Es gibt wenige Zeitvertreibe, die befriedigender sind, als echten Könnern bei der Arbeit zuzuschauen. Dr. House zum Beispiel, dem genialen Diagnostiker. Oder Alan Shore, dem listenreichen Anwalt aus „Boston legal“. Oder Frank Underwood, dem brillanten Intriganten aus „House of Cards“. Natürlich sind es die Superhelden von Super- über Bat- und Spiderman bis hin zu Iron Man, die dieses Bedürfnis am nachhaltigsten bedienen, wobei ein jeder schon aus rein dramaturgischen Gründen sein persönliches Kryptonit zu tragen hat.
Wenn „House of Cards“ der sarkastisch-satirische Kommentar zur politischen Gegenwart der USA (und des Rests der Welt) ist, dann gehört die ABC-Serie „Scandal“ eher in den Bereich der Superhelden. Zumindest, was die Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit der Plots, vor allem aber die Fähigkeiten der Protagonistin anbelangt.
Der Name ist Programm: Es geht um Skandale beziehungsweise deren Verhinderung. Die Anwältin Olivia Pope, die als Medienberaterin den amtierenden Präsidenten Fitzgerald Thomas Grant (viel mehr Geschichte ließ sich in diesen Namen nicht packen) quasi gemacht hat, ist nunmehr selbstständige Krisenmanagerin. Zu ihr kommen richtig wichtige Leute, die ein Problem haben. Und Olivia – manche dürfen sie Livvie nennen – löst dieses Problem. Sie tut das selbstverständlich von einem schicken Loft aus, in dem sie selbstverständlich ein höchst begabtes und dekorativ disparates Team versammelt hat.
Das ist ein wenig das Problem der von Shonda Rhimes („Grey’s Anatomy“, „Private Practice“) entwickelten Serie, deren erste beide Staffeln in Deutschland von Oktober bis Januar auf Super RTL liefen: Sie wirkt wie am Reißbrett entworfen, und vermutlich ist sie das auch.
Das Team der „Gladiatoren in Uniform“ besteht aus Stephen, dem Charmeur mit dem schicken britischen Akzent (Henry Ian Cusick, „Lost“), Huck Finn, dem findigen Hacker mit CIA-Vergangenheit (Guillermo Díaz), Harrison, dem smarten Anwalt mit großem Ego (Columbus Short), Abby, der offenbar völlig skrupellosen Ermittlerin (Darby Stanchfield), Quinn, der offensichtlich sehr skrupulösen Neueinsteigerin (Katie Lowes) und natürlich der Chefin – Olivia, gespielt von Kerry Washington („Ray“, „Der letzte König von Schottland“, „Fantastic Four“, „Django Unchained“).
Auch das Repertoire der Fälle ist naheliegend (Achtung, hier kommen jetzt ein paar Spoiler): Der hochdekorierte Kriegsheld, junger Wortführer der homophoben Republikaner, der sich als schwul entpuppt (blöd ist nur, dass sein Alibi für den Mord an seiner Verlobten ein Rendezvous mit seinem Liebhaber ist). Oder der designierte Bundesrichter, der auf der Kundenliste eines exklusiven Callgirl-Rings steht. Oder der verwöhnte Sohn einer schwerreichen Patriarchin, der immer schon mit allem durchgekommen ist und nun beschuldigt wird, eine Frau vergewaltigt zu haben. Oder die ehemalige Angestellte des Weißen Hauses, die damit droht, ihr Verhältnis mit dem Präsidenten publik zu machen.
Das sind alles genau die Konstellationen, die man erwarten würde. Schließlich ist die Behauptung, das amerikanische Polit- und Wirtschaftssystem sei durch und durch korrupt, längst Allgemeingut. Immerhin: Die Auflösungen sind mitunter tatsächlich überraschend. Und diese Auflösungen bringen dann doch eine gewisse Spannung. Denn natürlich ist das berufsmäßige Verhindern von Skandalen ein ethisch eher fragwürdiger Broterwerb. Schließlich haben die meisten Klienten nicht nur die (selbstverständlich keineswegs ehrenrührige) Tatsache zu verheimlichen, dass sie homosexuell sind, sondern richtig Dreck am Stecken.
Kerry Washington ist wohl die erste Farbige, die eine derart beherrschende Protagonistin in einer US-Serie spielt. Die anderen Charaktere werden nach und nach Kontur gewinnen, doch es ist vor allem Olivia Popes untrügliches Gespür dafür, ob jemand die Wahrheit sagt, auf dem das Geschäftsmodell ihrer Agentur basiert. Womit wir wieder bei den Superhelden wären: Gibt es so etwas überhaupt?
Nun, wie immer kommt es auch hier mehr auf das an, was man den Gegner glauben machen kann, als auf das, was tatsächlich Realität ist. Der Konflikt entsteht immer dann, wenn es nicht um eine (wie auch immer definierte) Wahrheit geht, sondern schlicht um das Resultat: Der Klient soll mit etwas durchkommen, das ihm schaden würde, wenn es herauskäme.
Kerry Washington lässt schon früh Risse in der makellosen Fassade ihrer Figur zu. Der Fluch der professionellen Tat holt auch und gerade sie schnell ein: Klient gerettet, Gerechtigkeit tot. Erst hier werden die Fälle interessant: Livvie versucht den Spagat zwischen Auftragserfüllung und Integrität. Versucht zu reparieren, was sie selbst angerichtet hat. Das gelingt meist sogar unter Einsatz ordentlicher Mengen von Pathos, aber auch subtilerer Methoden. Kerry Washington trägt im Grunde „Scandal“ allein – ihre Figur ist so fantastisch wie authentisch, dass sie alle anderen bislang weit überragt.
Die erste „Scandal“-Staffel gibt's auf zwei DVDs, die zweite ist soeben auf sechs DVDs erschienen (jeweils Disney Company/Touchstone).