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Meiningen: Wie Macht und Manipulation funktionieren: Shakespeare in Meiningen

Meiningen

Wie Macht und Manipulation funktionieren: Shakespeare in Meiningen

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    Brutus und Caesar – Freunde und Feinde zugleich: Lukas Umlauft und Vivian Frey
    Brutus und Caesar – Freunde und Feinde zugleich: Lukas Umlauft und Vivian Frey Foto: Jochen Quast

    "Wankelmütig ist die Gunst des Volkes." Wohl die wenigsten Kinder haben einst bei der Comiclektüre diesen Satz in seiner ungeheuren Tragweite verstanden. Erika Fuchs, die geniale Übersetzerin, hatte ihn einmal dem tragikomischen Helden Donald Duck in den Mund gelegt. In Shakespeares Tragödie "Julius Caesar" ist der Satz Leitgedanke. In der ersten Inszenierung von Frank Behnke, neuer Schauspieldirektor am Staatstheater Meiningen, setzt sich der Gedanke fort in "Die Politiker", einer dadaistisch anmutenden Sprachspielerei des Dramatikers Wolfram Lotz, die sich nahtlos an die "Caesar"-Vorstellung anschließt.

    Man wird weder von erhabenen Gesten noch von historischen Gewändern abgelenkt

    Das Volk ist bei Shakespeare sofort präsent – sichtbar und unsichtbar. Auf dem Forum, in den Straßen Roms, auf dem Schlachtfeld und auch im Zuschauerraum. Das Volk als Gemeinschaft dauererregbarer und verführungsbereiter Bürger oder clownesk fanatischer Jubelrömer. Der Raum von Frank Albert, die Kostüme von Cornelia Kraske und die dezente Untermalung der Handlung mit sphärischen Klängen von Matthias Schubert befördern die Konzentration auf die Akteure – rhetorisch, gestisch, mimisch.

    "Retten wir die Republik, wenn wir Caesar töten?" Die Verschwörer Decius, Cassius, Brutus, Cinna und Casca: Renatus Scheibe, Stefan Willi Wang, Lukas Umlauft, Jan Wenglarz, Leo Goldberg (von links).
    "Retten wir die Republik, wenn wir Caesar töten?" Die Verschwörer Decius, Cassius, Brutus, Cinna und Casca: Renatus Scheibe, Stefan Willi Wang, Lukas Umlauft, Jan Wenglarz, Leo Goldberg (von links). Foto: Jochen Quast

    Man wird weder von naturalistischer Kulisse noch von erhabenen Gesten und historischen Gewändern abgelenkt. Die Bühne besteht aus einer ins schwarze Nichts führenden Rampe und aus einem riesigen Lichtkranz am Theaterhimmel. Die Mächtigen – ausgenommen Caesar – tragen glitzernd weiße Showanzüge, die flugs von vornehmem Schwarz abgelöst werden können. Im kargen Ambiente werden die Mechanismen von Macht und Manipulation und zur (Ver-)Führung der Massen so deutlich, dass einem schaudert angesichts der Aktualität dieser Kräfte. Die legendäre Leichenrede des Caesar-Verbündeten Marcus Antonius – atemberaubend interpretiert von Miriam Haltmeier – verdeutlicht in schmerzhafter Klarheit die Wirkung virtuoser Demagogie.

    Wenn das zivilisatorische Grundrauschen zum Höllenlärm anschwillt

    Das Erstaunlichste an dieser Inszenierung ist jedoch die Ensembleleistung. Keiner muss dominieren, um das Räderwerk der Macht begreifbar zu machen: Vivian Frey (Caesar), Emma Suthe (Calpurnia), Lukas Umlauft (Brutus), Evelyn Fuchs (Portia), Miriam Haltmeier (Antonius), Stefan Willi Wang (Cassius), Renatus Scheibe (Decius), Leo Goldberg (Casca) und Jan Wenglarz (Flavius/Cinna). Das Zusammenwirken von Eitelkeit, Stolz, Egomanie und Wortgewandtheit tritt befreit von theatralischem Pathos zutage.

    Wir sind das Volk - und unsere Gunst ist wankelmütig. Szene aus Wolfram Lotz' "Die Politiker".
    Wir sind das Volk - und unsere Gunst ist wankelmütig. Szene aus Wolfram Lotz' "Die Politiker". Foto: Jochen Quast

    Des Volkes Gunst also ist wankelmütig, quer durch die Zeiten. Machtinstrumentarien und Meinungsbildung haben sich allerdings derart verkompliziert, dass ein einst überschaubares Dafür und Dagegen längst zu einem zivilisatorischen Grundrauschen angeschwollen ist, das einem Höllenlärm gleicht. Kein Wunder also, dass folgender Satz von Cicero wie selbstverständlich den Rhythmus vorgibt in Wolfram Lorz' Sprachspiel "Die Politiker", das der Tragödie folgt: "Gewiss, die Zeit ist wunderbar gelaunt, doch Menschen deuten oft nach ihrer Weise die Dinge, weit entfernt vom wahren Sinn."

    Auf den Shakespeare'schen Blankvers folgt eine von Claudia Sendlinger präzis getaktete dadaistische Wortkakophonie. Uniforme Römer wandeln sich noch auf dem Schlachtfeld in einen chaotisch bunten Haufen treudeutscher Bürger, die zur Freude des Publikum ihre haarsträubenden Wahrheiten über "die Politiker" zum Besten geben. Ohne zu merken, dass die Bescheidwisser eigentlich niemanden anderen als sich selbst spiegeln. Viel Applaus nach dieser gelungenen Premiere.

    Nächste Vorstellungen: 24. Oktober, 18 Uhr; 30. Oktober, 5. und  27. November jeweils 19.30 Uhr. Kartentelefon (03693) 451 222. www.staatstheater-meiningen.de

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