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Miltenberg/Würzburg: Samstagsbrief: Landrat Scherf, bleiben Sie hartnäckig, aber menschlich mit Ihrer Kritik an der Asylpolitik!

Miltenberg/Würzburg

Samstagsbrief: Landrat Scherf, bleiben Sie hartnäckig, aber menschlich mit Ihrer Kritik an der Asylpolitik!

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    Jens Marco Scherf, Landrat des Landkreises Miltenberg, bei seinem Auftritt im Februar in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz".
    Jens Marco Scherf, Landrat des Landkreises Miltenberg, bei seinem Auftritt im Februar in der ZDF-Talkshow "Markus Lanz". Foto: ZDF/Cornelia Lehmann

    Sehr geehrter Herr Scherf,

    es kommt selten vor, dass ein unterfränkischer Landrat so in den überregionalen Medien präsent ist, wie Sie in den vergangenen Monaten. Spätestens seit Ihrem Auftritt bei "Markus Lanz" Mitte Februar sind Sie auch bundesweit bekannt.

    Das liegt nicht nur daran, dass Sie für Ihren Landkreis Miltenberg die Probleme bei der Unterbringung und Integration einer stetig wachsenden Zahl geflüchteter Menschen beschrieben haben. Allen voran haben Sie auf die Konflikte auf dem Wohnungsmarkt hingewiesen und auf den eklatanten Personalmangel im sozialen Bereich, der eine gute Betreuung der Neuankömmlinge massiv erschwert.

    Viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben Ähnliches gesagt. Aufmerksamkeit erzielen Sie, lieber Herr Scherf, weil Sie Ihre offenen Worte als Mitglied der Grünen äußern. Das macht Ihre Kritik und Ihre Forderungen besonders glaubwürdig. Finde ich zumindest.

    Keine Frage, die Sorgen, die Kommunalpolitikerinnen und -politiker von CSU, Freien Wählern und SPD äußern, sind genauso beachtenswert. Aber ja, wenn Sie als Vertreter einer Partei, für die ein menschenfreundlicher Umgang mit Geflüchteten zur DNA gehört, sich kritisch zum Credo "Wir schaffen das" äußern, muss das die Gesellschaft erst recht nachdenklich stimmen.

    Boris Plamer hat den Bogen überspannt, Scherf findet auch ohne ihn Gehör

    Zwischenzeitlich hatten Sie auch dem Bundeskanzler einen offenen Brief geschrieben - gemeinsam mit Boris Palmer. Der Tübinger Oberbürgermeister ist jetzt bei den Grünen ausgetreten - nach seinen unsäglichen Judenstern-Äußerungen. Sie, lieber Herr Scherf, haben Ihr Bedauern über den Rückzug ausgedrückt und dafür plädiert, Palmer nicht auf Dauer alle Türen zu Ihrer Partei zu verschließen.

    Ich habe lange auch die Meinung vertreten, die Grünen müssten jemanden wie Boris Palmer aushalten. Er mag zeitweise ein selbstgerechter Provokateur sein, ein Rassist oder Nazi ist er nicht. Aber nun hat er den Bogen überspannt, der Rückzug ist nur konsequent.

    Das aber nur am Rande. Ich glaube nämlich nicht, dass Sie Palmer als Mitstreiter brauchen, um mit Ihren Forderungen in der Asyl- und Migrationspolitik Gehör zu finden. Ihre Expertise als Landrat von Miltenberg sollte reichen, um die Überlastung der Kommunen deutlich zu machen.

    Asylpolitik darf Kommunen und Ehrenamtliche nicht überlasten

    Die Unterbringung ist das eine. Da tobt längst auch auf dem Land ein Kampf um bezahlbare Wohnungen zwischen Geflüchteten und Einheimischen in den unteren Einkommensgruppen.

    Noch dramatischer stellt sich die Lage bei der Integration dar. Die Plätze in den Sprachkursen reichen bei weitem nicht, bei der Betreuung von Kindern sieht es ähnlich aus. Es fehlt an finanziellen Mitteln, viel mehr aber am Personal. Angesichts des dramatischen Fachkräftemangels können Kindertagesstätten und Schulen weitere Zuzüge kaum verkraften, sagen Sie - weitgehend unwidersprochen.

    Ziel von Veränderungen in der Politik muss sein, die Akzeptanz der Bevölkerungsmehrheit für eine liberale Asylpolitik nicht zu verlieren. Und auch: die vielen Ehrenamtlichen mit ihrer Hilfsbereitschaft bei der Stange zu halten. 

    Nächste Woche ist Flüchtlingsgipfel in Berlin

    Klar, da muss mehr Geld ins System. Doch einfach nur nach Berlin deuten, wie es CSU-Ministerpräsident Markus Söder tut, ist zu billig. Bayern muss genauso wie der Bund den Kreisen, Städten und Gemeinden deutlich mehr Unterstützung leisten. Der Flüchtlingsgipfel nächste Woche in Berlin bietet die Gelegenheit, ernsthaft Lösungen zu erarbeiten.

    Gleichzeitig muss die Bundesregierung Regelungen finden, um Zuwanderer, die keinerlei Chance auf Asyl haben, möglichst frühzeitig zurückzuweisen, auf dass sie gar nicht erst in den Kommunen ankommen. Transitzentren an den EU-Außengrenzen widersprechen dem Grundsatz der Freizügigkeit. Aber so bitter es ist, vermutlich geht es nicht mehr ohne. Parallel dazu braucht es klar definierte, nicht zu bürokratische Wege in den deutschen Arbeitsmarkt. Es ist höchste Zeit für ein modernes Einwanderungsgesetz für Fachkräfte.

    Lieber Herr Scherf, ich hätte eine Bitte: Lassen Sie sich nicht von den Scharfmachern in der Asyl- und Ausländerpolitik treiben. Bleiben Sie auf Ihrem Weg, die Missstände, die Probleme vor Ort ebenso hartnäckig wie unaufgeregt anzusprechen. Fordern Sie Abhilfe, aber bewahren Sie sich Ihr menschliches Gesicht. Dafür gibt es jede Menge Solidarität.

    Beste Grüße aus Würzburg, Michael Czygan

    Persönliche Post: der "Samstagsbrief"Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur.Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.

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