Nikolai Tokarev zählt zu den besten Pianisten der Welt. Geboren 1983 in Moskau als Sohn eines Pianisten und einer Cellistin, wurde ihm die Musik sozusagen in die Wiege gelegt. 1988 begann er seine musikalische Ausbildung am renommierten Gnessin-Institut, das er 2001 mit Auszeichnung abschloss. Neben etlichen anderen Wettbewerben gewann er 2003 den Kissinger Klavierolymp. Tokarev ist seither auf den großen Bühnen der Welt zu Hause, dennoch kommt er am 16. März bereits zum dritten Mal für ein Solokonzert nach Lohr am Main.
Sie leben in unterschiedlichen Städten. Wo sind Sie gerade? In Dubai, Düsseldorf oder Moskau?
Nikolai Tokarev: Zurzeit bin ich in Dubai, aber ich bin dabei nach Rietberg zu ziehen, wo ich zusammen mit meinem Partner Ralf Herold das "Tokarevfest" organisiere. Es handelt sich um ein neues Musikfestival, bei dem die Musikrichtungen Klassik, Rock und Jazz kombiniert werden. Es wird vom 22. bis 24. März stattfinden. Dahinter steht die Idee, junge europäische Talente zu fördern und auch ein junges Publikum anzuziehen. Es wird dieses Jahr zum ersten Mal und dann alljährlich stattfinden, weshalb es für mich praktisch ist, dort zu wohnen. Ich kann neue Programme für das Fest erstellen und mich gleichzeitig auf anstehende Konzerte vorbereiten.
Woran arbeiten Sie gerade? Was ist Ihr nächstes Ziel?
Tokarev: Ich bin gerade dabei, für die nächste Saison ein neues Programm mit ausschließlich deutschen Komponisten einzustudieren, etwa Schubert, Impromptu op. 90, Brahms Ballade Nr. 2 und Schumanns Symphonische Etüden, einschließlich der eher selten gespielten vier Etüden „Opus Post“. Letzte Saison hatte ich ein russisches und zurzeit spiele ich ein gemischtes Programm. Zusätzlich habe ich ein ganz spezielles Projekt mit 13 japanischen Volksliedern, umgewandelt in klassische Stile. Sie wurden vom sehr talentierten jungen Komponisten Vladimir Titov geschrieben, der einen neuen Stil namens „Inspirismus“ entwickelt hat.
Sie sind es gewohnt mit großen Orchestern wie der Russischen Nationalphilharmonie oder Münchner Philharmonikern zusammenzuarbeiten. Reizt Sie auch ein kleines Publikum wie in Lohr?
Tokarev: Es spielt keine Rolle, ob man vor zehntausend Menschen oder vor einem spielt. Man ist es der Musik und dem Komponisten schuldig, sein Bestes zu geben. Und sich selbst. So habe ich es an der Gnessin-Schule von meiner Lehrerin Ada Traub gelernt.
Wie alt waren Sie, als Sie begonnen haben, Klavier zu spielen?
Tokarev: Ich habe mit vier Jahren angefangen. Als ich sechs war, kam ich auf die Gnessin Schule.
Sie sagen selbst, dass das Üben als Kind hart war – was war ihre Motivation, nicht aufzugeben?
Tokarev: Ich war gut und habe mich schnell weiterentwickelt. Konzerte, Fernsehsendungen und die Teilnahme an Schulaufführungen haben mir nicht die Zeit gegeben, mich zu entspannen und darüber nachzudenken, was ich anderes mit meinem Leben machen könnte. Ich glaube, das Schicksal, nicht meine Eltern, hat meinen Weg so entschieden. Außerdem war es eine schwere Zeit für mein Land, als die Sowjetunion zusammenbrach. Es waren dunkle Jahre mit ungewisser Zukunft, und die Musik gab mir in dieser schweren Zeit Hoffnung und Freude.
Das deutsche Wort "Wunderkind" gibt es auch im Russischen – würden Sie sich selbst als Wunderkind bezeichnen?
Tokarev: Die Leute haben mich so genannt. Das ist aber schon länger her.
Wurden Sie als "Wunderkind" geboren?
Tokarev: Ich liebe Musik, solange ich mich erinnern kann. Um erfolgreich zu werden, musste ich Jahre lang hart arbeiten, es gab viele Enttäuschungen und schwere Verluste. Wunderkind ist nur ein Wort, dahinter stehen eine Menge Arbeit, Glück und Schmerz.
Es gibt viele talentierte Kinder – welche Fähigkeiten braucht man, um auch als Erwachsener erfolgreich zu bleiben?
Tokarev: Heutzutage ist die Musikwelt sehr fordernd und überladen. Man muss stark, kreativ sein und du darfst nie aufhören zu arbeiten. Andererseits hat sich nichts geändert. Man muss einfach lieben, was man tut.
In Lohr werden Sie unterschiedliche Stücke spielen – wer hat sie ausgewählt?
Tokarev: Ich selbst. Es ist ein gemischtes Programm – eines meiner eigenen.
Welchen Komponisten spielen Sie am liebsten, oder gibt es einen Komponisten, der Ihnen besonders aus der Seele spricht?
Tokarev: Es gibt nicht nur einen. Ich finde in jedem Programm, das ich spiele, jemanden. Im Moment sind es Schubert und Titov.
Apropos Seele – ist die russische Seele ein Mythos?
Tokarev: Es ist nicht nur ein Mythos. Wirkliche Russen sind sentimental, demütig und sehr tiefgründig. Literatur und Musik spiegeln die Seele der Nation perfekt wider.
Sie gelten als einer der begabtesten jungen Pianisten der Welt – wächst mit dem Erfolg auch der Druck?
Tokarev: Ja, das höre ich oft. Es ist eine große Verantwortung. Dann gehe ich wohl besser mal üben.
Klavierabend Nikolai Tokarev: Samstag, 16. März, 20 Uhr, Stadthalle Lohr. Werke von Tschaikowsky, Händel, Chopin, Schumann und Rachmaninow. Karten: Tel. (0931) 6001 6000