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FRANKFURT: Neuseeland wird auf der Buchmesse zum Mittelpunkt der Welt

FRANKFURT

Neuseeland wird auf der Buchmesse zum Mittelpunkt der Welt

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    Maori bei der Eröffnung des Neuseeland-Pavillons.
    Maori bei der Eröffnung des Neuseeland-Pavillons. Foto: Foto: dpa

    Als die neuseeländische Schriftstellerin Katherine Mansfield 1907 von ihrer ersten Reise nach Europa zurückkehrte, packte sie der Schauder. „Ich schäme mich für das junge Neuseeland“, schrieb sie voller Zorn: „Der ganze Speck, in den ihr Hirn gepackt ist, muss weg, bevor sie überhaupt anfangen können, etwas zu lernen. Diese Leute beherrschen ja noch nicht einmal das Abc.“

    Mansfield war jung, hatte eine etwa hunderttägige Schiffsreise hinter sich und galt als schwieriger Charakter, lebenshungrig, aufmüpfig, widerborstig. Später, als sie von der Lungenkrankheit gezeichnet war, schrieb sie andere Sätze. Liebeserklärungen von Europa aus an ihr Heimatland auf der anderen Seite der Erde. „Oh ich möchte, dass für einen Moment unser unentdecktes Land vor den Augen der alten Welt aufblitzt . . . Aber alles muss mit einem Sinn für das Geheimnisvolle erzählt werden.“ Wenn man den neuseeländischen Pavillon auf der Frankfurter Buchmesse betritt, könnte man sagen: Der Wunsch der großen Schriftstellerin – er ist erfüllt.

    Da blitzt und blinkt es, das unentdeckte Literaturland Neuseeland, und während oben Mond und Sterne leuchten und sich unten in Wasserflächen spiegeln, fliegen Buchstaben geheimnisvoll über Leinwände, entstehen aus Büchern gefaltete Papierstädte, hallen Sätze von Schriftstellern nach. Das Neuseeland-Abc. Gestaltet vom Stararchitekten Andrew Patterson, der auf den 2300 Quadratmetern des Pavillons eine Art Modell des Inselstaates zeichnete. Und dabei die geografische Lage neu definierte: Neuseeland, das ist auf der Messe nicht das 18 000 Kilometer entfernte andere Ende, sondern der Mittelpunkt der Welt.

    Über lange Stege erreicht man im Pavillon die Leseinsel. Und weil es so dunkel ist, stehen nette Menschen am Rande des Wassers und weisen den Weg nach Aotearoa, das Land der langen weißen Wolke, wie es von den Maoris genannt wird. Was die Entdecker dort erwartet? „Der Spirit“, würde Joe Harawira sagen, ein Maori-Erzähler, der bei der Einweihung des Pavillons mehrere Minuten lang einen Sprechgesang vortrug, dessen Übersetzung dann aber sein ließ. Ums Verstehen geht es nicht unbedingt, eher ums Staunen: was die Maori-Kultur an reichen Geschichten hervorgebracht hat, weitererzählt ohne Schrift, nur durch Gesang, Tanz oder durch den eigenen tätowierten Körper. Zwischenfrage dennoch, weil noch vor Beginn der Buchmesse darüber gewitzelt wurde und dann gerne die Zahl der Schafe (50 Millionen) mit der Zahl der Menschen (4,4 Millionen) verglichen wurde: Und was ist mit den Büchern?

    Auch die gibt es natürlich, in schmalen Zelten, die von der Decke hängen und an Berge erinnern. Wer möchte, kann sich darin ein Buch vom Haken nehmen und es sich auf der Leseinsel bequem machen mit Katherine Mansfield, Janet Frame oder Alan Duff, dem bekanntesten Maori-Autor. In dessen Bestseller „Warriors“, mit großem Erfolg verfilmt, findet sich der Satz der verzweifelten Heldin Beth, die mit ihrer Familie im Maori-Getto lebt: „Wir haben nicht ein verdammtes Buch, keiner von uns!“

    Nein, eine große Literaturnation ist Neuseeland wohl nicht, aber eine spannende. Mit eigenen Erzähltraditionen. Aber auch mit großen Erzählern wie eben Alan Duff, Anthony McCarten („Superhero) und Lloyd Jones („Mister Pip“). Die drei zählen zu den bekanntesten Schriftstellern des Landes, wenn ein Journalist das Wort „berühmt“ hinzufügt, winkt Jones lässig ab. „Ich bin ein neuseeländischer Autor, aber kein berühmter.“ Auf der Messe jedenfalls ist er einer der begehrtesten, der erklären soll, was das Besondere an den neuseeländischen Autoren ist, von denen rund 70 angereist sind.

    Auch da winkt Lloyd Jones ab und zitiert stattdessen den neuseeländischen Lyriker Bill Manhire: „Ich lebe am Rande des Universums, wie jeder andere auch.“ Alles eine Frage der Perspektive. Die aber wechseln die „Kiwis“ häufiger als andere: Einer von vier Neuseeländern lebt im Ausland. Das liege an dem weitervererbten Entdecker-Gen, sagt Anthony McCarten, Wohnort London. Lloyd Jones schrieb seinen nun erschienenen Roman „Die Frau im blauen Mantel“ während eines Stipendiums in Berlin. „Ich kann nur für mich sprechen“, sagt er, aber die Distanz zu seiner Heimat wirke wie ein Teleskop. Von der Ferne aus sieht man plötzlich schärfer.

    So, wie es wohl auch Mansfield erging, an die Neuseelands Kultusminister Christopher Finlayson bei der Eröffnung des Pavillons erinnerte. „So viel Literatur“, sagte er, „sie wäre erstaunt und erfreut.“

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