Saturday Night Fever. Was hat uns dieser Film beeindruckt, die Musik, die Mode, das Tanzen. John Travolta! John Travolta!
13, 14 sind wir, als der Film nach dem Kinostart in Amerika 1977 in Deutschland ins Kino kommt. Und wir sind sofort hin und weg. Ab sofort gibt es bei Treffen, Geburtstagsfeiern in der reinen Mädchenclique nur noch eine Platte, die rauf und runter gespielt wird. Saturday Night Fever oder besser Bee Gees Fever.
Reizvoll und exotisch
Eltern, Omas und Tanten reagieren verhalten auf diese Musik. Sie sehen das Abendland untergehen wegen der hohen Stimmen und der eigenwilligen Frisuren und noch eigenwilligeren Klamotten der Gibb-Brüder. Das macht das Ganze nur noch reizvoller und exotischer für uns. Deswegen holen wir aus der Musiktruhe unten im Erdgeschoss alles raus, was geht.
Diese Musiktruhe aus schön poliertem edlem Holz von der Größe eines Kleinwagens hat einen großen Vorteil: Man kann sich in ihr spiegeln. Genauso im zweiten Teil des ausgemusterten Wohnzimmers, einer ebenfalls hochglanzpolierten Mischung aus Vitrine und Schrank. Dazu noch eine Lichtorgel oder Discokugel, beliebter Geburtstagswunsch damals, und die Show kann beginnen: Line-Dance zu „Night Fever“, bisschen Travolta-Pose zu „Fifth of Beethoven“.
„If I can't have you“, „More than a woman“: Hier spielt die Spiegelung eine sehr wichtige Rolle. So wie Stephanie wollen wir auch ausschauen: Gymnastikanzug, farblich passende Strumpfhose, Schuhe mit Absatz, bevorzugt Sandaletten. Oder ein Kleid mit Carmen-Ausschnitt, wie es Stephanie im Finale trägt. So was zu finden, ist nicht so einfach. Vor allem nicht in einer Kurstadt wie Bad Kissingen. Schweinfurt, wohin damals generalstabsmäßig geplante Tages-Einkaufsausflüge führen, bietet da mehr. Dafür kann man schon mal Taschengeld ansparen.
Nicht alle Eltern sehen diese Modeeskapaden gern. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wird die Bluse mit dem Carmen-Ausschnitt eben im Schrank ganz hinten versteckt und heimlich angezogen, extra für Saturday Night Fever und den Blick in den Schrankwand-Spiegel.
Der Film ist für uns Freundinnen und wohl für viele damals einfach so eine Art Musical. Mit diesem charismatischen Helden Tony, der sich so großartig bewegt und so klasse angezogen ist. Mit dieser so toll aussehenden, selbstbewussten Stephanie. Und den ganzen Szenen, die so mitreißend und cool wirken.
Dabei ist der Film eigentlich ein knallhartes Drama über chancenlose, verlorene Menschen. Über fürchterliche Familienverhältnisse und allgegenwärtigen Rassismus.
Ohne die Musik wäre das eine trostlose Sozialstudie, allerdings ungewöhnlich, beinahe avantgardistisch gefilmt mit subjektiver Kamera und völlig neuer, mal gebrochener, mal surreal verklärter Ästhetik.
Der Film ist außerdem von einer Frauenfeindlichkeit, die aus heutiger Sicht schaudern macht. Selbst noch in der zweiten Fassung, die kurze Zeit später in die Kinos kam, weil die erste doch wohl etwas zu hart war für die zahlenden Teenies draußen in der Welt. Es werden in Saturday Night Fever Frauen ungestraft und gewohnheitsmäßig Sachen angetan, für die ein Mann heute vor Gericht kommen und im Gefängnis landen würde.
Nach Jahrzehnten Abstand zeigt sich: Tony ist kein Held, sondern eine arme Sau und außerdem ein ziemlicher Kotzbrocken. Stephanie ist nicht selbstbewusst, sie ist nicht glücklich, sie ist nicht unabhängig. Sie ist so verloren und haltlos wie Tony.
Lebendig fühlen mit „Stayin' Alive“
Verrückt, wie anders der Film heute wirkt. Trotzdem: Er ist großartig und revolutionär, gerade weil er vermeintlich unvereinbare Genres verschmilzt. Allein der Anfang, als Tony/Travolta mit seinen roten Schuhen zu „Stayin' alive“ durch Brooklyn tigert. Diese Art, sich zu bewegen, macht ihm keiner nach. Da liegt Magie in der Luft. Die ist umso stärker, wenn man erkannt hat, dass Saturday Night Fever nicht das schöne Musical ist, für das man es gehalten hat.
Egal, wie hart und grau und aussichtslos alles da draußen ist: Jeder kann trotzdem wenigsten einen Moment des Glücks haben. Und sei es einfach auf einer leuchtenden Tanzfläche am Samstagabend. Mehr braucht es nicht, um sich lebendig zu fühlen, mit „Stayin' alive“ als Mantra.