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WOLFSBURG: Samstagsbrief: Ihr Krisenmanagement springt nicht an, Herr Müller!

WOLFSBURG

Samstagsbrief: Ihr Krisenmanagement springt nicht an, Herr Müller!

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    dpatopbilder - Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, geht am 02.08.2017 in Berlin nach dem Diesel-Gipfel aus dem Bundesinnenministerium. Der Gipfel war vom Verkehrsministerium in das Innenministerium verlegt werden. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
    dpatopbilder - Matthias Müller, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, geht am 02.08.2017 in Berlin nach dem Diesel-Gipfel aus dem Bundesinnenministerium. Der Gipfel war vom Verkehrsministerium in das Innenministerium verlegt werden. Foto: Kay Nietfeld/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit Foto: Kay Nietfeld (dpa)

    Sehr geehrter Herr Müller, ich fahre einen Diesel, Schadstoffnorm Euro 5. Keinen aus Wolfsburg. Das tut hier aber auch nichts zur Sache. Als Dieselfahrer hat man generell das Vertrauen in die deutsche Automobilindustrie verloren. Egal, welches Emblem auf dem Kühlergrill prangt. Und egal wie sauber oder schmutzig man mit dem Fahrzeug angeblich fährt. Das Auto war lange das goldene Kalb der Deutschen. Der Dieselbetrug bei VW hat aus ihm ein Trojanisches Pferd gemacht: Niemand weiß mehr so genau, was hinten rauskommt. Denn eine echte Aufklärung des Skandals hat es – speziell bei VW – bislang nicht gegeben. Stattdessen kam das Ausmaß der Affäre scheibchenweise ans Licht. Durch unabhängige Institute. Nachdem sich dann auch noch mehrere Autohersteller Kartell-Vorwürfen ausgesetzt sahen, wobei es auch um mutmaßliche Abgas-Absprachen geht, lieferten Sie sich mit Daimler ein Rennen um die erste Selbstanzeige. Irgendwie tragisch-komisch. Die geprellten Dieselfahrer warten derweil weiter auf ein echtes Entgegenkommen.

    Für das, was seit dem Bekanntwerden des Skandals vor zwei Jahren passiert ist, gehen Sie und VW ziemlich relaxt durch die Welt, finde ich. Kritik perlt an Ihnen ab wie Regentropfen auf einer nanoversiegelten Windschutzscheibe. Aber wer will es Ihnen verdenken? Die Politik macht es Ihnen schließlich auch allzu einfach. Nicht nur, dass der niedersächsische Ministerpräsident VW eine Regierungserklärung zur Abgasaffäre gegenlesen und frisieren lässt: Auch der sogenannte Dieselgipfel mit der Bundesregierung dürfte komplett nach Ihrem Geschmack gelaufen sein. Unbequeme Verbraucherschützer oder die klagefreudigen Umweltverbände saßen nicht mit am Tisch. Dementsprechend ist das, was Sie, Daimler, BMW und Opel zugesagt haben, weder im Sinne der Umwelt noch der Kunden: Updates an der Steuersoftware von etwa 5,3 Millionen Autos der Schadstoffnormen Euro 5 und 6, die rund 2,5 Millionen Autos, die VW ohnehin zurückrufen muss, eingerechnet.

    Dem Vorschlag, ältere Dieselautos baulich nachzurüsten, um so deren gesundheitsschädliche Abgase zu reduzieren, erteilten Sie dagegen eine klare Absage. „Weil die Wirkung fragwürdig ist“, behaupten Sie. Und überhaupt wollten Sie Ihre „Ingenieure gerne zukunftsorientiert arbeiten lassen und nicht rückwärtsgewandt an Motoren, die zehn und 15 Jahre alt sind.“

    Das, mit Verlaub, ist überraschend für eine Branche, die sich jahrelang an alte Technik klammerte. Oder habe ich da etwas falsch interpretiert? Ich denke da etwa an die Sache mit der Deutschen Post. Die hatte vergeblich nach einem Autobauer gesucht, der mit ihr einen Elektrotransporter für den Einsatz in Innenstädten entwickelt. Letztendlich übernahm die Post die Entwicklung selbst und meldete diese Woche, dass sie die Produktion des Gefährts auf 20 000 Fahrzeuge verdoppeln will – wegen der hohen Nachfrage anderer Firmen. Innovationen aus der deutschen Automobilindustrie erscheinen da wie Laborprojekte, die man kaum auf die Straße bringt.

    Ihre Absage an Nachrüstungen zeigt aber noch etwas anderes. Offenbar sind Sie davon überzeugt, dass die Automobilindustrie selbst die Sanktionen wählen kann, die sie für den Dieselbetrug aufgebrummt bekommt: Software-Update für manche Modelle ja, Hardware-Update nein. Dass die Bundesregierung Sie damit durchkommen lässt, finde ich für einen Rechtsstaat schon sehr irritierend.

    Auch die Rabattaktionen, die Sie gemeinsam mit den Spitzen anderer Konzerne diese Woche präsentierten, machen die Angelegenheit nicht besser: Wer einen alten Diesel der Abgasnormen Euro 1 bis 4 abgibt und sich dafür einen Euro 6-Neuwagen kauft, bekommt etwa bei VW einen Nachlass von bis zu 10 000 Euro. Abgesehen davon, dass Rabatte beim Neuwagenkauf ohnehin nicht unüblich sind: Ich als Euro-5-Fahrer gucke in die Röhre. Mir bleibt ja höchstens ein Software-Update und das ist – genauso wie der Umstieg auf einen neuen Euro-6-Diesel – keineswegs eine Garantie dafür, dass man vor Fahrverboten sicher ist. Das sagt unter anderem das Umweltbundesamt. Fahrer von beispielsweise Euro-4-Dieseln sind auch nicht besser dran. Die sollen sich – ob sie es sich leisten können oder nicht – nach Ihrem Willen ein neues Auto kaufen.

    Seien wir ehrlich: Das nützt vor allem der Autoindustrie. Die Absatzzahlen werden so angekurbelt, die Preise für gebrauchte Diesel wieder angehoben. VW, so war zu lesen, gehört ja durch sein Leasing-Geschäft zu den größten Besitzern von Dieselfahrzeugen im Land. Sinkt deren Restwert weiter, hat nicht nur der einzelne Fahrer, sondern vor allem Ihr Konzern ein Problem.

    Glauben Sie also wirklich, dass Sie mit Ihrem bisherigen Krisenmanagement die Auto-Nation besänftigen können? Dass Rabatte das Vertrauen in deutsche Ingenieurskunst wiederherstellen? Was bleibt, ist der Frust der Kunden. Den bekommen die Konzernchefs wohl eher selten direkt ab. Dafür umso mehr die Händler vor Ort.

    Mit freundlichen Grüßen

    Benjamin Stahl, Redakteur

    Einer bekommt Post! – Der „Samstagsbrief“ Künftig lesen Sie auf der Meinungsseite am Wochenende unseren „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Figur des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An eine Person, der wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert wird der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen Samstagsbriefen hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den Samstagsbrief zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.

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