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BERLIN: Jetzt mal Schluss mit lustig, Herr Sonneborn!

BERLIN

Jetzt mal Schluss mit lustig, Herr Sonneborn!

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    Der Satiriker und Europaabgeordnete der Spaß-Vereinigung «Die Partei», Martin Sonneborn, stellt am 09.02.2017 in Berlin seinen Vater Engelbert Sonneborn (nicht im Bild) als Kandidaten der Piratenpartei für die Bundespräsidentenwahl vor.
    Der Satiriker und Europaabgeordnete der Spaß-Vereinigung «Die Partei», Martin Sonneborn, stellt am 09.02.2017 in Berlin seinen Vater Engelbert Sonneborn (nicht im Bild) als Kandidaten der Piratenpartei für die Bundespräsidentenwahl vor. Foto: Bernd Settnik (dpa-Zentralbild)

    Hallo, Herr Sonneborn. Was zur Zeit in der Welt passiert, macht mir ziemliche Sorgen. Ein verstörend agierender Präsident in den USA. Zunehmende Verrohung der Auseinandersetzung in sozialen Netzwerken. Hass und Selbstsucht scheinen für viele Menschen das Tollste zu sein. Und dann noch die vielen Bestrebungen, etwas schlechtzumachen, was es meiner Meinung nach mit aller Kraft zu verteidigen gilt: die parlamentarische Demokratie.

    Das führt mich zu Ihnen, Herr Sonneborn. Als ich im Fernsehen gesehen habe, wie Sie ihren Vater als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten präsentiert haben, ist mir schlecht geworden, ganz ehrlich.

    Nicht, weil ich Satire nicht mag. Im Gegenteil. Gerade in dunklen Zeiten ist Satire wichtiger denn je. Sie kann und darf hart und gnadenlos sein, bis an und über die Grenzen gehen. Sie kann und darf verletzend, verstörend sein. Sie muss es oft sogar sein, wenn es darum geht, zum Nachdenken zu bringen, zu reflektieren.

    Aber Satire darf nicht an den Grundfesten der Demokratie rütteln, sie der Lächerlichkeit preisgeben. Oder den Eindruck vermitteln, wer Bundespräsident ist, ist so bedeutungslos, da kann ich auch meinen Papa aufstellen.

    Das ist jetzt vielleicht etwas zu pathetisch. Lassen Sie es mich so ausdrücken. Es ist okay, sich als Angela Merkel zu verkleiden, ihre Sprache und Handhaltung nachzumachen, ihre schwierige Beziehung mit Horst Seehofer satirisch aufzuarbeiten. Aber es wäre nicht okay, mal so aus Spaß heraus die eigene Oma als ihre Nachfolgerin ins Rennen zu schicken.

    Ihr Einzug in das Europaparlament für ihre Scherz-Partei „Die Partei“ ist auch so eine Sache, die ich mit zunehmendem Unbehagen sehe. Wie viel deutlicher kann man sagen, dass einem Wahlen, Mandate, Parlamente scheißegal sind? Was für eine Botschaft sendet das aus?

    Alles Blödsinn? Das Parlament eine Quasselbude – die Beschimpfung war übrigens schon mal der Anfang zu einem Ende. Sie halten unparlamentarische Reden im Parlament, die dann als Satire in der Welt sind. Botschaft: Ist doch vollkommen egal, was einer an einem Rednerpult in einem Parlament sagt. Es ist leicht, vielleicht auch verlockend, sich über die Erscheinungsformen einer Demokratie lustigzumachen. Aber es ist falsch und gefährlich.

    Haben Sie mal darüber nachgedacht, seit wann es freie, gleiche und allgemeine Wahlen in Deutschland gibt? Seit wann Frauen überhaupt wählen dürfen in Deutschland? Welche Kämpfe und Auseinandersetzungen dafür nötig waren? Alles noch gar nicht so lange her. Haben Sie mal überlegt, in wie vielen Teilen der Welt Menschen immer noch dafür kämpfen, überhaupt wählen zu können?

    Haben Sie mal darüber nachgedacht, als Sie im Europaparlament als Satiriker am Rednerpult standen, wie großartig es ist, dass wir nach den vielen Kriegen seit 1945 Frieden hier in Europa haben? Dass das hart erarbeitet ist? Etwas, das uns dankbar machen sollte?

    Die Familie meines Mannes stammt aus Frankreich. Unsere Vorfahren haben sicher mal versucht, sich gegenseitig auf einem Schlachtfeld umzubringen. Auch noch nicht so lange her. Erzfeind war lange Jahre das Synonym für Frankreich in Deutschland. Das ist vorbei. Und ein Ergebnis dieses Zusammenwachsens in Europa ist das Europarlament. Das können Sie gerne kritisieren, sich über dort abgesegnete Vorschriften für Gurkengröße und Bananenkrümmung lustigmachen. Aber Sie sollten nicht die Institution als solche lächerlich machen. Wie auch das Amt des Bundespräsidenten nicht.

    Wie das Amt des Bundespräsidenten angelegt ist, die Wahl durch die Bundesversammlung, ist auch Ausdruck eines Lernprozesses aus Fehlern und katastrophalen Verkettungen in der Weimarer Republik. Damals war die parlamentarische Demokratie sehr jung und sehr fragil. Auch, weil sich viele über sie abfällig geäußert haben. Und weil zu viele sie nicht geschätzt haben und bereit waren, sie zu verteidigen oder sich mit ihr konstruktiv auseinanderzusetzen.

    Lieber Herr Sonneborn, es hätte Sie und Ihre Spaß-Partei niemand wählen müssen. Sie hätten aber auch die Wahl nicht annehmen müssen. Aber Sie haben es getan. Soweit ich weiß, haben Sie auch nicht auf die Ihnen als Europa-Abgeordnetem zustehenden Einkünfte verzichtet.

    Dann machen Sie doch was draus. Setzen Sie sich für Menschlichkeit ein. Nutzen Sie die Plattform, die Sie haben, für Positives. Helfen Sie mit, dass Demokratie und Parlamente nicht zu einer Witzvorlage verkommen.

    Es kann ja gut sein, dass manche Mandatsträger nicht unbedingt eine Werbung für das System sind. Das kann man man schön satirisch aufgreifen. Aber das System ist das beste, das wir haben. Machen Sie es bitte nicht kaputt.

    Mit freundlichen Grüßen

    Susanne Wiedemann

    Einer bekommt Post! – Der „Samstagsbrief“ Künftig lesen Sie auf der Meinungsseite am Wochenende unseren „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Figur des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An eine Person, der wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert wird der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen Samstagsbriefen hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den Samstagsbrief zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.

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