Er war der Sänger der erfolgreichen Deutschrockband Jupiter Jones („Still“). Dann übernahm seine Angststörung das Ruder. Nach Auszeit und Therapie versucht es Nicholas Müller (33) jetzt noch einmal: mit neuem Mut, neuen Songs und neuem musikalischen Partner. Zusammen mit Tobias Schmitz nennt er sich von Brücken, das erste Album der beiden heißt vieldeutig „Weit weg von fertig“.
Nicholas Müller ist mit dem Zug gekommen. Von Münster nach München, das zieht sich. Doch da auf die Bahn Verlass ist, dauerte es heute noch mal 90 Minuten länger als geplant. Aber fliegen? Niemals. Hat er einmal gemacht, als seine frühere Band, Jupiter Jones, in New York ein Video drehte, nächstes Mal würde er die Queen Mary nehmen. Müller, 33, ist Aviophobiker: Der große, kräftige Mann mit der Brille, dem Bart und den Tattoos hat Angst vorm Fliegen. Aber so lange das seine einzige akute Angst bleibt, ist alles in Ordnung. Müller ist vor allem für zwei Dinge bekannt: Er ist der Sänger, dessen Ballade „Still“ (in der es um den Tod der Mutter geht) einen Radio-Echo gewann und der erfolgreichste deutschsprachige Song des Jahres 2011 war. Und er ist der Sänger, der im Mai 2014 bei Jupiter Jones ausstieg, weil er wegen einer Angsterkrankung nicht mehr auftreten konnte.
„Ich kann nicht mehr“, schrieb er damals, vor anderthalb Jahren, auf seiner Facebook-Seite. Und, kann er jetzt wieder? „Ja.“
Angst, einhergehend mit Panikattacken und Depressionen, sei nichts Neues für ihn gewesen, vielmehr ein Begleiter durchs Leben, verstärkt durch persönliche Schicksalsschläge. Nur die Bühne, die war immer sein Schutzort, dort oben sei es ihm stets gut gegangen. Bis ihn die Angst auch da einholte. „Das hatte aber nichts mit der Band zu tun, sondern einfach mit der Krankheit, die sich in mich rein und durch mich durch fraß“, so Nicholas Müller. „Diese Angst habe ich bekämpft. Das war eine unheimliche Arbeit, und die Voraussetzung dafür, weiterzumachen. Ich dachte mir: Ich will verdammt noch mal gesund werden. Es kann nicht sein, dass ich weiter so durchs Leben humpele.“
Müller machte „eine klassische Verhaltenstherapie, die ich auch jedem, der diese Krankheit hat, ans Herz lege. Weil es tatsächlich das probateste Mittel ist und beim Verlernen der Angst hilft. Bin ich jetzt gesund? Die Angst kann immer wiederkommen, das ganz wegzukriegen hätte schon fast eine Gehirnwäsche mit massiver Wesensveränderung erfordert. Ziel ist, dass von einem eingegipsten Bein am Ende vielleicht ein kleines Humpeln übrig bleibt“. Immens wichtig sei auch sein Umfeld gewesen: die Ehefrau, die Höhen und Tiefen miterlebte, der Vater, die Freunde. „Man braucht Menschen, die einen unterstützen, aber man braucht eben auch Eigeninitiative.“
Nach einem Jahr Pause, in dem auch die Tochter zur Welt kam („Die Tatsache, Papa zu werden, hat mir überhaupt keine Angst gemacht“), versucht es Nicholas Müller nun mit dem Neustart: neue Band, neues Album, neue Tournee. „Die Lust am Musikmachen hatte ich nie verloren. Auch während der Auszeit habe ich viel auf der Gitarre geklimpert und den einen oder anderen Text geschrieben. Musik ist einfach der Hauptfaktor in meinem Leben.
“ Zusammen mit dem eng befreundeten Keyboarder und Komponisten Tobias Schmitz, der schon Jupiter Jones bei den Konzerten unterstützte und ebenso wie Müller aus der Eifel stammt, ging es auf den M.A.R.S., das ländlich abgeschiedene Eifel-Anwesen von Thomas D.
In aller Ruhe und mit aller Zeit der Welt bastelten die beiden an ihren Liedern, M.A.R.S.-Bewohner Bertil Mark stieß als Produzent dazu, man brutzelte gemütlich und freigeistig vor sich hin. „Wir haben es erst mal im Bauchmodus laufen lassen. Dass wir eine Band gründen, wurde uns erst allmählich bewusst.“ Dass Müllers Angststörung thematisiert wird, überrascht nicht, von Anfang an ist er sehr offen mit der Krankheit umgegangen, „aber es sollte kein Konzeptalbum werden“. „Lady Angst“ behandelt selbige dann intensiv und recht umfassend, in anderen Stücken wie „Blendgranaten“ oder „Gold gegen Blei“ klingt sie immer mal wieder an, dominiert aber nicht.