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maßbach: Nachtblind: Er küsste und er schlug sie

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Nachtblind: Er küsste und er schlug sie

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    Anna-Maria Bednarzik als Leyla im Jugendstück "Nachtblind" im Maßbacher Theater im Pferdestall
    Anna-Maria Bednarzik als Leyla im Jugendstück "Nachtblind" im Maßbacher Theater im Pferdestall Foto: Foto: Sebatian Worch

    Enge, dass einem der Atem stockt. Darja Stockers preisgekröntes Debüt „Nachtblind“ führt in die engen Kammern des Seelenlebens, in denen Gespenster rumoren, die die Betroffenen immer wieder daran hindern, ein entschiedenes „Nein!“ zu rufen, wenn ihnen nahe stehende Menschen sie zu verletzen drohen: physisch und psychisch.

    Das ist das Thema des 2006 uraufgeführten Kammerspiels über Gewalt in Beziehungen, über Abhängigkeiten und über den steinigen Weg der Selbstbehauptung. Regisseurin Julika Kren setzt das Stück im Maßbacher Theater im Pferdestall (TiP) so gut um, dass man tatsächlich die Enge zu spüren glaubt.

    Lammfromm bis zum nächsten Gewaltausbruch

    Die Handlung: Die junge Leyla (Anna-Maria Bednarzik) hat die Enge erfahren, in ihrer Bindung an den ehemaligen Freund, aus dessen Fängen sie sich nur schwer befreien kann. Er schlug sie, er küsste sie, er drohte ihr, er jammerte und heulte, versank im Selbstmitleid, schlug wieder zu, wurde lammfromm, gelobte Besserung. Bis zum nächsten Rückfall.

    Nur in ihrer exzessiven Leidenschaft, die darin besteht, Industrie-Ruinen mit Graffiti zu besprühen und in Luftschlösser zu verwandeln, findet die junge Frau zeitweilig Trost. Und in einer neuen Freundschaft zum Sprayer Moe (Lukas Redemann), einem sensiblen Einzelgänger. Schüler der 7. Klasse der Maßbacher Mittelschule steuerten markante Graffitis zur Inszenierung bei.

    Die Autorin hat aus dieser Abhängigkeitsgeschichte ein gut einstündiges Stakkato an Gefühlsausbrüchen geschaffen, aus Verzweiflung, Wut und sprachlicher Gewalt. Die Zuschauer sitzen links und rechts einer von einem Bauzaun umgrenzten Spielfläche, auf der sich die drei Akteure – Leyla, ihre Mutter (Eva Marianne Schulz) und Moe – wie Raubtiere im Käfig bewegen. Ein Baugerüst, ein Tisch, ein Stuhl und Absperrbänder sind die einzigen Requisiten.

    Tochter hält der Mutter den Spiegel vor

    Das Bühnenbild von Peter Picciani (Kostüme: Daniela Zepper, Choreografie: Patrick Paolucci) symbolisiert das Eingesperrtsein im selbst vergitterten Gefängnis. Lange Zeit scheinen die Ausbruchsversuche vergebens. Mutter und Tochter verstricken sich im Kampf um die Deutungshoheit über ihr Leben. Die Mutter – eine Verfechterin emanzipatorischer Ideen – scheitert selbst am banalen Alltag einer kaputten Ehe. Die Tochter hält der Mutter gnadenlos den Spiegel vor und verdrängt damit ihre eigene Unfähigkeit, das Korsett aus Abhängigkeiten abzustreifen.

    Die drei jungen Schauspieler – vor allem natürlich Anna-Maria Bednarzik – sprechen, schreien, schweigen, hetzen, klettern und kriechen durch den Käfig, als ginge es um ihr Leben. In einem Moment sind sie ganz bei sich, im nächsten erscheinen sie wie auktoriale Erzähler ihrer eigenen Geschichte - wie sie sich durch die Gemächer tiefster Verzweiflung kämpfen und in anderen Augenblicken Zärtlichkeit und Hoffnung erleben.

    "Lasst euch nicht alles gefallen!"

    Irritierend ist die radikale Verdichtung des Stoffes, mit dem Darja Stocker alles für sie Bedeutsame selbst in einen Sprachkäfig zwingt. Sie legt ihren drei Charakteren stakkatoartige Wortausbrüche an Erlebnissen, Erfahrungen und Erkenntnissen in den Mund, die zwar im Resultat verständlich sind, nicht aber in ihrer Entwicklung. Die Kompression der Gefühle führt dazu, dass man die Darsteller häufig als Sprachrohre von Charaktertypen wahrnimmt. Gut möglich, dass die Autorin ihrer Botschaft nur in dieser Form Gehör zu verschaffen glaubte: „Lasst euch das nicht gefallen!“

    Weitere Aufführungen am 11. und 18. Mai und am 7. Juni, jeweils um 19 Uhr im TiP. Infotelefon: 09735-235. www.theater-massbach.de

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