Oliver Kalkofe („Kalkofes Mattscheibe“) ist Deutschlands bekanntester Fernsehkritiker. Kaum einer kennt sich im Mediendschungel so gut aus wie der 43-jährige Grimmepreisträger. Ein Gespräch über den Zustand von ARD und ZDF und die Auswirkungen der Finanzkrise aufs Fernsehen.
Frage: Fühlen Sie sich noch als Teil der Comedy-Szene, die in den 90er-Jahren ihren Siegeszug startete?
Oliver Kalkofe: Ich habe eigentlich immer versucht, mir meinen unabhängigen Status zu erhalten. Ich habe mich nie einem bestimmten Sender oder Format angebiedert und immer eigene Sachen entwickelt. Selbst die „Wixxer“-Filme sind komplette Independent-Projekte mit einer kleinen Produktionsfirma und Leuten, die Spaß dabei haben. Wir haben bereits ganz viele Ideen für den dritten Teil, und auch Joachim Fuchsberger ist wieder dabei. Zwischen uns hat sich eine echte Freundschaft entwickelt. Er sagte mir, er wolle eigentlich nur noch „Wixxer“-Filme drehen. Er ist jetzt unser Papa geworden.
Wie wirkt sich die Finanzkrise aufs Film- und Fernsehgeschäft aus?
Kalkofe: Ganz deutlich sogar. Nicht nur in der ProSieben Sat.1 Welt GmbH, wo die Investoren jetzt mit allen Mitteln auf ihre Gewinne drängen. Bei fast allen Sendern herrscht gerade Produktionsstopp. Man traut sich überhaupt nichts Neues mehr. Die Sender werden geradezu gezwungen, solch einen Müll zu produzieren, weil sie gar keine andere Chance haben. Kaum jemand kann noch behaupten, beim Fernsehen eine Menge Geld zu verdienen, geschweige denn eine tolle Zeit zu haben. Momentan kommt man fast nur noch weiter, wenn man für ganz wenig Geld ganz viel Programm macht und sich dabei für nichts zu schade ist.
Was bedeutet das für Sie persönlich?
Kalkofe: Wir haben mehrere langfristige Projekte am Start, über die wir unter anderem mit ProSieben in Verhandlung stehen, die allerdings auch Geld kosten. Im Moment liegt alles noch auf Eis. Wer als Künstler derzeit keine feste tägliche oder wöchentliche Sendung bzw. eine Festanstellung hat, ist in einer ganz schwierigen Situation.
Kommen die besten neuen Impulse von der klassischen Stand-up-Comedy und nicht von irgendwelchen TV-Formaten?
Kalkofe: Live passiert momentan mit Sicherheit mehr Überraschendes und Neues als im Fernsehen, wo vor allem alte Späße vermodern. Man hängt in Deutschland hinterher und kriegt überhaupt nicht mit, was im Rest der Welt läuft. Ich kann nicht verstehen, weshalb beim Fernsehen hoch bezahlte Leute den gleichen Fehler 50 Mal begehen dürfen und dafür nicht zurück zum Arbeitsamt geschickt werden, um eine Umschulung zu machen.
Marcel Reich-Ranickis Wutausbruch bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises hat eine Debatte über die Qualität des Fernsehens ausgelöst. Ist das für Sie als leidenschaftlicher TV-Kritiker eine Genugtuung?
Kalkofe: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits finde ich es schön, dass Reich-Ranicki einmal die Fernsehmacher umgemäht hat. Es war ein großer Spaß zu sehen, wie ihnen der Kiefer runterklappte und sie nicht mehr wussten, wie sie reagieren sollten. Einige wurden aber zu Unrecht getroffen, denn Reich-Ranicki hat von dem Metier einfach keine Ahnung. Vor dem Programm, das er propagiert, habe ich fast noch mehr Angst als vor Uri Geller. Das ist genau dieser überholte öffentlich-rechtliche Gedanke vom belehrenden und bildenden Fernsehen. Was ich persönlich will, ist gut gemachte Unterhaltung und Information. Sprich: Es muss eine Vielfalt da sein.
Sie sind derzeit auf Tour. Welche Sendungen nehmen Sie in Ihrem Live-Programm aufs Korn?
Kalkofe: Ich fasse die ganze Uri-Geller-Sendung zusammen und kommentiere sie ausführlich. Für mich persönlich ein Höhepunkt des Fernsehjahres. Auf solche Sendungen kann man als Comedian richtig neidisch werden. Da wäre man nie selbst draufgekommen, selbst wenn man eine Parodie hätte machen wollen. Kein Wunder, wenn du Uri Geller, Erich von Däniken, Nina Hagen und Vincent Raven als Experten für Außerirdische holst. Raven hat mit seinem Raben über Aliens gesprochen und das auch noch übersetzt. Vielleicht waren ja wirklich Außerirdische da und haben die verantwortlichen Redakteure verstrahlt oder ihre Gehirne entführt. Für solch einen Murks, von dem wirklich jeder wusste, wie bescheuert es wird, bläst man richtig fett Kohle raus, aber sonst hat man für Programme gar kein Geld mehr. Als Nächstes werden wahrscheinlich die Sendeanstalten bei der Regierung anfragen, ob sie Finanzhilfe kriegen.
Privatsendern haftet das Image des „Unterschichtenfernsehens“ an. Nach dem Motto: Wer viel fernsieht, denkt weniger kritisch. Stimmt das?
Kalkofe: Unterschichtenfernsehen ist ein falscher Begriff, obwohl jeder weiß, was man meint. Diese Frage kann man nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Das Problem ist, dass das Fernsehen immer dümmere Inhalte bringt und diese auch noch als Realität in Form von Doku-Soaps und gefälschten Formaten verkauft. Der größte Teil der Zuschauer verfügt eben nicht über die kritische Distanz oder das Wissen, Realität von Fiktion zu unterscheiden. Eine Dauerbestrahlung mit solchen Sendungen verändert sukzessive das Realitätsbewusstsein bei unerfahrenen bzw. einfacher gestrickten Zuschauern. Computerspiele machen Menschen zwar nicht zu Mördern, aber sie bewirken eine konstante Abstumpfung des eigenen Ekelempfindens und der Empathie – je nachdem wie anfällig man ist. Fernsehinhalte sollten die Zuschauer deshalb wenigstens noch zum Mitdenken fordern.
Sie haben vor einiger Zeit eine Stunde Medienkritik an einer Berliner Oberschule gegeben. Wie kritisch sind jugendliche Fernsehzuschauer?
Kalkofe: Junge Menschen sind viel kritischer und klüger, als man gemeinhin glaubt, aber trotzdem lassen sie sich durch den Wunsch nach Zugehörigkeit und von Modeerscheinungen mitreißen. Wenn man einmal an Schulen geht und sich mit jungen Leuten unterhält, merkt man, dass zum Beispiel Mädchen in fast allen Klassen vom Topmodel-Virus infiziert sind und sich darüber unterhalten, ihr Konfirmationsgeld für Nasenkorrekturen ausgeben zu wollen. Das Fernsehen hat daran zumindest eine Teilschuld. Das Phänomen ist aber schichten- und altersübergreifend. Wir können uns davon nicht frei machen, dass unsere Wahrnehmung durch das Fernsehen sehr stark manipuliert wird.
Ist das Fernsehen noch zu retten?
Kalkofe: Theoretisch schon. Die Frage ist nur, wer daran Interesse hat. Die Privaten werden sich selbst immer tiefer legen, bis sie den Boden lecken, und die Öffentlich-Rechtlichen senden sich selbst ins Wachkoma. Wenn nicht das Gebührensystem verändert wird, kann ich mir nicht vorstellen, dass da noch jemals irgendwas Überraschendes passiert. Langfristig wird sich aber durch neue Medien und neue Möglichkeiten etwas tun.