – bei Kunstflug nicht einfach. Die Sache geht gründlich schief. Für Micky.
Im Gegensatz zu „Plane Crazy“ war „Steamboat Willie“ ein Tonfilm (mit heute wunderbar nostalgisch kratziger Orchestermusik) und erfolgreicher. Deshalb hat sich der November als Geburtsdatum von Micky Maus durchgesetzt. Doch ob Mai oder November – es spielt keine Rolle.
Wichtiger ist: Die beiden nur ein paar Minuten langen Kurzfilme zeigen Micky als Verlierer. Die zittrigen Bilder vermitteln, dass man selbst dann fröhlich sein kann, wenn man nicht gewinnt. Das ist Lebensweisheit in Gestalt einer spindeldürren, kurzbehosten Zeichentrick-Maus.
Doch was ist über die Jahrzehnte in zahllosen Comics aus dem unangepassten Freigeist geworden? Ein Bürger mit Spießer-Polohemd, gerne mit Fliege und bis zur Achsel hochgezogener langer Hose; mit Eigenheim und Garten und fester, mutmaßlich platonischer, Beziehung (Minnie). Einer, der zwar noch immer Abenteuer erlebt – schließlich arbeitet er als Privatdetektiv – dessen Triebfeder aber nicht mehr der Spaß an der Freud ist, sondern eine Art biedermännisches Ordnungs.- und Pflichtbewusstsein.
Schlimmer noch: Mit Law and Order im Kopf ist aus dem fröhlichen Verlierer ein besserwisserischer Siegertyp geworden. Dass moderne Zeichner Micky schon mal wie Philip Marlowe in einer düsteren Großstadt ermitteln und in Bars abhängen lassen, hilft nicht wirklich. Das alte Image klebt.
Kein Wunder, dass ihn im Lauf der Jahrzehnte ein anderer berühmter Disney-Charakter an Beliebtheit überholte: Donald Duck. Der ist und bleibt ein Verlierer. Zwar nicht immer fröhlich, aber sympathisch. Merke: Leute, die dauernd gewinnen, mag keiner.