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WÜRZBURG: Herr Yücel, es gibt einiges zu erklären

WÜRZBURG

Herr Yücel, es gibt einiges zu erklären

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    Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis.
    Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis. Foto: Can Erok/DHA-Depo Photos/AP

    Irgendwie steht Ihr Schicksal, lieber Deniz Yücel, fast schon exemplarisch für den ganzen Irrsinn, der die Welt seit geraumer Zeit befallen zu haben scheint. Da wird ein Journalist in der Türkei mit fadenscheinigen Begründungen eingesperrt. Über ein Jahr muss er – größtenteils in Einzelhaft – grundlos hinter Gittern verbringen. Um dann aus dem Nichts wieder freigelassen zu werden. Anschließend geht der nächste Wahnsinn los, diesmal in Deutschland: Die einen erklären Sie zur Freiheitskampf-Ikone. Andere sehen in Ihnen einen Deutschlandhasser mit doppelter Staatsbürgerschaft. Der unsägliche Zoff reichte diese Woche bis in den Bundestag. Wie gesagt: Die Zeiten waren schon mal fassbarer.

    Eine Woche ausgeschwiegen

    Nicht gerade hilfreich ist in diesem Zusammenhang, dass Sie sich zu all dem eine Woche lang ausgeschwiegen haben. Klar, nach dem Horror-Jahr haben Sie jedes Recht, einfach mal abzutauchen. Was Sie aber – zumal als Öffentlichkeitsprofi – nicht gehindert hätte, nach der Entlassung ein paar Erklärungen abzugeben. Ein offener Brief oder ein Fernseh-Interview in den vergangenen Tagen hätten es schon getan. Es wäre gut gewesen, Ihre Sicht der Dinge zu hören. Und der kruden „Deutschlandhasser“-Diskussion in den (a)sozialen Netzwerken wäre gehörig der Wind aus den Segeln genommen worden.

    Internationales Politikum

    Zumal Sie gerade nicht nur ein Journalist sind – sondern ein internationales Politikum. Da wird genauer hingeschaut – und deshalb fliegen Ihnen just ein paar alte Artikel um die Ohren. Ohne Ihre Stellungnahme wurde eine lange Woche der freien Interpretation das Feld überlassen. Die inzwischen weit verbreitete Meinung, Sie würden Deutschland hassen, speist sich aus ein paar Ihrer alten Kolumnen. Die hatten sich ironisch mit Thilo Sarrazin und dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“ beschäftigt. Aber, wie das mit Ironie so ist: Nicht alle verstehen sie. Außerdem gilt der alte Leitsatz: Jeder kann prima hineininterpretieren, was ihm passt.

    Wie ein Bumerang

    Bei Ironie kann viel schief gehen. Schnell wird aus Ironie ein unkontrollierbarer Bumerang – so wie wir das gerade mit einigen Passagen von Ihnen erleben. Zumal sich „Etwas Besseres als Deutschland findet sich allemal“ aus dem Zusammenhang gerissen tatsächlich sehr befremdlich liest und dringend eingeordnet werden muss. Dass es hier einen ironischen Unterton zu dem Abschaff-Gefasel von Thilo Sarrazin gab, muss man erst mal wissen.

    ... und das sagt Deniz: pic.twitter.com/bRCbCETs9x — Freundeskreis #FreeDeniz (@FreeDenizYuecel) 16. Februar 2018

    Persönlicher Angriff

    Dieses Geraderücken wäre eine Sache von Minuten gewesen. Samt des Hinweises, dass man sich mal vergaloppieren kann – wie bei Ihrem persönlichen Angriff auf Sarrazin. Das war keine Ironie, sondern plump und beleidigend. Diese Einordnungen fehlen, weshalb jeder unwidersprochen seine Sicht der Dinge munter verbreiten kann.

    Den Höhepunkt dieses ganzen gequirlten Social-Media-Dünnpfiffs bildet – wie sollte es anders sein – die AfD. Die hat Sie zum Feindbild erklärt. Fraktionschefin Alice Weidel verstieg sich sogar zu der Aussage, Sie seien weder Deutscher noch Journalist. Das ist so peinlicher Schwachsinn, dass man gar nicht genug Hände haben kann, um diese über dem Kopf zusammenzuschlagen. Ein hessischer Bub, der es zum „Welt“-Korrespondenten gebracht hat – deutscher und journalistischer geht es kaum.

    Seltsamer Hype

    Dieser ganze Blödsinn sowie der seltsame Hype um Sie, der Sie zu einem Symbol der aktuellen deutsch-türkischen Beziehung werden ließ, trübt den Blick dafür, dass in der Türkei weiterhin viele Unschuldige im Gefängnis sitzen – darunter auch Deutsche. Gekidnappt als Faustpfand für was auch immer.

    Bei Ihnen war das nicht anders. Theoretisch kann es natürlich sein, dass Sie einfach so freigelassen wurden. Wahrscheinlicher ist, dass es wie auch immer geartete Verabredungen zwischen Istanbul und Berlin gibt. Sie wollten nach eigener Aussage nie Teil eines „schmutzigen Deals“ mit der Türkei sein – und sind es vielleicht doch. Weil sich mit Despoten keine sauberen Deals machen lassen. Das schließt sich aus. Wer einen wie Sie wegen „Terrorpropaganda und Volksverhetzung“ einsperrtund ein absurdes Verständnis von Pressefreiheit an den Tag legt, kommt nicht mal eben so zur Besinnung.

    Dinge ordnen

    An dieser Stelle geht es einzig und allein um knallharte Überlegungen. Weshalb auch die Einschätzung von Noch-Außenminister Sigmar Gabriel albern anmutet, er hätte etwas durch gutes Zureden bewirkt. Oder durch Teetrinken mit seinem türkischen Amtskollegen. Würde das stimmen, wären alle Deutschen freigekommen.

    Aber zurück zum Ausgangspunkt, lieber Deniz Yücel: Es besteht Erklärungsbedarf – und nur Sie können Abhilfe schaffen. Von Ihnen ist der treffende Satz überliefert: „Das ist das Wunderbare an diesem Beruf: Weil man dabei helfen kann, die Dinge zu ordnen und zu verstehen.“ Ordnen Sie bitte dringend mit, lassen Sie uns verstehen – diesmal in eigener Sache.

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