Es ist Tradition beim Mozartfest, dass der oder die Komponistin, die im Laufe des Festivals in Programmen porträtiert und im Mozartlabor studiert wird, sich für das Auftaktgespräch einen Gesprächspartner wünschen darf. Die Komponistin Unsuk Chin, geboren 1961 in Südkorea, heute ansässig in Berlin, hat sich nicht etwa einen Musiker gewünscht, sondern einen Physiker, den Sachbuchautor Stefan Klein: "Ich mag es überhaupt nicht, über Musik zu sprechen."
Ein wenig sprechen die beiden dann doch über Musik in diesen bewegten 90 Minuten im Würzburger Exerzitienhaus Himmelspforten unter dem Titel "Über Sterne und Sternenstaub". Vor allem, weil Klein, großer Bewunderer von Unsuk Chins Musik, sich eine Art roten Faden zurechtgelegt hat: Ihn interessiert, wo die Parallelen zwischen wissenschaftlichem und künstlerischem Schaffen liegen, ob sich Inspiration einerseits und Versagensangst andererseits möglicherweise ähneln.
Versagensangst kennen sie beide, ob nun gerade ein Buch entsteht oder eine Oper
Versagensangst kennen sie beide, wie sich herausstellt, ob nun gerade ein Buch entsteht oder eine Oper. Beiden gelingt es immer wieder, das Buch oder die Oper zu vollenden, so hat Unsuk Chin 2007 mit "Alice in Wonderland" Furore gemacht, uraufgeführt am Nationaltheater München unter der Leitung von Kent Nagano. Und doch ist da immer wieder diese Sorge...
Oder die permanente Verzweiflung, mit der die Komponistin ihren Arbeitsalltag beschreibt. Auf den Autor Klein ist sie gestoßen, weil sie, nach Arbeitsende gegen Mitternacht, gerne Dokumentationen schaut oder eben wissenschaftliche Bücher liest. Wo sie sich dann mit Theorien zum Universum und zur Entstehung des Lebens befasst. Ein Werk aus dem Jahr 2016 hat sie "Le Chant des Enfants des Etoiles" genannt, den Gesang der Sternenkinder. Klein wiederum hat ein Buch mit dem (bei Novalis geklauten) Titel "Wir alle sind Sternenstaub" verfasst.
"Wir sind Atommüll aus dem Brutreaktor des Universums"
Wissenschaftlich gesehen, sind wir alle Sternenkinder. Oder, wie es Stefan Klein prosaischer formuliert: "Wir bestehen aus Elementen, die aus der Glut der Sterne entstanden sind. Wir sind Atommüll aus dem Brutreaktor des Weltalls." Doch es sind nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich im Werk von Unsuk Chin niederschlagen, auch wenn sie physikalischen Gesetze der Töne bewusst respektiert: "Sonst gibt es keinen guten Klang."

Es sind ihre Träume. Diese haben ihr durch eine Kindheit in Armut und ohne Liebe geholfen, sie sind ihre Freunde, ihre Kraftquelle, ihr Bollwerk gegen die Realität und schließlich ihre Inspiration. Stefan Klein wiederum hat ein Buch über Träume geschrieben, das Unsuk Chin begeistert hat. Traumdeutung im Freudschen Sinne interessiert beide nicht besonders (Chin weist auch jegliche esoterische Motivation zurück), sondern eher die Bedeutung des Traums für die Wahrnehmung. Klein: "Im Traum fängt das Gehirn an, sich eine Wirklichkeit zurechtzuzimmern." Das sei im Wachzustand auch so, dort allerdings greifen die Sinne als Korrektiv ein.
Die Gleichzeitigkeit von nah und fern, von hart und sanft, von fest und flüssig
Es sind auch die physikalischen Unmöglichkeiten, die im Traum möglich werden, die Unsuk Chin faszinieren. Für die es keine Sprache gibt und aus denen sie deshalb Musik macht: Die Gleichzeitigkeit von nah und fern etwa, von hart und sanft, von fest und flüssig. "Träume sind für mich ein Ort der Sehnsucht. Ich komme von dort, war aber noch nie da."
Musik machen wollte sie schon als Kind, und dieses Vorhaben hat sie gegen alle Widerstände umgesetzt: Hat sich Klavier und Komposition selbst beigebracht, ist mit 18 in der Aufnahmeprüfung für die Musikhochschule gescheitert, hat weitergemacht, wurde Schülerin von György Ligeti und ist heute eine vielfach ausgezeichnete Komponistin, deren Werke von Spitzenensembles weltweit aufgeführt werden. "In meinem Kopf bin ich immer alleine und immer bei meiner Musik."
Und dann gibt es noch eine andere Motivation. Es dauert einen Moment, bis Unsuk Chin damit herausrückt. Wo Kreativität herkomme, hat eine Besucherin gefragt. "Wenn ich wüsste, wo sie herkommt, würde ich diesen Ort verstärken", sagt Chin. Und dann: "Wut. Wut ist eine wichtige Quelle. Eine Energie, die sich in positive Energie verwandelt."