Frage: Wie reagiert das Publikum auf den Weltklasse-Bariton, der jetzt Kabarett macht?
Thomas Quasthoff: Ich glaube, die Tatsache, dass wir jetzt schon zwei Jahre auf Tour sind und die Säle nicht leer, spricht dafür, dass das Publikum das angenommen hat. Es war am Anfang sicherlich nicht ganz einfach, weil man in Deutschland dazu neigt, Künstler in Schubladen zu stecken. Aber mittlerweile ist das überhaupt kein Problem mehr.
Vor allem in Deutschland wird wirklich oft ein Unterschied gemacht: Schuberts „Winterreise“ ist Hochkultur, Kabarett ist, na ja, auch so ein bisschen und vielleicht . . .
Quasthoff: . . . dann soll ein klassischer Musiker mal einen Kabarettabend machen! Dann sprechen wir uns wieder. Der Lernaufwand ist wesentlich höher als bei der klassischen Musik. Da haben Sie immer noch die Musik zu Hilfe – im Kabarett nicht. Da müssen Sie ein guter Schauspieler sein, müssen gut sprechen können, Ausstrahlung haben – und: Sie müssen im Kopf schnell reagieren. Man sagt da ja nicht stupide auswendig Gelerntes auf, sondern geht auf Publikumsreaktionen ein. Mit Sicherheit ist das eine genauso anspruchsvoll wie das andere.
Sie nehmen in dem Programm „Keine Kunst“ auch das Klassik-Publikum und die Bildungsbürger auf die Schippe. Spielen da eigene Erfahrungen mit rein?
Quasthoff: Na ja: Fahren Sie mal nach Salzburg zu den Festspielen und gucken sich das ganze Theater mal an. Sie werden sehr schnell feststellen, dass auch der Beruf des klassischen Musikers sich manchmal sehr nah am Kabarett bewegt.
Und Sie nehmen auch Kritiker kabarettistisch aufs Korn.
Quasthoff: Ja. Die machen sich über uns Künstler manchmal ja auch lustig. Ich erinnere mich noch an einen meiner ersten Liederabende, im Sendesaal in Hannover. Da schrieb ein Kritiker: „Der junge Sänger Thomas Quasthoff ist den Brahms-Liedern noch nicht gewachsen. Zu den Höhepunkten des Abends gehörte Opus 94 von Johannes Brahms.“ Also entweder war der gar nicht in dem Liederabend und hat irgendeinen Scheiß geschrieben, oder er ist doof. Ich würde mal auf Letzteres und Ersteres tippen. Und so etwas ist mir nicht nur einmal passiert. Es gibt schon ein paar Kolleginnen und Kollegen von Ihnen, wo ich sagen würde: Das sind für mich frustrierte, verhinderte Musiker. Leider neigen wir in Deutschland dazu, Künstler, die weltweit erfolgreich sind, kaputtzuschreiben. Das finde ich manchmal ausgesprochen unanständig. Letztendlich geht das immer auch auf Kosten von Menschen. Ich vermisse manchmal ein bisschen Respekt. Klassische Musik auf dem Niveau, auf dem ich musizieren durfte, ist knallharter Leistungssport. Das ist mit sehr, sehr viel Arbeit und Verzicht verbunden. Ich glaube, dass viele Journalisten sich darüber gar nicht im Klaren sind.
Andere in aller Öffentlichkeit zu kritisieren, ist vielleicht wirklich ein etwas seltsamer Beruf, oder?
Quasthoff: Ich finde es völlig legitim, wenn irgendein Konzert einem Kritiker nicht gefällt. Dafür haben wir Meinungsfreiheit. Schlimm finde ich aber – und ich habe das oft erlebt! –, wenn ein Publikum komplett begeistert war, mit Bravos und Standing Ovations, und der Kritiker schreibt das Konzert nieder. Da komme ich nicht mit klar. Da wäre ein bisschen Political Correctness angebracht, wenigstens mit einem Satz wie „das Publikum war begeistert“.
Bräuchte es mehr Demut vonseiten der Kritiker?
Quasthoff: Das gilt für beide Seiten. Wenn ich mir angucke, mit welcher Überheblichkeit und Chuzpe manche junge Kollegen an die Musik rangehen, dann sage ich jetzt mal, dass denen auch etwas Demut guttäte. Das Geschäft ist sehr oberflächlich geworden. Ich bedaure es nicht – das sage ich ohne jegliche Verbitterung –, dass ich nicht mehr im klassischen Bereich tätig bin.
In Ihrem Kabarettprogramm gehen Sie auch selbstironisch mit Ihrer Behinderung um.
Quasthoff: Das hab' ich immer getan. Ich habe viele andere Contergan-Leute kennengelernt, die sozusagen in Verbitterung sterben. Das habe ich Gott sei Dank durch meine Familie, meinen Bruder und meine Frau nie so erlebt. Ich habe gemerkt, dass man mit einer positiv gemeinten Distanz zu sich selbst wesentlich besser mit einer Behinderung klarkommt. Für mich ist meine Behinderung kein Problem, sondern ein Faktum, das unumstößlich ist und mit dem ich, nach nunmehr fast 56 Jahren, sehr gut leben kann.
Gehen die – in Anführungsstrichen – Normalen zu verkrampft mit Behinderten um?
Quasthoff: Ich würde sogar weitergehen: Ist nicht jeder von uns in irgendeiner Art und Weise behindert? Ich hab' halt den Vorteil, dass man mir's ansieht. Aber ich bin in vielen Bereichen sehr viel ausgeglichener, zufriedener, glücklicher als andere. Ich habe als Konzertsänger und als Künstler alles erreicht, was man erreichen kann. Ich habe eine wunderbare Frau, eine tolle Stieftochter, wir wohnen in der schönsten Gegend von Berlin. Wenn ich verbittert wäre oder unzufrieden, dann würde ich mich, glaub' ich, ein bisschen versündigen. Unzufriedenheit, Geldgier, nicht gut laufende Ehen – hat das nicht alles irgendwie auch mit Behinderung zu tun?
So kann man das sehen.
Quasthoff: Ich finde, seelische Behinderungen sind mindestens genauso schlimm wie physische. Aber die sieht man nicht. Ich glaube aber auch, dass es eine große Rolle spielt, wie Behinderte auf Menschen zugehen. Wenn ich suggeriere: „Ich bin ein armes Würstchen, wehe, ihr beleidigt mich, wehe, ihr sprecht meine Behinderung an“, dann suggeriere ich meinem nicht behinderten Gegenüber Angst und Unsicherheit. Ich gehe sehr normal auf Leute zu, und die merken eigentlich nach zwei Minuten, dass man mit mir genauso reden kann wie mit seinem Stammtischbruder in der Kneipe, denk' ich.
Am Sonntag gastieren sie in Würzburg. Sie müssten eigentlich angenehme Erinnerungen an die Stadt haben. Sie haben hier mal den Mozartfest-Gesangswettbewerb gewonnen.
Quasthoff: Neunzehnhundertund . . . (überlegt)
. . . und . . .
Quasthoff: . . . siebenundachtzig!
Sie wissen's noch!
Quasthoff: Natürlich. Das habe ich auch deswegen nicht vergessen, weil ich gemeinsam mit einer meiner – übrigens immer noch – liebsten Freundinnen, Lioba Braun, den ersten Preis gewonnen habe. Außerdem ist Würzburg eine wunderschöne Stadt.
Hat Sie der Preis in Ihrer Karriere vorangebracht? Sie müssen jetzt nicht gezwungenermaßen was Nettes sagen.
Quasthoff: Nee, muss ich nicht (lacht). Also ich denke, es war für mich ein wichtiger Schritt, der mich sehr ermutigt hat, ein Jahr später am ARD-Musikwettbewerb teilzunehmen, den ich ja dann gewonnen habe. Der ARD-Wettbewerb war natürlich der wichtigere. Der Mozartfest-Wettbewerb ist aber einfach auch eine schöne Erinnerung. Ich weiß noch, dass in einer der Runden mein Pianist weinte, als wir die Bühne verließen, weil ich ihn während des Singens so angerührt hatte – ich glaube es war mit der Arie „Ella giammai m'amo“ des Philipp aus Verdis „Don Carlos“. Das war schon sehr bemerkenswert. So etwas vergisst man nicht.
Quasthoff in Würzburg
Geboren am 9. November in Hildesheim, studierte Thomas Quasthoff nach dem Abitur Jura, brach das Studium aber ab, arbeitete bei der Sparkasse und als Sprecher beim Rundfunk. Er trat auch als Jazzsänger und als Kabarettist auf.
Bei Charlotte Lehman, die auch an der Würzburger Musikhochschule unterrichtete, studierte Quasthoff Gesang. Er trat auf den großen Bühnen der Welt auf. Im Januar 2012 beendete er „aus gesundheitlichen Gründen“ seine Gesangskarriere. Der Bariton hat eine Professur an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin inne.
Mit Michael Frowin als Partner tritt Quasthoff am 15. März im Würzburger Bockshorn auf. Karten: Tel. (09 31) 4 60 60 66