Hausbesuch bei Tocotronic in Hamburg-Altona: ein Bett, zwei Korbstühle, ein Tisch, ein Plattenregal und dazwischen die Instrumente. Ein Gespräch mit Sänger Dirk von Lowtzow, Gitarrist Rick McPhail und Schlagzeuger Arne Zank über Verweigerungshaltung, das Nichtstun, das neue Album und vieles mehr. Am 25. Oktober gastiert die deutsche Rockband im Würzburger Soundpark Ost.
Frage: Zum neuen Album, „Kapitulation“, haben Sie ein Manifest verfasst. Dessen Inhalt lautet: Fuck it all! Ist das die totale Verweigerung gegenüber jeder Art von Ansprüchen oder Erwartungen der Leistungsgesellschaft?
Dirk von Lowtzow: Das ist natürlich ein schön blöder Spruch. Ich wollte ihn einmal aufwerten, indem ich ihm den Status einer Erlösungsformel gab. An sich ist „Fuck it all“ ja keine besonders tolle Aussage.
Wer kann sich heutzutage noch eine Verweigerungshaltung leisten?
von Lowtzow: Das ist auch für einen Künstler ein Luxus, den man sich gerade noch leisten kann, vielleicht sogar leisten sollte. Ohne diese Verweigerungshaltung kann meines Erachtens überhaupt keine gute Kunst entstehen. Sie muss aber nicht unbedingt mit erhobener Faust vorgebracht werden. Sie kann auch einfach darin bestehen, nichts zu tun. Das wird heutzutage in der Kunstproduktion immer vergessen.
Nichtstun als Motor der Kreativität – wie funktioniert das?
von Lowtzow: Das Nichtstun ist genauso produktiv wie das Tun. Das klingt jetzt vielleicht provokanter, als es wirklich ist. Beim Jazz zum Beispiel ist die nicht gespielte Note genauso wichtig wie die gespielte. Ein Künstler wie Marcel Duchamp ist nur deshalb so bedeutend für die Kunstgeschichte gewesen, weil er einfach 20 Jahre lang nichts getan hat. Das wird gern vergessen in dem blinden Aktivismus, der hierzulande vorherrscht. Es wird in der Kunst viel zu sehr dienstleistungsorientiert gearbeitet, viel zu viel Fleiß an den Tag gelegt, und es werden viel zu viele Bedürfnisse befriedigt. Deshalb möchte ich ausdrücken, dass im Nichtstun auch ganz viel Kraft liegt.
Die Single „Sag alles ab“ ist ein richtiger Punk-Kracher und gibt die neue musikalische Richtung vor. Ist Verweigerung eine Haltung, die Sie vom Punk übernommen haben?
Arne Zank: Punk war eine wichtige Musikrichtung in unser aller Jugend. Punk ist ein sehr komplexes Monster. Was da schon alles für beknackte, aber auch wunderschöne Sachen draus entstanden sind. Punk ist eben ein enorm weites Feld. Wir selbst haben den Urpunk gerade noch in den letzten Zügen mitgekriegt. Mitte der Achtziger Jahre kam dann Hardcore auf. Von Bands wie Minor Threat war ich total geflasht.
Rick McPhail: Punk vereint Gegensätze: Einerseits steht er für eine Do-it-yourself-Attitüde, andererseits gehört zum Punksein auch das Nichtstun dazu. Wenn wir alles selber machen müssten, würden wir das wahrscheinlich notgedrungen auch tun. Aber im Moment tun wir lieber nichts. Wir sind gegen den Mainstream-Ethos des Fleißes und der Leistung. Der schlägt einem inzwischen leider auch in der Rockmusik entgegen. Deshalb beharren wir mit Nachdruck auf dem Recht, auch mal nichts zu tun.
Ihre Texte sind zum Teil sehr anspruchsvoll. Haben Sie das Gefühl, nur für eine Elite zu schreiben?
McPhail: Natürlich wollen wir, dass alle unsere Musik hören. Unsere neue Platte betrachten wir als Gegenangebot zum Mainstream. Leider haben viele Leute keine Lust mehr, sich intensiver mit Musik zu beschäftigen. Das war mal anders: In den Siebzigern war die HiFi-Anlage ein Statussymbol wie das Auto. Heute möchte man hingegen seine Musik möglichst kompakt überall mit sich herumtragen. Dabei geht es mehr um Quantität als um Qualität. Man nimmt sich auch nicht mehr die Zeit zum Hören. Musik ist aber eine Kunstform, die Beschäftigung erfordert. Wir produzieren auch keine Wegwerf-Platten, die man sich über Kleinanlagen mit Klo-Lautsprechern von Schlecker anhört. Zank: Die Leute sollen sich den Mut fassen, unsere Texte auf ihre ganz eigene Weise zu interpretieren. Es existiert keine definitive Wahrheit. Wo ist das Problem?
Wie muss Rockmusik beschaffen sein, damit sie Ihren Ansprüchen genügt?
Zank: Wir waren schon in jungen Jahren fasziniert von Musik, die uns ganz viel erzählt und Möglichkeiten eröffnet hat. Deshalb ist unser Ideal, zeitlose, vielschichtige und berührende Musik zu schaffen. Aber man darf sich zu Tocotronic auch gern volllaufen lassen und abtanzen. Ginge es aber nur darum, wäre es langweilig.
Ist intellektuelle Rockmusik auf dem Rückzug?
Zank: Gerade im Rockbereich herrschen eine Intellektuellenfeindlichkeit und ein Diktat der Bodenständigkeit: Alles muss immer ganz aus dem Bauch heraus kommen, sonst gilt es nicht als authentisch. Das hat mich aber nie interessiert. Statt auf Handwerk setze ich lieber auf Formen und Konzepte.
Im Blickpunkt
Karten fürs Konzert in Würzburg Karten für das Tocotronic-Konzert am 25. Oktober im Würzburger Soundpark Ost gibt es unter Tel. (0 18 05) 57 00 00, im Internet: www.mainpost.de www.kartenhaus.de