„Seierhannes“ aus Mannheim nennt ihn Urban Priol, und der Spötter gibt es viele. Wenn Xavier Naidoo singt, ist die Grenze zum Jammern, Nölen fließend. Was hat der für eine geschmeidige Stimme!, sagen die Fans und freuen sich über emotionale, eingängige Texte. Die anderen verhöhnen das Singen als Geseier, belächeln die missionarische Gib-dich-nicht-auf-Haltung des – so schrieb mal der „Spiegel“ – „Jesus der Hitparaden“. Und wundern sich, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft vor vier Jahren so weit kam, obwohl Naidoos getragener, beladener Titel „Dieser Weg“ der Kabinen-Dauersong war.
Aber genau dieser Soundtrack des Sommers 2006 taugt am Freitagabend auf der Festung Marienberg in Würzburg bestens, um Vorurteile schmelzen zu lassen. Xavier Naidoo, der 38-jährige Musiker aus Mannheim, singt die inoffizielle WM-Hymne gegen Ende seines zweistündigen Konzerts. Und er singt es nicht steinig, nicht schwer, sondern ziemlich rockig, frisch und zupackend. Von wegen Lebenslast – hallo, Lebensfreude!
Eine kleine Zeitreise
Naidoo hat eine große Band mit an die Festung Marienberg gebracht: Ein knappes Dutzend Musiker produziert satten Sound und setzt den Soul des Mannheimers kraftvoll in Szene. Ralf Gustke wirbelt am Schlagzeug, Alex Auer lässt die Gitarre aufheulen, die Bässe wummern, dass der Brustkorb vibriert – man hält sich auf der Dezibel-Skala nicht zurück. Manches, was auf Platte melancholisch, zurückhaltend klingt, strotzt live gesungen vor Kraft und Intensität. „Wir machen ein bisschen Musik für euch“, untertreibt Naidoo, der Mann für große Intensität und emotionale Momente, zur Begrüßung. Besingt den „Mut zur Veränderung“, freut sich – 2003 ja schon mal da gewesen – über die 8000-Zuhörer-Kulisse auf der Neutorwiese: „So habe ich das in Erinnerung, herrlich.“
Songs seines neuen Albums „Alles kann besser werden“ mischt Naidoo mit Altbekanntem, Geliebtem – „Ihr werdet ein bisschen was hören, was ihr schon länger kennt“. Das Würzburger Open Air ist auch eine kleine Zeitreise. „20 000 Meilen“, „Sie sieht mich nicht“, „Ich brauche dich“, „Bevor du gehst“ – die Songs des Soulpredigers haben Wiedererkennungswert. Je älter die Lieder, desto lauter singt das textkundige Publikum Zeile für Zeile mit. Die Show: unaufgeregt, lässig. Die Bühne: ganz konventionell mal in tiefes Blau, mal in Orange, in Grün, in Violett getaucht, dazu ein paar dezente Effekte auf den weißen Streifen am Bühnenhintergrund. Bei den besonders rockigen Nummern schickt die Lichtanlage ein grelles Weiß in den Abendhimmel. Die wenigen Regentröpfchen nach einer Stunde wehren die Zuhörer mit Wunderkerzen und Leuchtstäben ab. Doch für Innigkeit und Romantik bleibt wenig Raum – Naidoo und seine Musiker fetzen auf der Bühne. „Ich hab' Texte geschrieben, die werden mich den Kragen kosten früher oder später.“ Einen der Songs traue er sich in Würzburg „zum ersten Mal vor großem Publikum zu spielen“. Dann singt er von Leuten, die Probleme kleinreden und selbst das Problem sind. „Die FDP hat ausgedient“, greint Naidoo. „Die CDU hat ausgedient, Angela Merkel hat ausgedient.“ Mensch, das müsste selbst Urban Priol gefallen.
ONLINE-TIPP
Viele Bilder vom und rund um das Würzburger Naidoo-Konzert unter: www.mainpost.de