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SAMSTAGSBRIEF: Herr Weber, braucht die CSU Nachhilfe in Europakunde?

SAMSTAGSBRIEF

Herr Weber, braucht die CSU Nachhilfe in Europakunde?

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    Der CSU-Politiker Manfred Weber will Präsident der EU-Kommission werden.
    Der CSU-Politiker Manfred Weber will Präsident der EU-Kommission werden. Foto: Foto: Emmanuel Dunand, dpa

    Sehr geehrter Herr Weber, dass Franz Josef Strauß ein überzeugter Anhänger der europäischen Einigungspolitik war, ist Ihnen bekannt. Auf Ihrer Internetseite zitieren Sie ihn mit den Worten: „Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft.“ Fast 30 Jahre nach dem Tod des CSU-Übervaters scheint sich in dessen Partei – in Ihrer Partei – der Wind gedreht zu haben. Ja, so sehr, dass ich schon gestutzt habe, als ich Mitte der Woche hörte, dass mit Ihnen ausgerechnet ein CSU-Politiker neuer Präsident der EU-Kommission werden will.

    Wir erinnern uns: Die „Zeit des geordneten Multilateralismus“ sei vorüber, sagte kürzlich Ministerpräsident Markus Söder und stellte so ein wesentliches Merkmal deutscher Außenpolitik – nämlich mit anderen Staaten, insbesondere mit europäischen, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen – infrage. Gleichzeitig sucht unter anderem CSU-Chef Horst Seehofer immer wieder die Nähe zu Politikern wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, den man getrost als Antieuropäer bezeichnen kann. Das hat nicht mehr viel mit Strauß gemein, der einmal betonte, er räume „der Europapolitik Vorrang ein, weil ihr Erfolg oder Misserfolg letztlich unser Schicksal (...) entscheidet“.

    Dass Orbáns Partei Fidesz noch Teil der Europäischen Volkspartei (EVP) ist, deren Fraktionsvorsitzender im EU-Parlament Sie sind – und auf deren Stimmen Sie bei der Kommissionspräsidentenwahl hoffen –, bringt Ihnen immer wieder Kritik ein. Dennoch gelten Sie als Liberaler in der CSU. Als „Anti-Söder“, wie die „Tagesschau“ meint. Und als solcher haben Sie große Ziele ausgerufen: „Es darf in der EU kein Weiter so geben“, schrieben Sie am Mittwoch, als Sie Ihre Ambitionen öffentlich machten. Europa sei keine Institution von Bürokraten und Eliten. „Ich werde mithelfen, Europa zurück zu den Menschen zu bringen.“ Ob diese Menschen ein solches Versprechen jemandem abnehmen, der in der EU Karriere gemacht hat und in Brüssel bestens vernetzt ist? Der in ihren Augen seit Jahren ein Vertreter eben jener angesprochenen „Bürokraten und Eliten“ ist? Der einer Partei angehört, die im Landtagswahlkampf ein „Bavaria first“ vor sich herträgt?

    Ganz ehrlich, sehr geehrter Herr Weber: Jetzt, da Sie Ihren Hut in den Europasterne-Ring geworfen haben, wäre es für Sie an der Zeit, auch Ihre Parteifreunde wieder auf die Seite Europas zu ziehen. Sagen Sie denen in der CSU, die die EU kritisch sehen, dass Zukunftspolitik nicht ohne Europa zu machen ist. Erinnern Sie sie, wenn nötig, an Strauß. „Nicht zuletzt an uns Deutschen liegt es“, erklärte der schon 1966, „die in die Zukunft weisenden Aspekte der französischen Politik zu fördern, indem wir uns für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft, für eine westeuropäische Aktionsgemeinschaft gegenüber dem Osten und für eine gemeinschaftliche Politik gegenüber der Dritten Welt einsetzen.“ Weitsichtig oder? Spätestens seitdem Donald Trump immer wieder gegen die Nato stänkert und so das Vertrauen in die USA beschädigt, steht eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik wieder oben auf der Agenda. Den Osten der Strauß-Zeit gibt es zwar so nicht mehr, aber Wladimir Putins Politik – von Krim-Krise bis zur mutmaßlichen Einflussnahme auf westliche Wahlen – gehört sicher zu den Themen, bei denen die EU mit einer Stimme sprechen sollte. Und eine verantwortungsvolle Politik Europas in den ärmsten Teilen der Welt würde zwar nicht stammtischtauglich kurzfristig, aber nachhaltig der Flüchtlingskrise durch die Bekämpfung von Fluchtursachen Rechnung tragen.

    Ich nehme es Ihnen ab, wenn Sie sagen, Europa sei „am Wendepunkt“. Es droht an der Solidaraufgabe, vor die es durch die Flüchtlingskrise gestellt wird, zu zerbrechen. Gesellschaftlich und politisch. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, die Europawahl 2019 entscheide über die Zukunft. Sie haben Recht, wenn Sie erklären, es gehe um „die Selbstbehauptung Europas und die Verteidigung unserer Werte, weil wir von außen und innen angegriffen werden“. Das klingt übrigens wieder nach Strauß, der zu einem „geeinten Westeuropa“ auch „alle Völker Mittel- und Osteuropas“ – und damit auch Ungarn – rechnete und forderte: „Das vereinigte Europa sollte die Position einer eigenständigen Macht“ – damals „zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion“ – „einnehmen und somit im weltpolitischen Kräftespiel das Übergewicht der freien Gesellschaft sichern.“

    In der heutigen CSU scheinen einige die Bedeutung der EU aber vergessen zu haben. Markus Söder kommentierte Ihre Bewerbung als Kommissionspräsident jedenfalls mit den Worten: „Das ist eine tolle Chance für Bayern und die CSU.“ Nein, wenn Sie tatsächlich der Herzbluteuropäer sind, als der Sie sich geben, sollte ein Kommissionspräsident Weber eine Chance für Europa sein. Vielleicht könnten Sie Teilen Ihrer Partei ja Nachhilfe in Europakunde geben!

    Mit freundlichen Grüßen

    Benjamin Stahl, Redakteur

    Lesen Sie hier die Antwort von Manfred Weber: 

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