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Wagner in Nazi-Hand

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Wagner in Nazi-Hand

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    Zeitgeschichtliches Dokument: Hitler auf dem Balkon des Festspielhauses (aus einem Heft der „Deutschen Arbeitsfront“).
    Zeitgeschichtliches Dokument: Hitler auf dem Balkon des Festspielhauses (aus einem Heft der „Deutschen Arbeitsfront“). Foto: Repros: MP

    Die Unterbrechung der Vorstellung wird rechtzeitig von der Bühne bekanntgegeben. Verlassen Sie dann ruhig den Zuschauerraum . . .“ Es klingt, als drohe lediglich schlechtes Wetter bei einer Freilichtveranstaltung.

    23. Juli 1940. Deutschland führt Krieg. Im Bayreuther Festspielhaus gehen die Richard-Wagner-Festspiele über die Bühne. Alles Routine. Bis auf die Anweisungen auf Seite 3 des Besetzungszettels. Denn die Hinweise auf eine mögliche „Unterbrechung der Vorstellung“ beziehen sich nicht auf schlechtes Wetter. Sondern auf Fliegeralarm. „Die Bezeichnung Ihrer Eintrittskarte stimmt genau mit der Bezeichnung Ihres Luftschutzraumes überein“, heißt es. Und, beruhigend: „Nach der Entwarnung, die die Luftschutzordner bekanntgeben, wird bis zur Fortsetzung der Vorstellung genügend Zeit zum Aufsuchen der Plätze gelassen. Die Vorstellung wird dort fortgesetzt, wo sie unterbrochen wurde.“ Siegfried kann weiter singen, der Wagner-Freund muss sich keine Sorgen machen. Das Festspiel wird seinen Lauf nehmen.

    23. Juli 1940. Deutschland hatte Polen angegriffen, Deutschland war in Frankreich einmarschiert. Doch Hitler gab keine Ruhe, der Krieg würde weiter gehen. Das Volk musste drauf vorbereitet werden. Es musste an Angriffe gewöhnt werden, an Kampfflugzeuge über den Städten, an Bomben, an Tote und Verwundete. Die nahezu harmlos klingenden Anweisungen auf dem Besetzungszettel zur „Götterdämmerung“ passen ins Bild. Als gehe es nur um eine Unterbrechung wegen schlechten Wetters . . .

    Die Bayreuther Festspiele waren ein Rädchen im Getriebe der Nazi-Diktatur – und nicht das kleinste. Dokumente aus dem Besitz eines Würzburger Sammlers zeigen, wie sehr die Wagner-Festspiele sich vereinnahmen ließen. Die „Deutsche Arbeitsfront“ in Gemeinschaft mit der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) brachte das Volk per Sonderzug aus Unterfranken nach Bayreuth. Per KdF griff die Partei in die Freizeit der Bürger ein, überwachte sie und versuchte sie „gleichzuschalten“.

    In Bayreuth war der „Arbeitskamerad“ ein „Gast des Führers“, wie es im Merkblatt vom 2. Juli 1940 heißt, das die „Gaudienststelle Mainfranken“ an die Teilnehmer der Bayreuth-Fahrt verschickte. Aufgeklärt wurde der Festspielbesucher auch darüber, dass die Teilnahme am Einführungsvortrag zum Werk Richard Wagners „selbstverständlich Pflicht“ sei – Indoktrination im Sinne der braunen Machthaber garantiert. „Die Kriegsfestspiele“, heißt es im Propaganda-Ton, seien „ein feierliches Bekenntnis zur deutschen Kunst und Kultur inmitten des Schicksalkampfes der Nation“.

    Ein kleines Heftchen mit Quartiergutschein, Informationen und Stadtplan gab es für den „Arbeitskameraden“ auch. Auf dem Deckblatt ein Hakenkreuz im Strahlenkranz, gleich dahinter, auf Seite 1 ein Bild des „Führers“ auf dem Balkon des Festspielhauses. Hakenkreuz und Hitler springen auch dem Betrachter der Festschrift gleich ins Auge. Und das Durchblättern des Stadtführers von „Bayreuth – Bayerische Ostmark“ macht deutlich, dass es bei den Bayreuther Festspielen zur NS-Zeit nicht in erster Linie um Oper ging, sondern um das Transportieren von nationalsozialistischem Gedankengut.

    Tatkräftig unterstützt wurden die Nationalsozialisten von der damaligen Festspielchefin Winifred Wagner. Sie habe Hitler „salonfähig“ gemacht, urteilen die Bayreuther Historiker Bernd Mayer und Helmut Paulus. Winifred, Schwiegertochter des Komponisten, sympathisierte früh mit Hitler. Der ging als „Onkel Wolf“ in Haus Wahnfried, dem Domizil der Familie Wagner, ein und aus. Schließlich war Richard Wagner sein bevorzugter Komponist, in dessen Werk er seine krude Philosophie umgesetzt fand. Mancher Forscher glaubt sogar, dass Hitler erst durch Wagners Musikdramen und seine Schrift „Das Judenthum in der Musik“ zu seiner Weltsicht kam. Wagner als Verantwortlicher für Nationalsozialismus, Weltkrieg und Holocaust? Geht das nicht zu weit?

    Nein, meint der Ex-Würzburger Joachim Köhler in seinem Buch „Wagners Hitler“. Der studierte Philosoph breitet darin auf gut 400 Seiten seine Argumente aus. Schlussfolgerung: Hitler sei der „Vollstrecker“ dessen gewesen, was Wagner als „Prophet“ vorgedacht hatte. Tatsache ist, dass Richard Wagner (1813 bis 1883) – wie viele Künstler seiner Zeit – zu Deutschtümelei und Nationalismus neigte. Tatsache ist auch, dass die Aufführungen seiner Werke in Bayreuth schon früh von deutschnational Gesinnten benutzt wurde. „Im Bayreuther Festspielführer von 1924, der sich wie ein Parteiprogramm liest, findet sich auch der Satz ,Richard Wagner ist ein Führer zu nationalem Sozialismus‘“, schreibt Joachim Köhler.

    Winifred Wagner gab 1949 die Leitung der Festspiele ab – ihre Verehrung für den „Führer“ blieb: „Wenn der Hitler zum Beispiel heute zur Tür hereinkäme, ich wäre genauso fröhlich und glücklich ihn hier zu sehen und zu haben wie immer“, sagte sie noch 1975 – fünf Jahre vor ihrem Tod in einem Interview.

    Wenn sich am 25. Juli der Vorhang zum „Tannhäuser“ hebt, beginnen die 100. Bayreuther Festspiele. Katharina Wagner, mit Eva Wagner-Pasquier Leiterin der Festspiele, hat angekündigt, das dunkle Kapitel in der Geschichte des „Grünen Hügels“ wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. Auf künstlerischem Weg tut die Urenkelin von Richard Wagner das bereits – jedenfalls zum Teil – in ihrer Inszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“.

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