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MARKTBREIT: Sticknadel-Weisheiten aus vergangenen Zeiten

MARKTBREIT

Sticknadel-Weisheiten aus vergangenen Zeiten

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    Wunderbar nostalgisch: Gestickte Sinnsprüche, auch "Haussegen" genannt.
    Wunderbar nostalgisch: Gestickte Sinnsprüche, auch "Haussegen" genannt. Foto: Malerwinkelhaus

    Wenn der Haussegen schief hängt, dann weiß jeder, was gemeint ist. Die Redensart steht für kleinere Unstimmigkeiten in den heimischen vier Wänden bis hin zum handfesten Streit. Der Haussegen kann aber nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch tatsächlich schief hängen.

    „Haussegen“ waren gestickte und gerahmte und teilweise üppig verzierte Spruchbilder hinter Glas, informiert Simone Michel-von Dungern, Leiterin des Museums Malerwinkelhaus in Marktbreit. Sie hingen in der „guten Stube“, in der Wohnküche oder im Flur.

    Eine andere Bezeichnung für „Haussegen“ ist „Papierkanevas“. Das war ein dünner Karton mit vielen kleinen, gleichmäßig verteilten Löchern. „Er ahmte den locker gewebten und daher leicht zu bestickenden Kanevas oder Stramin aus Hanf nach“, so Michel-von Dungern. Das Wort leitet sich von „cannabus“ ab, spätlateinisch für Hanf. Die Perforierungen im Karton erleichterten das Besticken ebenso wie die vorgezeichneten Buchstaben oder Sprüche. Sie wurden laut Simone Michel-von Dungern wohl schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in London erfunden, waren aber erst ab 1880 als Wandschmuck in städtischen und ländlichen Wohnungen weit verbreitet.

    Wichtiger Bestandteil des „Haussegens“ sind Schmuckelemente wie golden und silbern glänzendes Garn, flauschige Chenillefäden, getrocknete Farnblätter oder Edelweißblüten und dazu – vor allem in katholischen Haushalten – bildhafte Dekorelemente: Glanzabbildungen, geprägte Pappe, Seidenoblaten, Fotografien. Ins Auge fallen auch die cremefarbenen Zelluloidapplikationen. „Sie sollten Elfenbein oder Wachs imitieren und somit Luxus suggerieren.“ Aufgrund des hohen Bedarfs entstanden Betriebe, die sich auf die Haussegenproduktion spezialisiert haben. Wer nicht so viel Geduld hatte, der konnte auch die halb fertig angebotenen „Haussegen“ beziehungsweise „Papierkanevas“ erwerben und lediglich die Sprüche sticken.

    Das waren Lebensweisheiten, Wünsche, Handlungsmaxime – und oft weit mehr als eine Zierde für das traute Heim. Die Aussagen sollten zum Beispiel ermuntern, etwa den Gast: „Grüss Gott / tritt ein / Bring Glück / herein.“ Sie sollten an ein Ereignis erinnern wie das Ehejubiläum. Die Papierkanevas hingen aber auch im Gedenken an den im Krieg gefallenen Ehemann oder Sohn an der Wand.

    Die Sprüche sollten zudem das Heim und die Familie beschützen: „Gott schütze unseren Bund / auch unser trautes Heim / und lasse uns in Treue / auf Erden glücklich sein!“ Und wenn die glückliche Fassade Risse bekommen sollte, dann hing vorsorglich die Ermahnung an der Wand: „Eins halte fest, in allen / Lebensstürmen, / die dich betreffen hier: Ob sich auch Wetter / mag auf Wetter türmen, / Dein Heiland ist bei dir.“ Vielleicht hat der Blick auf den „Haussegen“ den Sturm tatsächlich wieder besänftigt, wer weiß . . .

    Papierkanevas hatten neben ihrer eher erbaulichen Seite auch eine politische. Von „Haussegen“ konnte dann nicht mehr die Rede sein. Es waren Kampfparolen, die eng mit der Arbeiterbewegung“ und der Geschichte der SPD verbunden waren. Sie lauteten etwa „Durch Kampf zum Sieg.“ Oder: „Laßt uns sein ein einig Volk von Brüdern.“ Neben den Papierkanevas ist im Museum Malerwinkelhaus auch auf Textilien gestickter Wandschmuck zu sehen. „Wandschoner hatten zudem, wie der Name andeutet, auch die Aufgabe zu schützen“, erzählt Simone Michel-von Dungern. Sie hingen über dem Sofa oder dem Bett. Die Funktion der Überhandtücher war eher das Verdecken.

    Auch wenn in der gewerblichen Stickerei Männer Nadel und Faden zur Hand nahmen, waren in den heimischen Wänden ausschließlich Mädchen und Frauen damit beschäftigt. „Als Vorlage dienten Stickmusterbüchlein, Leporellos mit Stickvorlagen oder Stickmuster aus Handarbeitsbüchern, Mode- und Hausfrauenzeitschriften“, informiert die Museumsleiterin. Derartige Entwürfe seien über Jahrzehnte veröffentlicht und benutzt worden. Die Sprüche ähneln denen auf den Papierkanevas. Themen waren Haus und Heim, Glaube, Liebe, Hoffnung, Familie und Alltag, Pflicht, Ehre und Treue. Die Dekormotive variierten. Beliebt waren „Delfter Landschaften“, Zwerge, Heinzelmännchen, Blumenranken, Heiligen- und Engelfiguren.

    Mittlerweile sind die gestickten Sprüche Nostalgieobjekte. Seit einigen Jahren erfahren sie sogar eine Wiedergeburt – als Wandtattoos. Basis sind oftmals die Sprüche von einst, aber zeitgemäß uminterpretiert. So wurde zum Beispiel aus: „Früh nieder, früh auf, gibt langen Lebenslauf“ das Wandtattoo: „Die schönsten Tage sind die Nächte“.

    Oder der alte Spruch: „Wer schläft, sündigt nicht“ wurde um den Zusatz verlängert: „ . . . wer vorher sündigt, schläft besser“.

    Die Ausstellung „Wände sprechen Bände. Sprüche für das Heim: Gestickter Wandschmuck von einst und moderne Wandtattoos“ ist bis 30. Oktober im Museum Malerwinkelhaus in Marktbreit zu sehen: Donnerstag 14 bis 20, Freitag, Samstag, Sonn- und Feiertag 14 bis 17 Uhr.

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