Er hat gegen Apartheid angeschrieben und gegen den Holocaust. Er hat sich kritisch zum Nahost-Konflikt geäußert. Ja, sagt Klaus Hinrich Stahmer, er wolle den Menschen etwas vermitteln. Er habe durchaus Botschaften. Die verarbeitet er in Musik. In einer Sprache also, die weniger den Intellekt anspricht als vielmehr das Gefühl. Die intuitiv erfasst werden und vielleicht gerade deswegen Wirkung erzielen kann. An diesem Samstag wird der Würzburger Komponist, dessen Werke international aufgeführt werden, 75 Jahre alt.
„Ich weiß, dass ich die Welt nicht ändern kann“, sagt Stahmer lächelnd. Doch dass seine Zuhörer „ein Stück Welt begreifen“, das möchte er schon. Und er möchte auch, dass sie sich bei seinen Kompositionen wohlfühlen: „Für extreme Atonalität habe ich nichts übrig.“ Denn die verletze „unsere latente Harmonie“. Früher hat er zwar selbst viel experimentiert. Seit zehn Jahren versucht er aber, Musik zu schreiben, in der die Menschen nach innen kommen. „Fast wie Meditationsmusik“, charakterisiert er.
Aber wie passt das zu Botschaften, die sich gegen teils brutale Missstände richten? Er schreibe ja nichts, was nur gefällig dahinplätschert, erklärt Stahmer. Es gibt Beunruhigendes, Störendes, auch Schockierendes. Allerdings: Letztlich will der Wahl-Höchberger eine Perspektive zeigen. Hoffnung zulassen: „Ich bin alles andere als ein Pessimist.“
„Ich ordne Klänge“, beschreibt der emeritierte Professor der Würzburger Musikhochschule und Initiator der „Tage der Neuen Musik“ seine Komponistentätigkeit. Bei allem Meditativen, das diese „geordneten Klänge“ auch haben mögen: Simpel ist Stahmers Musik deswegen noch lange nicht. Schon weil jede Menge Gedanken- und Gefühlsarbeit dahintersteckt. Was der promovierte Musikwissenschaftler aufs Notenpapier bringt, hat mit seinem Leben, mit seiner Persönlichkeit, mit seiner Weltsicht zu tun. Er ist ein Wanderer zwischen Welten. Im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Der am 25. Juni 1941 im heute polnischen Stettin geborene Sohn eines Instrumentenbauers hat die Kontinente bereist und sich mit fremden Kulturen beschäftigt. Er hat das mythische Denken von afrikanischen Naturvölkern, Buschmännern und Indianern erforscht, hat sich bei Reisen nach China und Japan in fernöstliche Denkweisen vertieft.
„Alles hat einen mythischen Bezug und einen mythischen Hintergrund“, glaubt Klaus Hinrich Stahmer. Um das zu zeigen, nutzt er gerne fremde Klangmuster und exotische Instrumente. So hat er etwa der „Urkraft“ von Klangsteinen nachgespürt. Die Faszination fremder Kulturen ist ein zentraler Aspekt im Denken und Arbeiten des Pazifisten, wovon Werktitel wie „Em-bith-kâ“ (der Adler ruft), „Mazewot“ (Grabsteine) oder „Feng Yu“ (Herr der Winde) erzählen. „Titel wie ,Sonate‘ oder ,Fuge‘ würde ich nicht nehmen“, sagt er – das sei ihm zu technisch. Jeder Titel ist eine Art Steinchen im Mosaik des Stahmer'schen Werkes und der Stahmer'schen Weltanschauung. Ein Teil der Botschaft.
Ein Wanderer ist er auch zwischen den Religionen. Geprägt vom „protestantischen Hintergrund des Nordens“ sei er, und keinesfalls unreligiös. „Ich gehe mit Begeisterung auf Kirchentage“, sagt der Musiker, der in Lüneburg zur Schule ging und in Hamburg und Kiel studierte. Er sei ein spiritueller Mensch, aber nicht im Sinne irgendeiner Kirche. Früher sei es ihm „ein Bedürfnis“ gewesen, Kirchenmusik zu komponieren. Ein großes Oratorium habe er aber vom Verlag zurückgezogen, als er sich mit dieser „affirmativen Haltung“ nicht mehr identifizieren konnte. Religion sieht der Weitgereiste mittlerweile in einem viel weiteren Rahmen, als ihn die diversen Glaubensrichtungen abstecken. „Schon Licht zu erleben, kann religiös sein“, philosophiert der Komponist.
Und dann ist da noch der Wanderer zwischen den Künsten. Der Mann, der Musik und bildende Kunst zu verbinden sucht, der sich als junger Mensch auch ein Kunststudium hätte vorstellen können. Legendär – und in Schulbüchern abgebildet – ist die Partitur zu „Die Landschaft in meiner Stimme“: Noten und Notenlinien gibt es da nicht. Die Stimme folgt gezeichneten Linien, die wie eine Hügellandschaft aussehen.
Eine „optische Partitur“ sei das, entstanden 1978. Klaus Hinrich Stahmer nimmt einen Schluck von dem grünen Tee, den er sich im Kaffeehaus hat bringen lassen, und denkt nach. Über seine Musik und wohl auch über das Leben (was nicht voneinander zu trennen ist). Lange Zeit sei er auf der Suche gewesen, sagt er dann. Jetzt habe er das Gefühl, er sei er angekommen.
Ein Konzert zum Geburtstag von Klaus Hinrich Stahmer findet am 30. Juni, 19.30 Uhr im Würzburger Kulturspeicher statt. Auf dem Programm des „Klangraum“ betitelten Abends stehen unter anderem Werke von Stahmer und Piazzolla. Zudem gibt es Improvisationen auf Bilder aus dem Kulturspeicher.