Ihr habt gut, sehr gut gearbeitet. Ich nicht, ich habe nichts getan. Heute Abend wart das ihr. Wir sehen uns im Dom. Und sorry für die neun Minuten zu lang. Bei nächster Gelegenheit schenke ich sie euch.“ Domkapellmeister Christian Schmid packt seine Uhr ein und klappt den Klavierauszug zu. Zweieinhalb intensive Probestunden sind vergangen, 120 Sängerinnen und Sänger stecken Bleistift, Noten, Wasserflaschen in die Taschen und machen sich zufrieden auf den Heimweg.
Seit September arbeiten Domkapellmeister und Chorsänger intensiv an dem Oratorium „Elias“, das am Sonntag, 23. Oktober, um 15 Uhr im Würzburger Kiliansdom aufgeführt wird. „Im Mai hatten wir ein Probewochenende zum ersten Kennenlernen“, erzählt Schmid. Da hat er Domchor, Männerstimmen der Domsingknaben und Konzertchor der Mädchenkantorei auf das Werk von Felix Mendelssohn Bartholdy eingestimmt. „Es ist das bekannteste romantische Oratorium, eine Brücke zwischen Klassik und Romantik, wurde noch nie im Dom aufgeführt“ ergänzt der 1977 in Stuttgart geborene Musiker. „Es tut einem klassischen Kirchenchor gut, neben der liturgischen Literatur zwischendurch ein solches Werk zu singen.
Der ,Elias‘ ist ja quasi eine Oper in fünf Akten, man kann daran viel lernen“. Und das will natürlich gründlich trainiert, geübt, erfahren sein, die nachdenklichen Passagen, die lyrischen Momente, Affekte und die melodische Darstellung der einzelnen Charaktere.
Die jungen, mittelalten und älteren Sängerinnen und Sänger haben ihren Platz im Kardinal-Döpfner-Saal des Würzburger Burkardushauses gefunden. Domkantor Alexander Rüth sitzt am Flügel, Christian Schmid rückt den Notenständer zurück. „Jetzt nur noch auf Klang und Stimmsatz achten“ – so hat die Probe begonnen. „Steht bitte auf“. Kurzes Stühlerücken, dann Stille. Spürbare Aufmerksamkeit. „Hände auf den Bauch, fühlt die Zwerchfellspannung!“ Schmid lächelt, dirigiert, ja beschwört die u-förmig vor ihm arrangierten Sängerinnen und Sänger. Der Flügel gibt die Töne vor. 120 Kehlen singen sich ein, die Luft scheint zu vibrieren, Akkorde breiten sich im voll besetzten Saal aus, Choratmosphäre.
Anschließend geht es an die Detailarbeit. Alle sitzen wieder, die Noten vor sich, die Augen Richtung Dirigent. Man sollte nicht glauben, wie unterschiedlich das Wort „Herr“ ausgesprochen werden kann. Also feilen am Vokal. Gesprochen und anschließend mit Singstimme. Dann die einzelnen Nummern des Oratoriums. „Der Geist der Wahrheit und des Verstandes“. Einsatz, Klang. Christian Schmid bricht ab. „Das ist auskomponierte Erhabenheit, hymnisch. Das will ich hören,“ fordert er.
Also noch einmal. Wieder bricht er ab. „Das ist mir alles zu passiv. Alle auf Vorderkante, gerader Rücken. Bitte das Klavier.“ 120 Männer und Frauen rücken sich auf ihren Stühlen zurecht, achten auf Körperspannung, erheben auf sein Zeichen die Stimme. Schmid wippt rhythmisch, streckt sich bis auf die Zehenspitzen, formuliert mit den Lippen den Text. „So viel Emotion, so viel Musik“ kommentiert die 21-jährige Anna Wunderlich später. Sie singt, seit sie sieben Jahre alt ist. Drei gleichaltrige Freundinnen nicken. „Wir staunen immer wieder, was man alles gemeinsam erreichen kann.“
Nummer für Nummer der Geschichte um den biblischen Propheten Elias kommt zu Gehör, wird abgebrochen, noch einmal von vorn, jetzt ist es gut. „Ihr seid ganz prima! Aber jetzt machen wir es ganz klar. Klar wie ein Glas Wasser.“ Also noch einmal. Schmid wird nicht müde anzutreiben, zu erklären. „Er ist immer voll motiviert, immer gut gelaunt. Gibt jedem Sänger das Gefühl, dass er wichtig ist“, hatte Ulrike Hasch, seit vielen Jahren Mitglied des Domchors, vor der Probe erzählt. „Es muss ohne mich gehen, ich bin ersetzlich. Aber ihr, jeder einzelne, jede einzelne ist wichtig“, wird Schmid während der Probe sagen.
Tack, tack, tack. Der Domkapellmeister hat das Metronom eingesetzt, das den Takt vorgibt. „Lasst die Energie fließen. Mehr Präsenz. Mehr Boden. Gebt 400 Prozent. Und wenn das nicht reicht 800.“ Mit Mimik und Gestik animiert er. Er weiß, wie leicht man in zweieinhalb Stunden Probe abschlaffen kann. Zwischenrufe von ihm – „Das war nicht laut, aber schön“, „gut, aber falsch“, „Lasst euch einlullen, das hat sektenhafte Züge“ – lockern auf, treiben weiter.
„Es ist ein schönes Stück“, resümiert Christof Burak nach der Probe, „noch nicht so schwer wie Wagner oder Bruckner, aber anspruchsvoll.“ Seit 40 Jahren singt der Tenor im Dom. „Weil?s Spaß macht“, lächelt er, „und weil sich im Chor eine gute Gemeinschaft zusammenfindet“. Sibylle Zeuch, die schon in der Mädchenkantorei gesungen hat und nach 43 Jahren immer noch begeistert dabei ist, bestätigt ihn. „Singen ist anspruchsvoll, verlangt Konzentration, hat auch immer wieder eine Botschaft“, ergänzt sie. Und bringt wunderbare gemeinschaftliche Erfahrungen und Reisen mit sich. Dem heute 15-jährigen Bass Jaromir Müller beispielsweise, der seit 2009 Mitglied der Domsingknaben ist, dass er als Solist vor dem Papst singen durfte.