Schade, dass wir alle irgendwann die kleine Insel Titiwu verlassen müssen, auf der die Tiere unter der freundlichen Obhut von Professor Tibatong die menschliche Sprache lernen dürfen. Und auf der keiner höhnisch grinst, wenn Ping oder Wawa oder das Urmel über die eigene Zunge stolpern. "Wird schon dud dehen" - das versteht doch jeder, der guten Willens und voller Hoffnung ist.
Das ist für Menschen, die die Insel längst verlassen haben und jetzt im Maßbacher Inseltheater anlanden, um das Sommerkindertheater zu genießen, das Tröstlichste: Dass Kinder, die fast schon die Urenkel sein könnten, sich heute genauso herzlich an "Urmel aus dem Eis" erfreuen, wie die Kinder in den 1960er und 1970er Jahre, die am Sonntagnachmittag um halb drei vor dem Fernsehapparat saßen und gespannt darauf warteten, dass sich der Vorhang der Augsburger Puppenkiste öffnete.
Kusshände für die friedlichen Insulaner und das exotische Tierkonzert
Viele Kinder sind mit allen Sinnen dabei in dem von Stella Seefried inszenierten Theaterstück von Max Kruse und Frank Pinkus nach Kruses Kinderbuchklassiker. Wenn überhaupt so etwas wie Unruhe aufkommt, dann eine, die sich einfügt in das exotische Tierkonzert, das aus dem titiwuschen Urwald dringt. Am Ende werden den friedlichen Insulanern sogar Kusshände zugeworfen.

Ist ja auch kein Wunder. Jörn Hagen hat ein kunterbuntes Bühnenbild entworfen, in dem von Seelefants Klippensessel, der Felshöhle mit der Riesenkrabbe, Wutzens Wäschekorb und Professors Tiersprechschule alles zu finden ist, was es an bedeutsamen Dingen für die Geschichte braucht. Und selbst jene, die noch die Geschöpfe aus der Augsburger Puppenkiste vor ihrem inneren Auge sehen, staunen darüber, welch fantasievollen Kostüme sich Daniela Zepper hat einfallen lassen und welche Gestalten in sie hineinschlüpfen.
Einer muss in zwei Rollen schlüpfen
Überraschung: der ziemlich dünne Benjamin Jorns wird zum Hausschwein Wutz, Professors Wirtschaftshilfe und Urmels Ersatzmama – mit Küchenschürze und in inseltauglichen Stöckelschuhen. Anna Schindlbeck mimt ein allerliebstes Urmel, wackelt freundlich mit dem Drachenschwanz und blickt mit großen Augen neugierig in die Welt, ohne Harm und Kummer. Silvia Steger und Katharina Försch sind als Pinguin Ping und Waran Wawa, zwei ungleiche Geschwister im Geiste, die sich kabbeln, aber mögen. Susanne Pfeiffer ist als Habakuk Tibatong zwar haushaltshilfsbedürftig, wirkt aber weniger zerstreut als der Puppenkistenprofessor.
Und Marc Marchand schließlich muss gleich in zwei Rollen schlüpfen, in die des ruhmbesessenen Urmeljägers König Pumponell und in die des Seelefanten, der seine Trauer über sich und den Zustand der Welt in die Brandung dröhnt. Dem Seelefanten sollte man viel mehr zuhören. Ein Lob der Melancholie!

Der zweite Trost beim einstündigen Aufenthalt auf Titiwu: Wenn die Geschöpfe einst – wie alle ihre Vorgänger – die Insel verlassen müssen, blicken sie den Mühen des Festlandes wahrscheinlich mutiger ins Auge als jene, die die Insel nie betreten haben. Und sie werden ihren Nachkommen von dieser Insel des Friedens erzählen, auf der ein Urmel ein Urmel sein durfte und eine Wutz eine Wutz – egal wie sie aussahen und wie sie sprachen. Und keiner wird jemals mehr daran zweifeln, dass auch ein Schwein edle Gefühle hegt.
"Urmel aus dem Eis" ist bis zum 3. August auf der Freilichtbühne des Theater Maßbach zu sehen. Infos und Karten: Tel. 09735-235. www.theater-massbach.de