Sehr geehrter Herr Wasmuth, als einer der unterfränkischen Organisatoren der Bauern-Demo haben Sie es am Dienstag geschafft, Würzburg samt seiner wichtigsten Anfahrtsstrecken lahmzulegen. Für Kindergartenkinder auf Spaziergang sind rund tausend große, grüne Traktoren in der City zwar ein unerwartetes Geschenk; für andere Städter aber eine Zumutung. Was Ihnen und den anderen Organisatoren der Bewegung „Land schafft Verbindung“ natürlich klar war. „Wir möchten niemanden ärgern, aber sonst werden wir nicht gehört“, haben Sie kundgetan.
Erste Erkenntnis: Vom Gegner lernen!
Erste Erkenntnis nach dem Bauerndienstag: Auch wenn Landwirte dazu neigen, Klimaaktivisten als ihre natürlichen Feinde zu betrachten, haben sie doch von ihnen gelernt. Geht es darum, Gehör zu finden bei einem prinzipiell botschaftenübersättigten Zielpublikum, bedienen sich jene, denen die aktuelle Düngeverordnung noch viel zu liberal ist („Stoppt Gülle!“), und jene, die den teilweisen Verzicht auf Düngemittel als existenzgefährdende Gewinnminderung sehen („Erst den Bauer ruinieren, dann Obst und Gemüse importieren“), mittlerweile der gleichen Strategie.

Und die geht so: Sich ärgern! Dann den Ärger in einen emotionalen Post auf Facebook oder Whatsapp packen und darauf hoffen, dass der Ärger wächst und gedeiht! Und schließlich einen problematischen Demo-Zeitpunkt ankündigen und warten, was passiert. Siehe da: Was etwa bei Fridays-for-Future-Protestlern klappt, funktioniert auch bei den Landwirten – es kommen deutlich mehr Teilnehmer als angekündigt.
Zweite Erkenntnis: Verkehrsbehindernde Demo-Anreise könnte Nachahmer finden
Zweite Erkenntnis nach dem Bauerndienstag: Der Erfolg einer Demo hängt nicht zuletzt von der Art der Anreise zur Demo ab. Wären Unterfrankens Agrarprofis mit unauffälligen Privatdieseln zur „Land schafft Verbindung“ –Demo gefahren, hätten sie sicher Zeit gespart, aber weniger Aufmerksamkeit gewonnen. Dass auch wenig an Landwirtschaft interessierte Bürger sich für Ihre Demo interessierten, lag natürlich dran, dass die Protestierer mit Traktoren herantuckerten, mit denen man im Handumdrehen eine schlagzeilenträchtiges Verkehrschaos anrichten kann.
Angesichts der Tatsache, dass die Landwirtschaft ja nicht die einzige Branche ist, in der überbordende Bürokratie und neue Vorgaben die Arbeit erschweren und auch sicher nicht die einzige Branche, in der man sich ums Auskommen sorgt, wäre es möglich, dass sich bald branchenübergreifend Nachahmer finden. Nicht auszuschließen, dass bald tausend Erzieherinnen mit Bollerwagen, tausend Pflegekräfte mit Rollstühlen, tausend Reinigungsfachkräfte mit Reinigungswagen oder tausend Baggerfahrer den Verkehr auf unterfränkischen Einfahrtsstraßen großflächig drosseln.
Dritte Erkenntnis: Protest sucht sich neue Wege

Dritte Erkenntnis: Protest sucht sich neue Wege: Dass Landwirte sich über Vorgaben aus Berlin oder Brüssel beschweren, die aus ihrer Sicht untragbar sind, ist ja nicht neu. Bauern tun das häufig und auch recht häufig laut. Doch bisher liefen Beschwerden gern über den einflussreichen, weil mit konservativen Parteien langjährig verbandelten Bauernverband. Das ist diesmal anders. Die Bauerninitative „Land schafft Verbindung“ entstand erst Anfang Oktober aus einer winzigen Facebook-Gruppe, die innerhalb weniger Tage auf 15 000 Gruppenmitglieder anschwoll.
Der große und wichtige Bauernverband, bisher bei Bauerndemos nicht wegzudenken, wurde von der Protestbewegung überrascht.
Da stellt sich die Frage, ob zukünftig Branchenverbände an Einfluss verlieren, wenn Großaktionen nicht von ihnen, sondern von den regionalen Facebook-Gruppen angeleiert werden? Fragen Sie sich nicht auch, Herr Wasmuth, ob wohl die offiziellen Vertreter der Bauern in Zukunft noch so viel Lust wie bisher haben, sich in langwierigen Auseinandersetzungen mit Politikern an strittigen Vorgaben des Bundes und der EU abzuarbeiten?

Emotion toppt Analyse
Allerdings: Der bayerische Bauernverband hat „Land schafft Verbindung“ ganz offiziell gedankt. Sieht ganz so aus, als hätten Sie, Herr Wasmuth, und die anderen regionalen Organisatoren des Protests alles richtig gemacht. Abgesehen davon natürlich, dass beim Protest die Inhalte auf der Strecke blieben und dafür das Verkehrschaos im Gedächtnis der Verbraucher bleiben wird. Aber das ist in Zeiten, in denen die Emotion die Analyse toppt, wohl nicht mehr wichtig. Oder?
Sehr geehrter Herr Wasmuth, natürlich wünsche ich Ihnen und allen anderen unterfränkischen Landwirten, dass sie sich in Bälde mit den Umweltschützern auf einen vernünftigen Kompromiss einigen können, der die Umwelt schont und die Bauern dennoch aufatmen lässt.
- Antwort auf Samstagsbrief: "Bauern sind Klimaschützer!"
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