Mit nasaler Stimme singt er über respektlose Jugendliche, fremdschämende Situationen, dicke Kinder, Heavy-Metal-Festivals und seine Heimat Sankt Pauli. Die Texte und Äußerungen des Hamburgers kommen nicht bei allen gut an, Jan Delay nimmt nur sehr ungern ein Blatt vor den Mund. Im Interview spricht der frisch gebackene Vater, der am 26. September in Würzburg gastiert, über Öko-Eltern, den Umgang mit Kritikern, seine Werte und den Spaß an der Provokation.
Frage: Im April wurde Ihr Album „Hammer & Michel“ veröffentlicht. Wie zufrieden sind Sie heute mit der Platte, und wie empfinden Sie die doch teilweise sehr harschen Reaktionen auf Ihren Ausflug ins Rock-Genre?
Jan Delay: Ich liebe das Album nach wie vor und bin mir sicher mit dem, was ich gemacht habe. Ich erlebe das ja auch. Es ist der Wahnsinn, wie die Leute live auf die Songs abgehen. Außerdem sehe ich ja, dass die Vögel, die die gemeinen Artikel geschrieben haben, nicht in der Überzahl sind. Ich denke aber, dass ich erst nach einem Jahr oder so wirklich ein Fazit ziehen kann. Dann hatten alle Leute, von denen ich glaube, dass sie das Album lieben könnten, die Chance, es sich anzuhören. Und die Chance, sich nicht abschrecken zu lassen von dem, was geschrieben wurde.
„Die Vögel“ haben dieses Mal tatsächlich nicht mit Kritik gespart. Warum?
Delay: Das waren halt einfach Leute, die mich sowieso scheiße finden. Und die letztendlich nur darauf gewartet haben, dass ich etwas mache, wo sie glauben, mich zu haben oder mich auf irgendwas festnageln zu können, weil ich mich in ihrem Territorium bewege. Die konnten zu meinen Hip-Hop-, Funk- oder Reggae-Sachen nichts sagen, weil sie da nicht zu Hause sind. Aber jetzt habe ich mich an „ihrem“ Rock vergangen. Und da können sie mir natürlich sagen, wie das in ihren Augen zu laufen hat. Aber das ist völlig okay und ihr Recht. Es war schon hart, als diese Kritiken rauskamen, aber jetzt bin ich da voll entspannt.
Sie sind als Möchtegern-Rocker oder Hipster-Witzfigur bezeichnet worden, wurden also auf sehr persönlicher Ebene angegriffen . . .
Delay (unterbricht): . . . ja, das ist ja genau das, was ich meine. Und was ich den ganzen Vögeln vorwerfe. Ich werde auf jeden Fall irgendwann, irgendwie dazu Stellung nehmen. Ich habe die ganze Zeit meine Klappe gehalten, weil ich zu der Zeit, als die Kritiken rauskamen, echt Besseres zu tun hatte. Ich war gerade frisch Vater geworden und habe die Platte rausgebracht. Da wollte ich nicht noch Öl ins Feuer gießen. Aber das meiste davon ist eh' passiert, weil ich meine große Klappe nicht halten konnte, weil ich vorher gesagt habe: Ich mache jetzt eine super Rockplatte.
Wollten Sie vielleicht zu viel von dem Album? Rock hat eben spezielle Merkmale, aber wenn man dann auch noch möchte, dass die Texte eingängig sind und die Musik gut tanzbar ist . . .
Delay: Nee, so was denke ich gar nicht. Für mich ist Rock einfach so vielfältig und was ganz anderes als für andere Leute wie Axl Rose oder Slash oder irgendeinen Kritiker. Keiner kann sagen: Das ist Rock. Ich bin halt auch ein Pop-Schwein. Ich stehe genauso auf Anthrax wie auf eine Ballade von Guns N' Roses. Das mag ich, das ist für mich Rock, auch wenn es eingängige Stadionmusik ist, zu der man mitsingen und tanzen kann. Und wenn ich eine Platte mache, dann will ich da nicht zwölf gleiche Songs drauf haben. Keine zwölf Aggro-Rock-Hass-Nummern, keine zwölf Stadion-Mitgröl-Nummern. Ich will eine ganz, ganz breite Palette zeigen. Das ist ja auch immer noch eine Jan-Delay-Platte, und dass ich alles Mögliche an Musik mag und mache, weiß man doch seit 15 Jahren. Das bin alles ich. Das ist wie mit meiner Stimme. Wenn man das nicht mag, dann mag man das halt nicht. Und das ist völlig okay. Solange die Kritik nicht persönlich wird, finde ich das alles cool.
Sie sind jemand, der nicht nur kritisiert wird, sondern selbst austeilt. Sie vertreten auch politisch klare Meinungen. Jetzt sind weder Rapper noch Rocker unbedingt für ihre politische Meinung bekannt. Warum ist das bei Ihnen anders?
Delay: Ich bin so erzogen worden. Sowohl von meinem Elternhaus und dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, als auch von den Bands, die mich großgezogen haben, wie Public Enemy oder die Beastie Boys oder Rage Against The Machine. Das hat mich geprägt. Bei diesen Bands ging es nicht nur um Musik, sondern auch darum, Werte zu vermitteln. Und deswegen bin ich im besten Fall auch jemand, der einem Zehn- oder Fünfzehnjährigen so etwas wie Rückgrat, Haltung oder Ideale vermitteln kann.
Ob Guido Westerwelle, die RAF oder Heino: Viele Ihrer Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Themen sind kurz und direkt. Wollen Sie bewusst provozieren? Oder sagen Sie einfach, was Sie denken, ohne Kalkül und Rücksicht auf mögliche Konsequenzen?
Delay: Eher das Letztere. Aber das will ich beibehalten, selbst wenn mir dann manchmal irgendwelche Sätze rauspurzeln. Ich bin da, wo ich bin, weil ich immer sage, was ich denke. Und wenn ich jedes Mal fünf Mal nachdenken und hinterfragen muss, was ich in einem Interview sage, dann wäre ich vollkommen gehemmt. Das wäre schlimm. Und deswegen werde ich das weiterhin so angehen.
Aber die ein oder andere bewusste Aussage ist doch bestimmt dabei.
Delay: Bewusst provoziere ich nur, wenn ich meine, dass mein Gegenüber das verdient. Weil es manchmal schon Spaß bringen kann und auch feste Strukturen lösen. Weil es Reibung erzeugt. Aber die meisten Aussagen von mir, die andere provoziert haben, da geht es eher wieder um mich als Person.
Es hat also etwas mit dem anderen Umfeld zu tun, in dem Sie sich heute bewegen?
Delay: Genau. Ich bin immer noch der gleiche Typ, der gleiche Hip-Hopper aus Hamburg City, der Graffiti liebt. Aber in dem Moment, wo ich in irgendeiner Samstagabend-Show sage, dass ich das völlig cool finde, wenn die Leute nachts in die Yards gehen und S-Bahnen besprühen und fremdes Eigentum beschädigen – in dem Moment provoziere ich da jemanden. Ich wollte das aber gar nicht, ich habe einfach nur meine Meinung gesagt. Ich liebe das seit 25 Jahren, Graffiti auf Zügen zu sehen. Andere sehen das als Affront.
Vor „Hammer & Michel“ haben Sie gesagt, es sei nur eine Frage der Reihenfolge, ob die Rockplatte oder ein neues Beginner-Album zuerst rauskommt. Gibt es jetzt die Rückkehr zum Hip-Hop?
Delay: Jetzt ist die Reihenfolge klar (lacht). Mit Dennis (Lisk, Jans Rap-Partner bei den Beginnern, Anm. d. Red.) haben wir sowieso parallel zu meinen Rocksachen die ganze Zeit gestylt und auch schon ein paar Songs gemacht. Das Geile war, dass Dennis immer weitergearbeitet hat. Und jetzt arbeiten wir wieder gemeinsam an den 100 Beats und Strophen, die wir die letzten drei Jahre schon gestylt haben.
Und wieder ein völlig neues Genre? Ist das auch eine Option?
Delay: Ja, ich habe da schon was im Hinterkopf. Aber ich habe jetzt gelernt, nicht mehr vorher zu erzählen, was ich mache. Ich mache es einfach und bringe es raus. Fertig. (lacht)
In diesem Jahr gab es nicht nur das neue Album – Sie sind zum ersten Mal Vater geworden. Auch zu der Erziehung Ihrer Tochter haben Sie interessante Aussagen gemacht. Zum Beispiel, dass sie auch mal im Dreck wühlen soll statt in irgendwelchen behüteten, coolen Ökotagesstätten aufzuwachsen.
Delay: Nee, wieso? In einer Ökotagesstätte gibt's doch genug Dreck. (lacht) Nein, ernsthaft, ich höre immer wieder diese einzelnen Interviewfetzen von mir, die dann verwurschtelt werden. Ich habe nie mit Öko-Eltern abgerechnet, ich habe ja selbst Öko-Eltern. Ich habe nur gesagt, dass ich es komisch finde, dass heute alle Kinder zum Sport oder zur Schule gebracht und von dort abgeholt werden. Keiner darf mehr alleine raus, keiner darf mehr Scheiße bauen, keiner haut sich mehr die Knie auf. Und ich habe einfach Angst, dass der Lukas Ephraim und die Charlotte Annakunde, wenn sie dann mit 35 von zu Hause ausziehen, überhaupt nicht klarkommen, sondern unselbstständige Weicheier voller Allergien und Neurosen sind, weil sie nie draußen waren zum Spielen und Scheiße bauen.
Ihre Tochter wird also kein Weichei. Glauben Sie, dass Sie ein guter Vater sind?
Delay: Fragen Sie mich das in 15 Jahren noch mal. (lacht)
Jan Delay
Geboren wurde Jan Delay, bürgerlich Jan Phillip Eißfeldt, am 20. Februar 1976 in Hamburg-Eppendorf. Delay ist ein deutscher Hip-Hop-, Reggae-, Soul-, Rock- und Funk-Musiker und als Mitglied der Gruppe Beginner und als Solokünstler aktiv. Sein erstes Soloalbum trug den Titel „Searching for the Jan Soul Rebels“ und erschien 2001. Es folgten „Mercedes Dance“ (2006) und „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ (2009). „Hammer & Michel“ erschien 2014. Nach Würzburg kommen Jan Delay & Disco No. 1 am 26. September (s.Oliver Arena). Tickets gibt es unter: Tel. (09 31) 60 01 60 00 oder ticketservice.mainfranken@mainpost.de